Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

wollt, durch den Gegenstand von den Redekünsten unterschie-
den werden; daß demnach auf diesem Wege eine deutliche
und richtige Vorstellung von den Verschiedenheiten dieser bei-
den Beziehungen des menschlichen Geistes nicht wohl zu er-
langen ist.

Wenn aber die bildenden Künste von den Redekünsten
nicht durch den Gegenstand unterschieden werden, so muß die
Verschiedenheit, welche doch nun einmal sichtlich vorhanden
ist, entweder auf einer Eigenthümlichkeit der Auffassung, oder
auf einer bestimmten Art der Darstellung, oder auch auf bei-
den zugleich beruhen. Und in der That ist es das Unterschei-
dende der bildenden Künste, nicht in Begriffen, sondern in
Anschauungen aufzufassen, und das anschaulich Aufgefaßte so
darzustellen, daß solches ohne alle Zuziehung von Thätigkeiten
des Verstandes unmittelbar durch die Anschauung auch von
anderen erfaßt werden könne. Oder mit anderen Worten:
es ist das Unterscheidende der Kunst, die Dinge nicht, wie
der Verstand, nach ihren Theilen und einzelnen Eigenschaften,
vielmehr sie im Ganzen und nicht fortschreitend, sondern
augenblicklich sowohl aufzufassen, als darzustellen. -- Nun giebt
es freylich Individuen, welche außerhalb des Begriffes und
seiner folgerechten Handhabung überhaupt kein Geistesleben
sich denken können; denen es nicht zum Bewußtseyn gekom-
men, daß auch dem abstrakten Denken, wo es nicht, was
der Himmel verhüte, in beziehungslosen, inhaltsleeren For-
men sich bewegt, gleich Schulübungen im Buchstabenrechnen;
daß auch dem abstracten Denken, wiederhole ich, wo es im-
mer Gehalt und Tiefe besitzt, das Anschauliche nothwendig
zum Grunde liegt. Diesen freylich dürfte es scheinen, als
werde die Kunst durch obige Erklärung erniedrigt, und in

wollt, durch den Gegenſtand von den Redekuͤnſten unterſchie-
den werden; daß demnach auf dieſem Wege eine deutliche
und richtige Vorſtellung von den Verſchiedenheiten dieſer bei-
den Beziehungen des menſchlichen Geiſtes nicht wohl zu er-
langen iſt.

