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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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Theoretiker seiner Zeit stark eingewirkt, eben wie späterhin
Canova, bey unläugbarem Streben nach ächter Schönheit,
doch von dem Eindruck gezierter Sitten, frisirter Haare und
anderer Wunderlichkeiten dieser Art ganz offenbar bemeistert.
An dieser Stelle jedoch fragt es sich nicht sowohl, ob Les-
sing
, oder Winckelmann, oder noch neuere Gönner des
sogenannten Schönheitsprincip vom Schönen richtige, oder un-
richtige Vorstellungen erlangt, als vielmehr, ob sie den Be-
griff der Schönheit in gehöriger Allgemeinheit aufgefaßt und
von solchen Vorstellungen frey erhalten haben, die nicht die
allgemeine Eigenschaft, welche wir Schönheit nennen, sondern
nur irgend ein besonderes Schöne betreffen. Ich glaube wahr-
zunehmen, daß die neueren Theorien, wenigstens alle solche,
welche die Kunst näher ins Auge fassen, eben weil sie ihren
Schönheitsbegriff aus Merkmalen des einzelnen Schönen zu-
sammensetzen, denselben nothwendig nicht so rein und scharf
auffassen, daß man sagen könnte, jegliches Schöne sey darein
begriffen und jegliches Unschöne davon ausgeschlossen. Viel-
leicht wird das Ergebniß ein anderes seyn, wenn wir bey
Auffassung des Schönheitsbegriffes nicht, wie so viele unserer
Vorgänger, von der Beobachtung des einzelnen Schönen aus-
gehen, vielmehr von der Empfindung selbst, welche uns be-
stimmt, sichtbare Dinge schön zu nennen.

Gewiß stritte es wider den gemeinen Gebrauch der deut-
schen wie jeder anderen Sprache, wollte man solche Dinge
schön nennen, welche unerfreulich zu schauen sind. Denn schön
und, was in anderen Sprachen dasselbe bedeutet, heißt, ehe
denkende Köpfe den Begriff feiner ausspalten, eben nur Sol-
ches, was den Blick an sich selbst, oder durch ihn die Seele
vergnügt. Allein zur Verwirrung Aller, welche jemals die

Theoretiker ſeiner Zeit ſtark eingewirkt, eben wie ſpaͤterhin
Canova, bey unlaͤugbarem Streben nach aͤchter Schoͤnheit,
doch von dem Eindruck gezierter Sitten, friſirter Haare und
anderer Wunderlichkeiten dieſer Art ganz offenbar bemeiſtert.
An dieſer Stelle jedoch fragt es ſich nicht ſowohl, ob Leſ-
ſing
, oder Winckelmann, oder noch neuere Goͤnner des
ſogenannten Schoͤnheitsprincip vom Schoͤnen richtige, oder un-
richtige Vorſtellungen erlangt, als vielmehr, ob ſie den Be-
griff der Schoͤnheit in gehoͤriger Allgemeinheit aufgefaßt und
von ſolchen Vorſtellungen frey erhalten haben, die nicht die
allgemeine Eigenſchaft, welche wir Schoͤnheit nennen, ſondern
nur irgend ein beſonderes Schoͤne betreffen. Ich glaube wahr-
zunehmen, daß die neueren Theorien, wenigſtens alle ſolche,
welche die Kunſt naͤher ins Auge faſſen, eben weil ſie ihren
Schoͤnheitsbegriff aus Merkmalen des einzelnen Schoͤnen zu-
ſammenſetzen, denſelben nothwendig nicht ſo rein und ſcharf
auffaſſen, daß man ſagen koͤnnte, jegliches Schoͤne ſey darein
begriffen und jegliches Unſchoͤne davon ausgeſchloſſen. Viel-
leicht wird das Ergebniß ein anderes ſeyn, wenn wir bey
Auffaſſung des Schoͤnheitsbegriffes nicht, wie ſo viele unſerer
Vorgaͤnger, von der Beobachtung des einzelnen Schoͤnen aus-
gehen, vielmehr von der Empfindung ſelbſt, welche uns be-
ſtimmt, ſichtbare Dinge ſchoͤn zu nennen.

Gewiß ſtritte es wider den gemeinen Gebrauch der deut-
ſchen wie jeder anderen Sprache, wollte man ſolche Dinge
ſchoͤn nennen, welche unerfreulich zu ſchauen ſind. Denn ſchoͤn
und, was in anderen Sprachen daſſelbe bedeutet, heißt, ehe
denkende Koͤpfe den Begriff feiner ausſpalten, eben nur Sol-
ches, was den Blick an ſich ſelbſt, oder durch ihn die Seele
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[135/0153] Theoretiker ſeiner Zeit ſtark eingewirkt, eben wie ſpaͤterhin Canova, bey unlaͤugbarem Streben nach aͤchter Schoͤnheit, doch von dem Eindruck gezierter Sitten, friſirter Haare und anderer Wunderlichkeiten dieſer Art ganz offenbar bemeiſtert. An dieſer Stelle jedoch fragt es ſich nicht ſowohl, ob Leſ- ſing, oder Winckelmann, oder noch neuere Goͤnner des ſogenannten Schoͤnheitsprincip vom Schoͤnen richtige, oder un- richtige Vorſtellungen erlangt, als vielmehr, ob ſie den Be- griff der Schoͤnheit in gehoͤriger Allgemeinheit aufgefaßt und von ſolchen Vorſtellungen frey erhalten haben, die nicht die allgemeine Eigenſchaft, welche wir Schoͤnheit nennen, ſondern nur irgend ein beſonderes Schoͤne betreffen. Ich glaube wahr- zunehmen, daß die neueren Theorien, wenigſtens alle ſolche, welche die Kunſt naͤher ins Auge faſſen, eben weil ſie ihren Schoͤnheitsbegriff aus Merkmalen des einzelnen Schoͤnen zu- ſammenſetzen, denſelben nothwendig nicht ſo rein und ſcharf auffaſſen, daß man ſagen koͤnnte, jegliches Schoͤne ſey darein begriffen und jegliches Unſchoͤne davon ausgeſchloſſen. Viel- leicht wird das Ergebniß ein anderes ſeyn, wenn wir bey Auffaſſung des Schoͤnheitsbegriffes nicht, wie ſo viele unſerer Vorgaͤnger, von der Beobachtung des einzelnen Schoͤnen aus- gehen, vielmehr von der Empfindung ſelbſt, welche uns be- ſtimmt, ſichtbare Dinge ſchoͤn zu nennen. Gewiß ſtritte es wider den gemeinen Gebrauch der deut- ſchen wie jeder anderen Sprache, wollte man ſolche Dinge ſchoͤn nennen, welche unerfreulich zu ſchauen ſind. Denn ſchoͤn und, was in anderen Sprachen daſſelbe bedeutet, heißt, ehe denkende Koͤpfe den Begriff feiner ausſpalten, eben nur Sol- ches, was den Blick an ſich ſelbſt, oder durch ihn die Seele vergnuͤgt. Allein zur Verwirrung Aller, welche jemals die

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/153>, abgerufen am 01.05.2024.