Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

tische Sinn und Alles, was vom alten martialischen Geiste
bey römischen oder germanischen Abkömmlingen noch vorhan-
den war, auf Gründung und Sicherung des Nächsten. Auf
der einen Seite vereinigten sich die Stammgenossenschaften des
Adels, welche in Italien alt seyn müssen, weil sie früh sich
zeigen, und schon im dreyzehnten Jahrhundert sich überlebt
haben und zum Untergange reif sind. Andererseits entwickelte
sich in den Trümmern römischer Colonieen und Municipien,
aus den Resten römischer Einrichtung, Verwaltungsart, Ge-
wohnheit, jener städtische Gemeingeist, der in einzelnen Orten,
etwa in Lucca und Pisa *), schon im eilften Jahrhundert so
ausgebildet hervortritt, daß wir anzunehmen gezwungen sind,
er habe sich eine längere Zeit hindurch im Stillen aus frühe-
rer Versunkenheit hervorgebildet.

Vorherrschen des practischen Sinnes war es demnach,
und Begeisterung für neue politische Gründungen, oder Hoff-
nungen auf künftige Macht und Freyheit, was den Sinn da-
maliger Italiener in Kunst und Sprache von treuem, sorgli-
chem Bewahren des Ueberlieferten ablenkte. So lange man
nur in der Erinnerung an römische Größe Beruhigung und
Freude fand, so lange die Gegenwart und nächste Zukunft
nichts, als Beschämendes, Entmuthigendes darbot, hatte man,
obwohl mit geringem Glücke, gestrebt, die Sprache und die
Künste des alten Weltreiches in ihren herkömmlichen Formen
zu erhalten. Nun aber, da dem Ehrgeiz, wie dem Erwerb-

*) Ueber die frühere Blüthe von Neapel, Gaeta, Amalphi,
wissen wir wenig Umständliches. S. Brincman. Diss. de rep.
Amalphit. ad calcem hist. Pandect. Flo.
-- Einzelnes, wohl rheto-
risch Uebertriebene, bey Gull. Apul.

tiſche Sinn und Alles, was vom alten martialiſchen Geiſte
bey roͤmiſchen oder germaniſchen Abkoͤmmlingen noch vorhan-
den war, auf Gruͤndung und Sicherung des Naͤchſten. Auf
der einen Seite vereinigten ſich die Stammgenoſſenſchaften des
Adels, welche in Italien alt ſeyn muͤſſen, weil ſie fruͤh ſich
zeigen, und ſchon im dreyzehnten Jahrhundert ſich uͤberlebt
haben und zum Untergange reif ſind. Andererſeits entwickelte
ſich in den Truͤmmern roͤmiſcher Colonieen und Municipien,
aus den Reſten roͤmiſcher Einrichtung, Verwaltungsart, Ge-
wohnheit, jener ſtaͤdtiſche Gemeingeiſt, der in einzelnen Orten,
etwa in Lucca und Piſa *), ſchon im eilften Jahrhundert ſo
ausgebildet hervortritt, daß wir anzunehmen gezwungen ſind,
er habe ſich eine laͤngere Zeit hindurch im Stillen aus fruͤhe-
rer Verſunkenheit hervorgebildet.

Vorherrſchen des practiſchen Sinnes war es demnach,
und Begeiſterung fuͤr neue politiſche Gruͤndungen, oder Hoff-
nungen auf kuͤnftige Macht und Freyheit, was den Sinn da-
maliger Italiener in Kunſt und Sprache von treuem, ſorgli-
chem Bewahren des Ueberlieferten ablenkte. So lange man
nur in der Erinnerung an roͤmiſche Groͤße Beruhigung und
Freude fand, ſo lange die Gegenwart und naͤchſte Zukunft
nichts, als Beſchaͤmendes, Entmuthigendes darbot, hatte man,
obwohl mit geringem Gluͤcke, geſtrebt, die Sprache und die
Kuͤnſte des alten Weltreiches in ihren herkoͤmmlichen Formen
zu erhalten. Nun aber, da dem Ehrgeiz, wie dem Erwerb-

