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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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Ueberhaupt können die Zerrüttungen, denen Italien vom
neunten bis zwölften Jahrhundert unterlegen, nicht wohl mit
gewöhnlichen Unglücksfällen verglichen werden. Freilich zer-
störten sie das Alte, wenigstens in Bezug auf Kunst und
Sprache, fast bis auf die letzte Spur; doch waren sie, wie
bemerkt, zugleich die Wiege des neueren Italiens, also mittel-
bar der ganzen modernen Bildung, welche der frühen, vielsei-
tigen Entwickelung der Italiener weit mehr verdankt, als selbst
in unseren Tagen zugestanden wird. Die erste Veranlassung
zu jener langen und stürmischen Gährung aller Kräfte liegt
nun offenbar in der Nachwirkung der Unternehmungen Karls
des Großen
. Er hatte das herrschende Volk, die Longobar-
den, gedemüthigt; der alten Bevölkerung in den Päpsten eine
neue Schutzwehr gegeben; das Ganze durch Macht und Anse-
hen geeinigt. Als darauf unter seinen immer schwächeren
Nachfolgern der Glaube an fränkische Uebermacht allmählich
zurückgewichen, da regten sich allenthalben die fremdartigen
Bestandtheile des Volkes, bald zu gegenseitigem Kampf, selte-
ner, bey zunehmender Vermischung der Stämme, zu gemein-
samen Unternehmungen. Wäre es damals möglich gewesen,
die Freyen germanischer Abkunft, in denen ich die Ahnen des
Land und Leute besitzenden Adels etwas späterer Zeiten zu er-
blicken glaube, mit Allem, was noch römische Erinnerungen
bewahrte, innig zu verschmelzen; hätte nicht die Geistlichkeit,
deren Einfluß bey der so ganz eigenthümlichen Stellung der
Päpste unvermeidlich war, ein weiter hinaussehendes Ziel ins
Auge gefaßt; so dürfte Italien damals von neuem einen selbst-
ständigen, vielleicht einen weithin gebietenden Staat gebildet
haben. Da nun die Umstände diese Wendung des politischen
Geistes der Nation versagten, wandte sich der bürgerliche, prac-

Ueberhaupt koͤnnen die Zerruͤttungen, denen Italien vom
neunten bis zwoͤlften Jahrhundert unterlegen, nicht wohl mit
gewoͤhnlichen Ungluͤcksfaͤllen verglichen werden. Freilich zer-
ſtoͤrten ſie das Alte, wenigſtens in Bezug auf Kunſt und
Sprache, faſt bis auf die letzte Spur; doch waren ſie, wie
bemerkt, zugleich die Wiege des neueren Italiens, alſo mittel-
bar der ganzen modernen Bildung, welche der fruͤhen, vielſei-
tigen Entwickelung der Italiener weit mehr verdankt, als ſelbſt
in unſeren Tagen zugeſtanden wird. Die erſte Veranlaſſung
zu jener langen und ſtuͤrmiſchen Gaͤhrung aller Kraͤfte liegt
nun offenbar in der Nachwirkung der Unternehmungen Karls
des Großen
. Er hatte das herrſchende Volk, die Longobar-
den, gedemuͤthigt; der alten Bevoͤlkerung in den Paͤpſten eine
neue Schutzwehr gegeben; das Ganze durch Macht und Anſe-
hen geeinigt. Als darauf unter ſeinen immer ſchwaͤcheren
Nachfolgern der Glaube an fraͤnkiſche Uebermacht allmaͤhlich
zuruͤckgewichen, da regten ſich allenthalben die fremdartigen
Beſtandtheile des Volkes, bald zu gegenſeitigem Kampf, ſelte-
ner, bey zunehmender Vermiſchung der Staͤmme, zu gemein-
ſamen Unternehmungen. Waͤre es damals moͤglich geweſen,
die Freyen germaniſcher Abkunft, in denen ich die Ahnen des
Land und Leute beſitzenden Adels etwas ſpaͤterer Zeiten zu er-
blicken glaube, mit Allem, was noch roͤmiſche Erinnerungen
bewahrte, innig zu verſchmelzen; haͤtte nicht die Geiſtlichkeit,
deren Einfluß bey der ſo ganz eigenthuͤmlichen Stellung der
Paͤpſte unvermeidlich war, ein weiter hinausſehendes Ziel ins
Auge gefaßt; ſo duͤrfte Italien damals von neuem einen ſelbſt-
ſtaͤndigen, vielleicht einen weithin gebietenden Staat gebildet
haben. Da nun die Umſtaͤnde dieſe Wendung des politiſchen
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[237/0255] Ueberhaupt koͤnnen die Zerruͤttungen, denen Italien vom neunten bis zwoͤlften Jahrhundert unterlegen, nicht wohl mit gewoͤhnlichen Ungluͤcksfaͤllen verglichen werden. Freilich zer- ſtoͤrten ſie das Alte, wenigſtens in Bezug auf Kunſt und Sprache, faſt bis auf die letzte Spur; doch waren ſie, wie bemerkt, zugleich die Wiege des neueren Italiens, alſo mittel- bar der ganzen modernen Bildung, welche der fruͤhen, vielſei- tigen Entwickelung der Italiener weit mehr verdankt, als ſelbſt in unſeren Tagen zugeſtanden wird. Die erſte Veranlaſſung zu jener langen und ſtuͤrmiſchen Gaͤhrung aller Kraͤfte liegt nun offenbar in der Nachwirkung der Unternehmungen Karls des Großen. Er hatte das herrſchende Volk, die Longobar- den, gedemuͤthigt; der alten Bevoͤlkerung in den Paͤpſten eine neue Schutzwehr gegeben; das Ganze durch Macht und Anſe- hen geeinigt. Als darauf unter ſeinen immer ſchwaͤcheren Nachfolgern der Glaube an fraͤnkiſche Uebermacht allmaͤhlich zuruͤckgewichen, da regten ſich allenthalben die fremdartigen Beſtandtheile des Volkes, bald zu gegenſeitigem Kampf, ſelte- ner, bey zunehmender Vermiſchung der Staͤmme, zu gemein- ſamen Unternehmungen. Waͤre es damals moͤglich geweſen, die Freyen germaniſcher Abkunft, in denen ich die Ahnen des Land und Leute beſitzenden Adels etwas ſpaͤterer Zeiten zu er- blicken glaube, mit Allem, was noch roͤmiſche Erinnerungen bewahrte, innig zu verſchmelzen; haͤtte nicht die Geiſtlichkeit, deren Einfluß bey der ſo ganz eigenthuͤmlichen Stellung der Paͤpſte unvermeidlich war, ein weiter hinausſehendes Ziel ins Auge gefaßt; ſo duͤrfte Italien damals von neuem einen ſelbſt- ſtaͤndigen, vielleicht einen weithin gebietenden Staat gebildet haben. Da nun die Umſtaͤnde dieſe Wendung des politiſchen Geiſtes der Nation verſagten, wandte ſich der buͤrgerliche, prac-

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 237. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/255>, abgerufen am 22.11.2024.