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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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neuen Mittelpuncte des römischen Reiches. Wenn nun auch
Italien in Folge erwähnter Ereignisse seit dem sechsten Jahr-
hunderte an Bevölkerung und Hülfsmitteln verarmte; wenn
auch von nun an die Griechen in technischen Vortheilen un-
wiederbringlich und für lange Zeit den Vorsprung gewannen:
so war doch damals die Zeit schon längst vorüber, in welcher
die ältesten Vorstellungen der christlichen Kunst gleichsam in
den antiken Formen wieder ausgegossen, die Figuren noch an-
tik gewendet, die Stellungen und Gebehrden, wie endlich selbst
der Styl der Darstellung den Gebilden des classischen Alter-
thums nicht unähnlich entworfen wurden. Dem römischen
Weltreich gehören, wiederhole ich, die ältesten Kunstgebilde der
Christen; und da diese in beiden Hälften der Christenheit,
wenn auch mit verschiedenem Erfolge, bis auf sehr neue Zei-
ten unablässig nachgebildet worden; so wird das Vorkommen
solcher Vorstellungen an und für sich noch keinen Unterschied
begründen können. Diesen werden wir vielmehr theils in der
Manier aufsuchen müssen, in welcher überlieferte Vorstellungen
auf der einen Seite von den Griechen, auf der andern von
den Italienern nachgeahmt oder neu aufgefaßt wurden, theils
in Solchem, so nicht früher, als im Verlaufe des Mittelal-
ters, theils im östlichen Reiche, theils in Italien und im
Westen überhaupt, ganz von neuem ergriffen, und unter die
Gegenstände bildlicher Darstellungen aufgenommen worden.

Versuchen wir zunächst auszumachen, worin die Manier
italienischer und griechischer Künstler sich unterscheide. Bey
dieser Untersuchung ist es uns förderlich, daß wir bereits aus
einer früheren Darlegung mit der Form bekannt sind, welche
die äußerste Entartung der Kunstfertigkeiten in Italien ange-
nommen; daß wir wissen, wie man in diesem Lande während

neuen Mittelpuncte des roͤmiſchen Reiches. Wenn nun auch
Italien in Folge erwaͤhnter Ereigniſſe ſeit dem ſechsten Jahr-
hunderte an Bevoͤlkerung und Huͤlfsmitteln verarmte; wenn
auch von nun an die Griechen in techniſchen Vortheilen un-
wiederbringlich und fuͤr lange Zeit den Vorſprung gewannen:
ſo war doch damals die Zeit ſchon laͤngſt voruͤber, in welcher
die aͤlteſten Vorſtellungen der chriſtlichen Kunſt gleichſam in
den antiken Formen wieder ausgegoſſen, die Figuren noch an-
tik gewendet, die Stellungen und Gebehrden, wie endlich ſelbſt
der Styl der Darſtellung den Gebilden des claſſiſchen Alter-
thums nicht unaͤhnlich entworfen wurden. Dem roͤmiſchen
Weltreich gehoͤren, wiederhole ich, die aͤlteſten Kunſtgebilde der
Chriſten; und da dieſe in beiden Haͤlften der Chriſtenheit,
wenn auch mit verſchiedenem Erfolge, bis auf ſehr neue Zei-
ten unablaͤſſig nachgebildet worden; ſo wird das Vorkommen
ſolcher Vorſtellungen an und fuͤr ſich noch keinen Unterſchied
begruͤnden koͤnnen. Dieſen werden wir vielmehr theils in der
Manier aufſuchen muͤſſen, in welcher uͤberlieferte Vorſtellungen
auf der einen Seite von den Griechen, auf der andern von
den Italienern nachgeahmt oder neu aufgefaßt wurden, theils
in Solchem, ſo nicht fruͤher, als im Verlaufe des Mittelal-
ters, theils im oͤſtlichen Reiche, theils in Italien und im
Weſten uͤberhaupt, ganz von neuem ergriffen, und unter die
Gegenſtaͤnde bildlicher Darſtellungen aufgenommen worden.

Verſuchen wir zunaͤchſt auszumachen, worin die Manier
italieniſcher und griechiſcher Kuͤnſtler ſich unterſcheide. Bey
dieſer Unterſuchung iſt es uns foͤrderlich, daß wir bereits aus
einer fruͤheren Darlegung mit der Form bekannt ſind, welche
die aͤußerſte Entartung der Kunſtfertigkeiten in Italien ange-
nommen; daß wir wiſſen, wie man in dieſem Lande waͤhrend

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[296/0314] neuen Mittelpuncte des roͤmiſchen Reiches. Wenn nun auch Italien in Folge erwaͤhnter Ereigniſſe ſeit dem ſechsten Jahr- hunderte an Bevoͤlkerung und Huͤlfsmitteln verarmte; wenn auch von nun an die Griechen in techniſchen Vortheilen un- wiederbringlich und fuͤr lange Zeit den Vorſprung gewannen: ſo war doch damals die Zeit ſchon laͤngſt voruͤber, in welcher die aͤlteſten Vorſtellungen der chriſtlichen Kunſt gleichſam in den antiken Formen wieder ausgegoſſen, die Figuren noch an- tik gewendet, die Stellungen und Gebehrden, wie endlich ſelbſt der Styl der Darſtellung den Gebilden des claſſiſchen Alter- thums nicht unaͤhnlich entworfen wurden. Dem roͤmiſchen Weltreich gehoͤren, wiederhole ich, die aͤlteſten Kunſtgebilde der Chriſten; und da dieſe in beiden Haͤlften der Chriſtenheit, wenn auch mit verſchiedenem Erfolge, bis auf ſehr neue Zei- ten unablaͤſſig nachgebildet worden; ſo wird das Vorkommen ſolcher Vorſtellungen an und fuͤr ſich noch keinen Unterſchied begruͤnden koͤnnen. Dieſen werden wir vielmehr theils in der Manier aufſuchen muͤſſen, in welcher uͤberlieferte Vorſtellungen auf der einen Seite von den Griechen, auf der andern von den Italienern nachgeahmt oder neu aufgefaßt wurden, theils in Solchem, ſo nicht fruͤher, als im Verlaufe des Mittelal- ters, theils im oͤſtlichen Reiche, theils in Italien und im Weſten uͤberhaupt, ganz von neuem ergriffen, und unter die Gegenſtaͤnde bildlicher Darſtellungen aufgenommen worden. Verſuchen wir zunaͤchſt auszumachen, worin die Manier italieniſcher und griechiſcher Kuͤnſtler ſich unterſcheide. Bey dieſer Unterſuchung iſt es uns foͤrderlich, daß wir bereits aus einer fruͤheren Darlegung mit der Form bekannt ſind, welche die aͤußerſte Entartung der Kunſtfertigkeiten in Italien ange- nommen; daß wir wiſſen, wie man in dieſem Lande waͤhrend

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/314>, abgerufen am 26.11.2024.