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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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ligen. Im Mittelalter war daher die Ueberlieferung der Dar-
stellungen von Geschichten des alten Testaments, wenn nicht
durchaus unterbrochen, doch wenigstens nicht sehr lebhaft und
thätig, weshalb wir uns Glück wünschen dürfen, daß, nächst
vielen in den kirchlichen Handschriften verstreueten Miniaturen
und Zeichnungen, deren schönste ich oben erwähnt habe, auch
noch ein höchst bedeutendes Werk musivischer Kunst vorhanden
ist, aus dessen Anordnung und Behandlung wir auf Solches
schließen dürfen, so für uns untergegangen.

Ich bezeichne hier die musivischen Deckengemälde des äu-
ßeren Ganges der venezianischen Marcuskirche. Dieser Um-
gang, welcher die westliche und südliche Seite der Kirche um-
schließt, ist gegenwärtig der einzige Theil dieses berühmten
Gebäudes, der dem höheren Alterthume der Christenheit, und
wahrscheinlich den Zeiten des Exarchates angehört *). Die
Kirche selbst, wie das Aeußere der Giebelseite, ist in einer ge-
mischten gothisch-neugriechischen Manier erneuert, und da ein
Theil jenes Umgangs äußerlich von der italienisch-gothischen
Vorseite, nach innen aber von dem Körper der Kirche einge-
schlossen ist, so erkennt man sein höheres Alter, theils schon

*) Nach den venez. Historikern und Topographen ward die
Markuskirche ziemlich spät gegründet (zur Zeit der fränkischen
Größe, glaube ich zu entsinnen), und ich bezweifle nicht, daß ihre
Angabe in Bezug auf die Gründung einer Markuskirche ihre
Richtigkeit hat. Venedig hatte aber schon ungleich früher Bedeu-
tung (Darü aus Cassiodor; Muratori, Ant. It. Diss. 2.), und
die Stelle der jetzigen Markuskirche konnte, bey großer Beschränkt-
heit des Raumes, schon die Stelle einer älteren Hauptkirche des
Rialto gewesen seyn. So daß jener gewiß nicht speciell beurkun-
dete Fall meine auf deutlichen Zeichen begründete Vermuthung ei-
nes höheren Alters jenes Umgangs nicht aufhebt.

ligen. Im Mittelalter war daher die Ueberlieferung der Dar-
ſtellungen von Geſchichten des alten Teſtaments, wenn nicht
durchaus unterbrochen, doch wenigſtens nicht ſehr lebhaft und
thaͤtig, weshalb wir uns Gluͤck wuͤnſchen duͤrfen, daß, naͤchſt
vielen in den kirchlichen Handſchriften verſtreueten Miniaturen
und Zeichnungen, deren ſchoͤnſte ich oben erwaͤhnt habe, auch
noch ein hoͤchſt bedeutendes Werk muſiviſcher Kunſt vorhanden
iſt, aus deſſen Anordnung und Behandlung wir auf Solches
ſchließen duͤrfen, ſo fuͤr uns untergegangen.

Ich bezeichne hier die muſiviſchen Deckengemaͤlde des aͤu-
ßeren Ganges der venezianiſchen Marcuskirche. Dieſer Um-
gang, welcher die weſtliche und ſuͤdliche Seite der Kirche um-
ſchließt, iſt gegenwaͤrtig der einzige Theil dieſes beruͤhmten
Gebaͤudes, der dem hoͤheren Alterthume der Chriſtenheit, und
wahrſcheinlich den Zeiten des Exarchates angehoͤrt *). Die
Kirche ſelbſt, wie das Aeußere der Giebelſeite, iſt in einer ge-
miſchten gothiſch-neugriechiſchen Manier erneuert, und da ein
Theil jenes Umgangs aͤußerlich von der italieniſch-gothiſchen
Vorſeite, nach innen aber von dem Koͤrper der Kirche einge-
ſchloſſen iſt, ſo erkennt man ſein hoͤheres Alter, theils ſchon

*) Nach den venez. Hiſtorikern und Topographen ward die
Markuskirche ziemlich ſpaͤt gegruͤndet (zur Zeit der fraͤnkiſchen
Groͤße, glaube ich zu entſinnen), und ich bezweifle nicht, daß ihre
Angabe in Bezug auf die Gruͤndung einer Markuskirche ihre
Richtigkeit hat. Venedig hatte aber ſchon ungleich fruͤher Bedeu-
tung (Daruͤ aus Caſſiodor; Muratori, Ant. It. Diss. 2.), und
die Stelle der jetzigen Markuskirche konnte, bey großer Beſchraͤnkt-
heit des Raumes, ſchon die Stelle einer aͤlteren Hauptkirche des
Rialto geweſen ſeyn. So daß jener gewiß nicht ſpeciell beurkun-
dete Fall meine auf deutlichen Zeichen begruͤndete Vermuthung ei-
nes hoͤheren Alters jenes Umgangs nicht aufhebt.
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[175/0193] ligen. Im Mittelalter war daher die Ueberlieferung der Dar- ſtellungen von Geſchichten des alten Teſtaments, wenn nicht durchaus unterbrochen, doch wenigſtens nicht ſehr lebhaft und thaͤtig, weshalb wir uns Gluͤck wuͤnſchen duͤrfen, daß, naͤchſt vielen in den kirchlichen Handſchriften verſtreueten Miniaturen und Zeichnungen, deren ſchoͤnſte ich oben erwaͤhnt habe, auch noch ein hoͤchſt bedeutendes Werk muſiviſcher Kunſt vorhanden iſt, aus deſſen Anordnung und Behandlung wir auf Solches ſchließen duͤrfen, ſo fuͤr uns untergegangen. Ich bezeichne hier die muſiviſchen Deckengemaͤlde des aͤu- ßeren Ganges der venezianiſchen Marcuskirche. Dieſer Um- gang, welcher die weſtliche und ſuͤdliche Seite der Kirche um- ſchließt, iſt gegenwaͤrtig der einzige Theil dieſes beruͤhmten Gebaͤudes, der dem hoͤheren Alterthume der Chriſtenheit, und wahrſcheinlich den Zeiten des Exarchates angehoͤrt *). Die Kirche ſelbſt, wie das Aeußere der Giebelſeite, iſt in einer ge- miſchten gothiſch-neugriechiſchen Manier erneuert, und da ein Theil jenes Umgangs aͤußerlich von der italieniſch-gothiſchen Vorſeite, nach innen aber von dem Koͤrper der Kirche einge- ſchloſſen iſt, ſo erkennt man ſein hoͤheres Alter, theils ſchon *) Nach den venez. Hiſtorikern und Topographen ward die Markuskirche ziemlich ſpaͤt gegruͤndet (zur Zeit der fraͤnkiſchen Groͤße, glaube ich zu entſinnen), und ich bezweifle nicht, daß ihre Angabe in Bezug auf die Gruͤndung einer Markuskirche ihre Richtigkeit hat. Venedig hatte aber ſchon ungleich fruͤher Bedeu- tung (Daruͤ aus Caſſiodor; Muratori, Ant. It. Diss. 2.), und die Stelle der jetzigen Markuskirche konnte, bey großer Beſchraͤnkt- heit des Raumes, ſchon die Stelle einer aͤlteren Hauptkirche des Rialto geweſen ſeyn. So daß jener gewiß nicht ſpeciell beurkun- dete Fall meine auf deutlichen Zeichen begruͤndete Vermuthung ei- nes hoͤheren Alters jenes Umgangs nicht aufhebt.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 175. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/193>, abgerufen am 01.05.2024.