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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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wisse Schwingungen alle wirkliche, nicht bloß formelle Reli-
gion beleben und nähren.

Daß abstracte Begriffe, oder Ergebnisse abstracten Den-
kens, durch die bekannteren Hülfsmittel der Allegorie und Per-
sonification nur höchst allgemein und wenig ausfüllend ange-
deutet werden; daß die Verständlichkeit solcher Andeutungen
unter allen Umständen eine angemessene Vorbereitung des Gei-
stes durch den Begriff voraussetzt, erhellt, wie mir scheint, aus
sich selbst. Weniger indeß dürfte es sogleich dem ersten Blicke
einleuchten, daß Ahnungen eben sowohl und vielleicht noch un-
gleich entschiedener außerhalb des Gebietes der künstlerischen
Geistesart und außerhalb der Möglichkeiten künstlerischer Dar-
stellung liegen. Denn Viele nehmen an, daß eben jene un-
bestimmten Ahnungen, welche das Verderbliche in uns so leicht
zum Hochmuth verkehrt, indem es uns veranlaßt, die Natur
in Vergleichung unserer selbst, der so ganz in ihr befangenen,
gering zu schätzen, oder zu schmähen, zu trefflichen Gestalten
verkörpert werden können; was zu den vielfältigen Versuchen
gehört, den eben beleuchteten Idealbegriff der Manieristen zu
begründen. Solchem indeß müssen wir aus innerer Ueberzeu-
gung entgegenstellen, daß nur in so weit, als es dem allge-
meinen Naturgeist gelingen kann, Geist und Körper innig zu
vermählen und durch die Gestalt an sich selbst, oder durch
ihre Bewegung, oder auch durch gegenseitige Beziehungen von
Gestalten Geistiges auszudrücken, auch dem Künstler die Fä-
higkeit beiwohne, Geistiges in seiner Weise aufzufassen und
auszudrücken.

Nähern wir uns den Heroen und Göttern der griechi-
schen Kunst nur ohne religiösen, oder ästhetischen Aberglauben,
so werden wir in ihnen gewiß nichts wahrnehmen können,

wiſſe Schwingungen alle wirkliche, nicht bloß formelle Reli-
gion beleben und naͤhren.

Daß abſtracte Begriffe, oder Ergebniſſe abſtracten Den-
kens, durch die bekannteren Huͤlfsmittel der Allegorie und Per-
ſonification nur hoͤchſt allgemein und wenig ausfuͤllend ange-
deutet werden; daß die Verſtaͤndlichkeit ſolcher Andeutungen
unter allen Umſtaͤnden eine angemeſſene Vorbereitung des Gei-
ſtes durch den Begriff vorausſetzt, erhellt, wie mir ſcheint, aus
ſich ſelbſt. Weniger indeß duͤrfte es ſogleich dem erſten Blicke
einleuchten, daß Ahnungen eben ſowohl und vielleicht noch un-
gleich entſchiedener außerhalb des Gebietes der kuͤnſtleriſchen
Geiſtesart und außerhalb der Moͤglichkeiten kuͤnſtleriſcher Dar-
ſtellung liegen. Denn Viele nehmen an, daß eben jene un-
beſtimmten Ahnungen, welche das Verderbliche in uns ſo leicht
zum Hochmuth verkehrt, indem es uns veranlaßt, die Natur
in Vergleichung unſerer ſelbſt, der ſo ganz in ihr befangenen,
gering zu ſchaͤtzen, oder zu ſchmaͤhen, zu trefflichen Geſtalten
verkoͤrpert werden koͤnnen; was zu den vielfaͤltigen Verſuchen
gehoͤrt, den eben beleuchteten Idealbegriff der Manieriſten zu
begruͤnden. Solchem indeß muͤſſen wir aus innerer Ueberzeu-
gung entgegenſtellen, daß nur in ſo weit, als es dem allge-
meinen Naturgeiſt gelingen kann, Geiſt und Koͤrper innig zu
vermaͤhlen und durch die Geſtalt an ſich ſelbſt, oder durch
ihre Bewegung, oder auch durch gegenſeitige Beziehungen von
Geſtalten Geiſtiges auszudruͤcken, auch dem Kuͤnſtler die Faͤ-
higkeit beiwohne, Geiſtiges in ſeiner Weiſe aufzufaſſen und
auszudruͤcken.

Naͤhern wir uns den Heroen und Goͤttern der griechi-
ſchen Kunſt nur ohne religioͤſen, oder aͤſthetiſchen Aberglauben,
ſo werden wir in ihnen gewiß nichts wahrnehmen koͤnnen,

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[123/0141] wiſſe Schwingungen alle wirkliche, nicht bloß formelle Reli- gion beleben und naͤhren. Daß abſtracte Begriffe, oder Ergebniſſe abſtracten Den- kens, durch die bekannteren Huͤlfsmittel der Allegorie und Per- ſonification nur hoͤchſt allgemein und wenig ausfuͤllend ange- deutet werden; daß die Verſtaͤndlichkeit ſolcher Andeutungen unter allen Umſtaͤnden eine angemeſſene Vorbereitung des Gei- ſtes durch den Begriff vorausſetzt, erhellt, wie mir ſcheint, aus ſich ſelbſt. Weniger indeß duͤrfte es ſogleich dem erſten Blicke einleuchten, daß Ahnungen eben ſowohl und vielleicht noch un- gleich entſchiedener außerhalb des Gebietes der kuͤnſtleriſchen Geiſtesart und außerhalb der Moͤglichkeiten kuͤnſtleriſcher Dar- ſtellung liegen. Denn Viele nehmen an, daß eben jene un- beſtimmten Ahnungen, welche das Verderbliche in uns ſo leicht zum Hochmuth verkehrt, indem es uns veranlaßt, die Natur in Vergleichung unſerer ſelbſt, der ſo ganz in ihr befangenen, gering zu ſchaͤtzen, oder zu ſchmaͤhen, zu trefflichen Geſtalten verkoͤrpert werden koͤnnen; was zu den vielfaͤltigen Verſuchen gehoͤrt, den eben beleuchteten Idealbegriff der Manieriſten zu begruͤnden. Solchem indeß muͤſſen wir aus innerer Ueberzeu- gung entgegenſtellen, daß nur in ſo weit, als es dem allge- meinen Naturgeiſt gelingen kann, Geiſt und Koͤrper innig zu vermaͤhlen und durch die Geſtalt an ſich ſelbſt, oder durch ihre Bewegung, oder auch durch gegenſeitige Beziehungen von Geſtalten Geiſtiges auszudruͤcken, auch dem Kuͤnſtler die Faͤ- higkeit beiwohne, Geiſtiges in ſeiner Weiſe aufzufaſſen und auszudruͤcken. Naͤhern wir uns den Heroen und Goͤttern der griechi- ſchen Kunſt nur ohne religioͤſen, oder aͤſthetiſchen Aberglauben, ſo werden wir in ihnen gewiß nichts wahrnehmen koͤnnen,

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/141>, abgerufen am 06.05.2024.