Wenn aber die bildenden Kuͤnſte von den Redekuͤnſten
nicht durch den Gegenſtand unterſchieden werden, ſo muß die
Verſchiedenheit, welche doch nun einmal ſichtlich vorhanden
iſt, entweder auf einer Eigenthuͤmlichkeit der Auffaſſung, oder
auf einer beſtimmten Art der Darſtellung, oder auch auf bei-
den zugleich beruhen. Und in der That iſt es das Unterſchei-
dende der bildenden Kuͤnſte, nicht in Begriffen, ſondern in
Anſchauungen aufzufaſſen, und das anſchaulich Aufgefaßte ſo
darzuſtellen, daß ſolches ohne alle Zuziehung von Thaͤtigkeiten
des Verſtandes unmittelbar durch die Anſchauung auch von
anderen erfaßt werden koͤnne. Oder mit anderen Worten:
es iſt das Unterſcheidende der Kunſt, die Dinge nicht, wie
der Verſtand, nach ihren Theilen und einzelnen Eigenſchaften,
vielmehr ſie im Ganzen und nicht fortſchreitend, ſondern
augenblicklich ſowohl aufzufaſſen, als darzuſtellen. — Nun giebt
es freylich Individuen, welche außerhalb des Begriffes und
ſeiner folgerechten Handhabung uͤberhaupt kein Geiſtesleben
ſich denken koͤnnen; denen es nicht zum Bewußtſeyn gekom-
men, daß auch dem abſtrakten Denken, wo es nicht, was
der Himmel verhuͤte, in beziehungsloſen, inhaltsleeren For-
men ſich bewegt, gleich Schuluͤbungen im Buchſtabenrechnen;
daß auch dem abſtracten Denken, wiederhole ich, wo es im-
mer Gehalt und Tiefe beſitzt, das Anſchauliche nothwendig
zum Grunde liegt. Dieſen freylich duͤrfte es ſcheinen, als
werde die Kunſt durch obige Erklaͤrung erniedrigt, und in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0025" n="7"/>
wollt, durch den Gegen&#x017F;tand von den Redeku&#x0364;n&#x017F;ten unter&#x017F;chie-<lb/>
den werden; daß demnach auf die&#x017F;em Wege eine deutliche<lb/>
und richtige Vor&#x017F;tellung von den Ver&#x017F;chiedenheiten die&#x017F;er bei-<lb/>
den Beziehungen des men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;tes nicht wohl zu er-<lb/>
langen i&#x017F;t.</p><lb/>
          <p>Wenn aber die bildenden Ku&#x0364;n&#x017F;te von den Redeku&#x0364;n&#x017F;ten<lb/>
nicht durch den Gegen&#x017F;tand unter&#x017F;chieden werden, &#x017F;o muß die<lb/>
Ver&#x017F;chiedenheit, welche doch nun einmal &#x017F;ichtlich vorhanden<lb/>
i&#x017F;t, entweder auf einer Eigenthu&#x0364;mlichkeit der Auffa&#x017F;&#x017F;ung, oder<lb/>
auf einer be&#x017F;timmten Art der Dar&#x017F;tellung, oder auch auf bei-<lb/>
den zugleich beruhen. Und in der That i&#x017F;t es das Unter&#x017F;chei-<lb/>
dende der bildenden Ku&#x0364;n&#x017F;te, nicht in Begriffen, &#x017F;ondern in<lb/>
An&#x017F;chauungen aufzufa&#x017F;&#x017F;en, und das an&#x017F;chaulich Aufgefaßte &#x017F;o<lb/>
darzu&#x017F;tellen, daß &#x017F;olches ohne alle Zuziehung von Tha&#x0364;tigkeiten<lb/>
des Ver&#x017F;tandes unmittelbar durch die An&#x017F;chauung auch von<lb/>
anderen erfaßt werden ko&#x0364;nne. Oder mit anderen Worten:<lb/>
es i&#x017F;t das Unter&#x017F;cheidende der Kun&#x017F;t, die Dinge nicht, wie<lb/>
der Ver&#x017F;tand, nach ihren Theilen und einzelnen Eigen&#x017F;chaften,<lb/>
vielmehr &#x017F;ie im Ganzen und nicht fort&#x017F;chreitend, &#x017F;ondern<lb/>
augenblicklich &#x017F;owohl aufzufa&#x017F;&#x017F;en, als darzu&#x017F;tellen. &#x2014; Nun giebt<lb/>
es freylich Individuen, welche außerhalb des Begriffes und<lb/>
&#x017F;einer folgerechten Handhabung u&#x0364;berhaupt kein Gei&#x017F;tesleben<lb/>
&#x017F;ich denken ko&#x0364;nnen; denen es nicht zum Bewußt&#x017F;eyn gekom-<lb/>
men, daß auch dem ab&#x017F;trakten Denken, wo es nicht, was<lb/>
der Himmel verhu&#x0364;te, in beziehungslo&#x017F;en, inhaltsleeren For-<lb/>
men &#x017F;ich bewegt, gleich Schulu&#x0364;bungen im Buch&#x017F;tabenrechnen;<lb/>
daß auch dem ab&#x017F;tracten Denken, wiederhole ich, wo es im-<lb/>
mer Gehalt und Tiefe be&#x017F;itzt, das An&#x017F;chauliche nothwendig<lb/>
zum Grunde liegt. Die&#x017F;en freylich du&#x0364;rfte es &#x017F;cheinen, als<lb/>
werde die Kun&#x017F;t durch obige Erkla&#x0364;rung erniedrigt, und in<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0025] wollt, durch den Gegenſtand von den Redekuͤnſten unterſchie- den werden; daß demnach auf dieſem Wege eine deutliche und richtige Vorſtellung von den Verſchiedenheiten dieſer bei- den Beziehungen des menſchlichen Geiſtes nicht wohl zu er- langen iſt. Wenn aber die bildenden Kuͤnſte von den Redekuͤnſten nicht durch den Gegenſtand unterſchieden werden, ſo muß die Verſchiedenheit, welche doch nun einmal ſichtlich vorhanden iſt, entweder auf einer Eigenthuͤmlichkeit der Auffaſſung, oder auf einer beſtimmten Art der Darſtellung, oder auch auf bei- den zugleich beruhen. Und in der That iſt es das Unterſchei- dende der bildenden Kuͤnſte, nicht in Begriffen, ſondern in Anſchauungen aufzufaſſen, und das anſchaulich Aufgefaßte ſo darzuſtellen, daß ſolches ohne alle Zuziehung von Thaͤtigkeiten des Verſtandes unmittelbar durch die Anſchauung auch von anderen erfaßt werden koͤnne. Oder mit anderen Worten: es iſt das Unterſcheidende der Kunſt, die Dinge nicht, wie der Verſtand, nach ihren Theilen und einzelnen Eigenſchaften, vielmehr ſie im Ganzen und nicht fortſchreitend, ſondern augenblicklich ſowohl aufzufaſſen, als darzuſtellen. — Nun giebt es freylich Individuen, welche außerhalb des Begriffes und ſeiner folgerechten Handhabung uͤberhaupt kein Geiſtesleben ſich denken koͤnnen; denen es nicht zum Bewußtſeyn gekom- men, daß auch dem abſtrakten Denken, wo es nicht, was der Himmel verhuͤte, in beziehungsloſen, inhaltsleeren For- men ſich bewegt, gleich Schuluͤbungen im Buchſtabenrechnen; daß auch dem abſtracten Denken, wiederhole ich, wo es im- mer Gehalt und Tiefe beſitzt, das Anſchauliche nothwendig zum Grunde liegt. Dieſen freylich duͤrfte es ſcheinen, als werde die Kunſt durch obige Erklaͤrung erniedrigt, und in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/25
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/25>, abgerufen am 21.11.2024.