IV. Ueber den Einfluß der gothischen und longo- bardischen Einwanderungen auf die Fort- pflanzung römisch-altchristlicher Kunstfertig- keiten in der ganzen Ausdehnung Italiens.
Aus undeutlicher Kunde von den Verheerungen des gro- ßen gothischen Krieges entspringt, wie es scheint, bey den Italienern des Mittelalters jenes unbesiegbare Vorurtheil ge- en die Gothen, aus welchem zu erklären ist, daß man die- sen, bis auf sehr neue Zeiten hin, den Verfall des Gei- stes und der Fertigkeiten der Kunst beygemessen, als wenn überhaupt, in sinnlichen und geistigen Dingen, die Auflö- sung jederzeit eine äußere Ursache voraussetze. Daher, be- sonders bey italienischen Schriftstellern, der Gebrauch, jegli- ches Mißfällige in Werken und Arbeiten der Kunst gothisch zu nennen; daher der Name der gothischen Architectur für ei- nen, den Italienern fremdartigen, demungeachtet sehr durch- gebildeten Baugeschmack, welcher bekanntlich nicht früher, als im dreyzehnten Jahrhunderte entstanden ist, also lange nachdem die Volkseigenthümlichkeit der Gothen aus der Gegenwart ver- schwunden war. Ich übergehe für jetzt den Namen und Be- griff der gothischen Architectur, welche uns späterhin beschäfti- gen sollen, und setze die Unstatthaftigkeit jenes mittelalterlichen Vorurtheils gegen die Gothen, ihre Schuldlosigkeit an dem
IV. Ueber den Einfluß der gothiſchen und longo- bardiſchen Einwanderungen auf die Fort- pflanzung roͤmiſch-altchriſtlicher Kunſtfertig- keiten in der ganzen Ausdehnung Italiens.
Aus undeutlicher Kunde von den Verheerungen des gro- ßen gothiſchen Krieges entſpringt, wie es ſcheint, bey den Italienern des Mittelalters jenes unbeſiegbare Vorurtheil ge- en die Gothen, aus welchem zu erklaͤren iſt, daß man die- ſen, bis auf ſehr neue Zeiten hin, den Verfall des Gei- ſtes und der Fertigkeiten der Kunſt beygemeſſen, als wenn uͤberhaupt, in ſinnlichen und geiſtigen Dingen, die Aufloͤ- ſung jederzeit eine aͤußere Urſache vorausſetze. Daher, be- ſonders bey italieniſchen Schriftſtellern, der Gebrauch, jegli- ches Mißfaͤllige in Werken und Arbeiten der Kunſt gothiſch zu nennen; daher der Name der gothiſchen Architectur fuͤr ei- nen, den Italienern fremdartigen, demungeachtet ſehr durch- gebildeten Baugeſchmack, welcher bekanntlich nicht fruͤher, als im dreyzehnten Jahrhunderte entſtanden iſt, alſo lange nachdem die Volkseigenthuͤmlichkeit der Gothen aus der Gegenwart ver- ſchwunden war. Ich uͤbergehe fuͤr jetzt den Namen und Be- griff der gothiſchen Architectur, welche uns ſpaͤterhin beſchaͤfti- gen ſollen, und ſetze die Unſtatthaftigkeit jenes mittelalterlichen Vorurtheils gegen die Gothen, ihre Schuldloſigkeit an dem
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IV.
Ueber den Einfluß der gothiſchen und longo-
bardiſchen Einwanderungen auf die Fort-
pflanzung roͤmiſch-altchriſtlicher Kunſtfertig-
keiten in der ganzen Ausdehnung Italiens.
Aus undeutlicher Kunde von den Verheerungen des gro-
ßen gothiſchen Krieges entſpringt, wie es ſcheint, bey den
Italienern des Mittelalters jenes unbeſiegbare Vorurtheil ge-
en die Gothen, aus welchem zu erklaͤren iſt, daß man die-
ſen, bis auf ſehr neue Zeiten hin, den Verfall des Gei-
ſtes und der Fertigkeiten der Kunſt beygemeſſen, als wenn
uͤberhaupt, in ſinnlichen und geiſtigen Dingen, die Aufloͤ-
ſung jederzeit eine aͤußere Urſache vorausſetze. Daher, be-
ſonders bey italieniſchen Schriftſtellern, der Gebrauch, jegli-
ches Mißfaͤllige in Werken und Arbeiten der Kunſt gothiſch
zu nennen; daher der Name der gothiſchen Architectur fuͤr ei-
nen, den Italienern fremdartigen, demungeachtet ſehr durch-
gebildeten Baugeſchmack, welcher bekanntlich nicht fruͤher, als
im dreyzehnten Jahrhunderte entſtanden iſt, alſo lange nachdem
die Volkseigenthuͤmlichkeit der Gothen aus der Gegenwart ver-
ſchwunden war. Ich uͤbergehe fuͤr jetzt den Namen und Be-
griff der gothiſchen Architectur, welche uns ſpaͤterhin beſchaͤfti-
gen ſollen, und ſetze die Unſtatthaftigkeit jenes mittelalterlichen
Vorurtheils gegen die Gothen, ihre Schuldloſigkeit an dem
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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/198>, abgerufen am 22.11.2024.
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