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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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II.
Verhältniß der Kunst zur Schönheit.


Die Griechen ihrer besten und glücklichsten Zeit, oder die
Italiener des sechzehnten Jahrhunderts (also eben solche Völ-
ker und Zeitgenossen, deren Geisteswerke bekanntlich den fein-
sten und sichersten Schönheitssinn darlegen), begnügten sich
mit dem allgemeinsten Schönheitsbegriffe und zeigten wenig
Verlangen, ihre Vorstellungen vom Schönen bis in das Ein-
zelne zu bestimmen und auszubilden. In entgegengesetztem
Verhältniß scheint das moderne Bestreben, bald den Begriff
der Schönheit möglichst scharf im Verstande auszubilden, bald
wiederum die sinnlichen Merkmale des Schönen recht genau
zu bestimmen, aus einer unbefriedigten Sehnsucht nach Schö-
nem entstanden zu seyn; wenigstens zeigte es sich zu keiner
Zeit so unverdrossen, als eben während des entschiedensten
Einflusses der europäischen Chinesen, der Pariser, welche, wie
bekannt, den Reifrock, die Frisur und, was schlimmer ist,
verzerrte und gezierte Gebärden erfunden und über die moderne
Welt verbreitet haben.

Allerdings dürfen wir befürchten, daß die Vorstellungen
vom Schönen, von welchen die Schönheitslehrer so unglückli-
cher Zeiten ausgegangen, ungeachtet des Bemühens, an Kunst-
werke des schönsten und besten Alterthumes sich anzulehnen,
sich dennoch nicht so ganz rein erhalten konnten, weil sie den
Einwirkungen eines falschen Zeitgeschmackes nun einmal bloß
gestellt waren. Ward doch sogar Mengs, der auf die besten

II.
Verhaͤltniß der Kunſt zur Schoͤnheit.


Die Griechen ihrer beſten und gluͤcklichſten Zeit, oder die
Italiener des ſechzehnten Jahrhunderts (alſo eben ſolche Voͤl-
ker und Zeitgenoſſen, deren Geiſteswerke bekanntlich den fein-
ſten und ſicherſten Schoͤnheitsſinn darlegen), begnuͤgten ſich
mit dem allgemeinſten Schoͤnheitsbegriffe und zeigten wenig
Verlangen, ihre Vorſtellungen vom Schoͤnen bis in das Ein-
zelne zu beſtimmen und auszubilden. In entgegengeſetztem
Verhaͤltniß ſcheint das moderne Beſtreben, bald den Begriff
der Schoͤnheit moͤglichſt ſcharf im Verſtande auszubilden, bald
wiederum die ſinnlichen Merkmale des Schoͤnen recht genau
zu beſtimmen, aus einer unbefriedigten Sehnſucht nach Schoͤ-
nem entſtanden zu ſeyn; wenigſtens zeigte es ſich zu keiner
Zeit ſo unverdroſſen, als eben waͤhrend des entſchiedenſten
Einfluſſes der europaͤiſchen Chineſen, der Pariſer, welche, wie
bekannt, den Reifrock, die Friſur und, was ſchlimmer iſt,
verzerrte und gezierte Gebaͤrden erfunden und uͤber die moderne
Welt verbreitet haben.

Allerdings duͤrfen wir befuͤrchten, daß die Vorſtellungen
vom Schoͤnen, von welchen die Schoͤnheitslehrer ſo ungluͤckli-
cher Zeiten ausgegangen, ungeachtet des Bemuͤhens, an Kunſt-
werke des ſchoͤnſten und beſten Alterthumes ſich anzulehnen,
ſich dennoch nicht ſo ganz rein erhalten konnten, weil ſie den
Einwirkungen eines falſchen Zeitgeſchmackes nun einmal bloß
geſtellt waren. Ward doch ſogar Mengs, der auf die beſten

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[134/0152] II. Verhaͤltniß der Kunſt zur Schoͤnheit. Die Griechen ihrer beſten und gluͤcklichſten Zeit, oder die Italiener des ſechzehnten Jahrhunderts (alſo eben ſolche Voͤl- ker und Zeitgenoſſen, deren Geiſteswerke bekanntlich den fein- ſten und ſicherſten Schoͤnheitsſinn darlegen), begnuͤgten ſich mit dem allgemeinſten Schoͤnheitsbegriffe und zeigten wenig Verlangen, ihre Vorſtellungen vom Schoͤnen bis in das Ein- zelne zu beſtimmen und auszubilden. In entgegengeſetztem Verhaͤltniß ſcheint das moderne Beſtreben, bald den Begriff der Schoͤnheit moͤglichſt ſcharf im Verſtande auszubilden, bald wiederum die ſinnlichen Merkmale des Schoͤnen recht genau zu beſtimmen, aus einer unbefriedigten Sehnſucht nach Schoͤ- nem entſtanden zu ſeyn; wenigſtens zeigte es ſich zu keiner Zeit ſo unverdroſſen, als eben waͤhrend des entſchiedenſten Einfluſſes der europaͤiſchen Chineſen, der Pariſer, welche, wie bekannt, den Reifrock, die Friſur und, was ſchlimmer iſt, verzerrte und gezierte Gebaͤrden erfunden und uͤber die moderne Welt verbreitet haben. Allerdings duͤrfen wir befuͤrchten, daß die Vorſtellungen vom Schoͤnen, von welchen die Schoͤnheitslehrer ſo ungluͤckli- cher Zeiten ausgegangen, ungeachtet des Bemuͤhens, an Kunſt- werke des ſchoͤnſten und beſten Alterthumes ſich anzulehnen, ſich dennoch nicht ſo ganz rein erhalten konnten, weil ſie den Einwirkungen eines falſchen Zeitgeſchmackes nun einmal bloß geſtellt waren. Ward doch ſogar Mengs, der auf die beſten

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/152>, abgerufen am 24.11.2024.