*) Ueber die fruͤhere Bluͤthe von Neapel, Gaeta, Amalphi,
wiſſen wir wenig Umſtaͤndliches. S. Brincman. Diss. de rep.
Amalphit. ad calcem hist. Pandect. Flo.
— Einzelnes, wohl rheto-
riſch Uebertriebene, bey Gull. Apul.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0256" n="238"/>
ti&#x017F;che Sinn und Alles, was vom alten martiali&#x017F;chen Gei&#x017F;te<lb/>
bey ro&#x0364;mi&#x017F;chen oder germani&#x017F;chen Abko&#x0364;mmlingen noch vorhan-<lb/>
den war, auf Gru&#x0364;ndung und Sicherung des Na&#x0364;ch&#x017F;ten. Auf<lb/>
der einen Seite vereinigten &#x017F;ich die Stammgeno&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaften des<lb/>
Adels, welche in <placeName>Italien</placeName> alt &#x017F;eyn mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, weil &#x017F;ie fru&#x0364;h &#x017F;ich<lb/>
zeigen, und &#x017F;chon im dreyzehnten Jahrhundert &#x017F;ich u&#x0364;berlebt<lb/>
haben und zum Untergange reif &#x017F;ind. Anderer&#x017F;eits entwickelte<lb/>
&#x017F;ich in den Tru&#x0364;mmern ro&#x0364;mi&#x017F;cher Colonieen und Municipien,<lb/>
aus den Re&#x017F;ten ro&#x0364;mi&#x017F;cher Einrichtung, Verwaltungsart, Ge-<lb/>
wohnheit, jener &#x017F;ta&#x0364;dti&#x017F;che Gemeingei&#x017F;t, der in einzelnen Orten,<lb/>
etwa in <placeName>Lucca</placeName> und <placeName>Pi&#x017F;a</placeName> <note place="foot" n="*)">Ueber die fru&#x0364;here Blu&#x0364;the von <placeName>Neapel</placeName>, <placeName>Gaeta</placeName>, <placeName>Amalphi</placeName>,<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;en wir wenig Um&#x017F;ta&#x0364;ndliches. S. <hi rendition="#aq"><hi rendition="#g"><persName ref="http://d-nb.info/gnd/116485108">Brincman</persName></hi>. Diss. de rep.<lb/><placeName>Amalphit.</placeName> ad calcem hist. Pandect. Flo.</hi> &#x2014; Einzelnes, wohl rheto-<lb/>
ri&#x017F;ch Uebertriebene, bey <hi rendition="#aq">Gull. Apul.</hi></note>, &#x017F;chon im eilften Jahrhundert &#x017F;o<lb/>
ausgebildet hervortritt, daß wir anzunehmen gezwungen &#x017F;ind,<lb/>
er habe &#x017F;ich eine la&#x0364;ngere Zeit hindurch im Stillen aus fru&#x0364;he-<lb/>
rer Ver&#x017F;unkenheit hervorgebildet.</p><lb/>
          <p>Vorherr&#x017F;chen des practi&#x017F;chen Sinnes war es demnach,<lb/>
und Begei&#x017F;terung fu&#x0364;r neue politi&#x017F;che Gru&#x0364;ndungen, oder Hoff-<lb/>
nungen auf ku&#x0364;nftige Macht und Freyheit, was den Sinn da-<lb/>
maliger Italiener in Kun&#x017F;t und Sprache von treuem, &#x017F;orgli-<lb/>
chem Bewahren des Ueberlieferten ablenkte. So lange man<lb/>
nur in der Erinnerung an ro&#x0364;mi&#x017F;che Gro&#x0364;ße Beruhigung und<lb/>
Freude fand, &#x017F;o lange die Gegenwart und na&#x0364;ch&#x017F;te Zukunft<lb/>
nichts, als Be&#x017F;cha&#x0364;mendes, Entmuthigendes darbot, hatte man,<lb/>
obwohl mit geringem Glu&#x0364;cke, ge&#x017F;trebt, die Sprache und die<lb/>
Ku&#x0364;n&#x017F;te des alten Weltreiches in ihren herko&#x0364;mmlichen Formen<lb/>
zu erhalten. Nun aber, da dem Ehrgeiz, wie dem Erwerb-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0256] tiſche Sinn und Alles, was vom alten martialiſchen Geiſte bey roͤmiſchen oder germaniſchen Abkoͤmmlingen noch vorhan- den war, auf Gruͤndung und Sicherung des Naͤchſten. Auf der einen Seite vereinigten ſich die Stammgenoſſenſchaften des Adels, welche in Italien alt ſeyn muͤſſen, weil ſie fruͤh ſich zeigen, und ſchon im dreyzehnten Jahrhundert ſich uͤberlebt haben und zum Untergange reif ſind. Andererſeits entwickelte ſich in den Truͤmmern roͤmiſcher Colonieen und Municipien, aus den Reſten roͤmiſcher Einrichtung, Verwaltungsart, Ge- wohnheit, jener ſtaͤdtiſche Gemeingeiſt, der in einzelnen Orten, etwa in Lucca und Piſa *), ſchon im eilften Jahrhundert ſo ausgebildet hervortritt, daß wir anzunehmen gezwungen ſind, er habe ſich eine laͤngere Zeit hindurch im Stillen aus fruͤhe- rer Verſunkenheit hervorgebildet. Vorherrſchen des practiſchen Sinnes war es demnach, und Begeiſterung fuͤr neue politiſche Gruͤndungen, oder Hoff- nungen auf kuͤnftige Macht und Freyheit, was den Sinn da- maliger Italiener in Kunſt und Sprache von treuem, ſorgli- chem Bewahren des Ueberlieferten ablenkte. So lange man nur in der Erinnerung an roͤmiſche Groͤße Beruhigung und Freude fand, ſo lange die Gegenwart und naͤchſte Zukunft nichts, als Beſchaͤmendes, Entmuthigendes darbot, hatte man, obwohl mit geringem Gluͤcke, geſtrebt, die Sprache und die Kuͤnſte des alten Weltreiches in ihren herkoͤmmlichen Formen zu erhalten. Nun aber, da dem Ehrgeiz, wie dem Erwerb- *) Ueber die fruͤhere Bluͤthe von Neapel, Gaeta, Amalphi, wiſſen wir wenig Umſtaͤndliches. S. Brincman. Diss. de rep. Amalphit. ad calcem hist. Pandect. Flo. — Einzelnes, wohl rheto- riſch Uebertriebene, bey Gull. Apul.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/256
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/256>, abgerufen am 22.11.2024.