gefeyertsten Werken, Regeln und Vorschriften abziehen *), jemals weder zu einer ganz allgemeinen Anschauung des We- sens der Kunst, noch zu irgend einer allgemein triftigen und durchhin anwendbaren Lehre zu gelangen. Denn nur, wer von einer beschränkenden Vorliebe für eigenthümliche Richtun- gen, Schulen und Förmlichkeiten der Kunst unabhängig ist, vermag das Wesen der Kunst rein aufzufassen, vermag ihre einzelnen, oft nur scheinbar einander widerstrebenden Leistungen aus einem gemeinschaftlichen Standpunkte zu überschauen und allgemeingültige Grundsätze aufzufassen und festzustellen, nach welchen einestheils unter allen Umständen Gutes entstehen muß, anderntheils über den Werth jeglicher Richtung und Leistung mit gleichmäßiger Gerechtigkeit zu entscheiden ist.
Nehmen wir an, daß wir darauf ausgehen wollten, die bildenden Künste so rein aufzufassen, daß unserem Begriffe auf der einen Seite nichts Ungehöriges, oder Ueberflüssiges anklebte; daß auf der anderen darin nichts unbedacht geblie- ben, welches nun einmal zu ihrem Wesen gehört: so würden wir damit beginnen müssen, von vorkommenden, oder mög- lichen Gegenständen der Kunst gänzlich abzusehen. Denn da diese Gegenstände voraussetzlich viele und mannichfaltige sind, so führen sie nothwendig ins Einzelne, und geben daher über- haupt nicht den allgemeinen Begriff, um den es uns doch zu thun ist. Noch mehr, da es offenbar keinen Gegenstand der Kunst giebt, welcher nicht zugleich auch Gegenstand des Be- griffes und des Nachdenkens wäre, oder doch seyn könnte: so ist es klar, daß die bildenden Künste nicht, wie Manche ge-
*) Gleich einigen Neueren, deren geistreiche Anregungen all- gemein bekannt sind.
gefeyertſten Werken, Regeln und Vorſchriften abziehen *), jemals weder zu einer ganz allgemeinen Anſchauung des We- ſens der Kunſt, noch zu irgend einer allgemein triftigen und durchhin anwendbaren Lehre zu gelangen. Denn nur, wer von einer beſchraͤnkenden Vorliebe fuͤr eigenthuͤmliche Richtun- gen, Schulen und Foͤrmlichkeiten der Kunſt unabhaͤngig iſt, vermag das Weſen der Kunſt rein aufzufaſſen, vermag ihre einzelnen, oft nur ſcheinbar einander widerſtrebenden Leiſtungen aus einem gemeinſchaftlichen Standpunkte zu uͤberſchauen und allgemeinguͤltige Grundſaͤtze aufzufaſſen und feſtzuſtellen, nach welchen einestheils unter allen Umſtaͤnden Gutes entſtehen muß, anderntheils uͤber den Werth jeglicher Richtung und Leiſtung mit gleichmaͤßiger Gerechtigkeit zu entſcheiden iſt.
Nehmen wir an, daß wir darauf ausgehen wollten, die bildenden Kuͤnſte ſo rein aufzufaſſen, daß unſerem Begriffe auf der einen Seite nichts Ungehoͤriges, oder Ueberfluͤſſiges anklebte; daß auf der anderen darin nichts unbedacht geblie- ben, welches nun einmal zu ihrem Weſen gehoͤrt: ſo wuͤrden wir damit beginnen muͤſſen, von vorkommenden, oder moͤg- lichen Gegenſtaͤnden der Kunſt gaͤnzlich abzuſehen. Denn da dieſe Gegenſtaͤnde vorausſetzlich viele und mannichfaltige ſind, ſo fuͤhren ſie nothwendig ins Einzelne, und geben daher uͤber- haupt nicht den allgemeinen Begriff, um den es uns doch zu thun iſt. Noch mehr, da es offenbar keinen Gegenſtand der Kunſt giebt, welcher nicht zugleich auch Gegenſtand des Be- griffes und des Nachdenkens waͤre, oder doch ſeyn koͤnnte: ſo iſt es klar, daß die bildenden Kuͤnſte nicht, wie Manche ge-
*) Gleich einigen Neueren, deren geiſtreiche Anregungen all- gemein bekannt ſind.
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gefeyertſten Werken, Regeln und Vorſchriften abziehen *),
jemals weder zu einer ganz allgemeinen Anſchauung des We-
ſens der Kunſt, noch zu irgend einer allgemein triftigen und
durchhin anwendbaren Lehre zu gelangen. Denn nur, wer
von einer beſchraͤnkenden Vorliebe fuͤr eigenthuͤmliche Richtun-
gen, Schulen und Foͤrmlichkeiten der Kunſt unabhaͤngig iſt,
vermag das Weſen der Kunſt rein aufzufaſſen, vermag ihre
einzelnen, oft nur ſcheinbar einander widerſtrebenden Leiſtungen
aus einem gemeinſchaftlichen Standpunkte zu uͤberſchauen und
allgemeinguͤltige Grundſaͤtze aufzufaſſen und feſtzuſtellen, nach
welchen einestheils unter allen Umſtaͤnden Gutes entſtehen
muß, anderntheils uͤber den Werth jeglicher Richtung und
Leiſtung mit gleichmaͤßiger Gerechtigkeit zu entſcheiden iſt.
Nehmen wir an, daß wir darauf ausgehen wollten, die
bildenden Kuͤnſte ſo rein aufzufaſſen, daß unſerem Begriffe
auf der einen Seite nichts Ungehoͤriges, oder Ueberfluͤſſiges
anklebte; daß auf der anderen darin nichts unbedacht geblie-
ben, welches nun einmal zu ihrem Weſen gehoͤrt: ſo wuͤrden
wir damit beginnen muͤſſen, von vorkommenden, oder moͤg-
lichen Gegenſtaͤnden der Kunſt gaͤnzlich abzuſehen. Denn da
dieſe Gegenſtaͤnde vorausſetzlich viele und mannichfaltige ſind,
ſo fuͤhren ſie nothwendig ins Einzelne, und geben daher uͤber-
haupt nicht den allgemeinen Begriff, um den es uns doch zu
thun iſt. Noch mehr, da es offenbar keinen Gegenſtand der
Kunſt giebt, welcher nicht zugleich auch Gegenſtand des Be-
griffes und des Nachdenkens waͤre, oder doch ſeyn koͤnnte: ſo
iſt es klar, daß die bildenden Kuͤnſte nicht, wie Manche ge-
*) Gleich einigen Neueren, deren geiſtreiche Anregungen all-
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/24>, abgerufen am 25.11.2024.
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