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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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was nicht auch innerhalb des allgemeinen Naturlebens sich
entfaltet hätte, oder noch entfalten könnte. Denn Alles, was
in diesen Gestaltungen der Kunst selbst angehört, ist Darstel-
lung menschlich schöner Sitte in herrlichen organischen Bil-
dungen; was aber darin über die Kunst hinauszielt, besteht
in willkührlicher Andeutung mystischer Begriffe *). Dahin
gehört sogar die Vergrößerung der natürlichen Ausdehnung
der Gestalten, das Colossale, welches wohl als Zeichen auf
den Verstand, oder sinnlich auf die Phantasie einwirken und
durch diese Schauer hervorrufen mag, doch offenbar die innere
Bedeutung der Formen eben so wenig verändert, als deren
Verkleinerung, welche ein gewisses Streben nach Niedlichkeit
auf ganz verschiedenen Stufen der Kunst herbeyzuführen pflegt.

Eben so wenig sollten wir verkennen, daß in Werken der
neueren Kunst, etwa in den beseelten Engeln und Heiligen
des Fiesole und ihm verwandter Maler, jene herrlichen Züge
und Mienen eben nur die natürlichen Typen sind für Rein-
heit des Wollens, für Aufhebung des ganzen Daseyns in
Freudigkeit und Liebe; das Paradieß, die Vorstellung eines
übernatürlichen Daseyns und Geschehens, wird uns auch hier
durch willkührliche Begriffszeichen, Wolken, Flügel, Glorien
und Aehnliches, in Erinnerung gebracht. -- Schön wäre es
freylich, wenn uns der Maler den Himmel selbst, der Bild-
ner den wirklichen Olymp vor Augen stellte, obwohl uns dann
leicht die Erde zu eng werden dürfte.

Daß Künstler das Göttliche selbst nicht darstellen, daß
sie sogar im glücklicheren Falle nur etwa vermöge willkührli-

*) Mit großem Scharfsinn entwickelt Lessing (Laokoon
§. 12.), weßhalb es nicht wohl anders seyn kann.

was nicht auch innerhalb des allgemeinen Naturlebens ſich
entfaltet haͤtte, oder noch entfalten koͤnnte. Denn Alles, was
in dieſen Geſtaltungen der Kunſt ſelbſt angehoͤrt, iſt Darſtel-
lung menſchlich ſchoͤner Sitte in herrlichen organiſchen Bil-
dungen; was aber darin uͤber die Kunſt hinauszielt, beſteht
in willkuͤhrlicher Andeutung myſtiſcher Begriffe *). Dahin
gehoͤrt ſogar die Vergroͤßerung der natuͤrlichen Ausdehnung
der Geſtalten, das Coloſſale, welches wohl als Zeichen auf
den Verſtand, oder ſinnlich auf die Phantaſie einwirken und
durch dieſe Schauer hervorrufen mag, doch offenbar die innere
Bedeutung der Formen eben ſo wenig veraͤndert, als deren
Verkleinerung, welche ein gewiſſes Streben nach Niedlichkeit
auf ganz verſchiedenen Stufen der Kunſt herbeyzufuͤhren pflegt.

Eben ſo wenig ſollten wir verkennen, daß in Werken der
neueren Kunſt, etwa in den beſeelten Engeln und Heiligen
des Fieſole und ihm verwandter Maler, jene herrlichen Zuͤge
und Mienen eben nur die natuͤrlichen Typen ſind fuͤr Rein-
heit des Wollens, fuͤr Aufhebung des ganzen Daſeyns in
Freudigkeit und Liebe; das Paradieß, die Vorſtellung eines
uͤbernatuͤrlichen Daſeyns und Geſchehens, wird uns auch hier
durch willkuͤhrliche Begriffszeichen, Wolken, Fluͤgel, Glorien
und Aehnliches, in Erinnerung gebracht. — Schoͤn waͤre es
freylich, wenn uns der Maler den Himmel ſelbſt, der Bild-
ner den wirklichen Olymp vor Augen ſtellte, obwohl uns dann
leicht die Erde zu eng werden duͤrfte.

Daß Kuͤnſtler das Goͤttliche ſelbſt nicht darſtellen, daß
ſie ſogar im gluͤcklicheren Falle nur etwa vermoͤge willkuͤhrli-

*) Mit großem Scharfſinn entwickelt Leſſing (Laokoon
§. 12.), weßhalb es nicht wohl anders ſeyn kann.
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[124/0142] was nicht auch innerhalb des allgemeinen Naturlebens ſich entfaltet haͤtte, oder noch entfalten koͤnnte. Denn Alles, was in dieſen Geſtaltungen der Kunſt ſelbſt angehoͤrt, iſt Darſtel- lung menſchlich ſchoͤner Sitte in herrlichen organiſchen Bil- dungen; was aber darin uͤber die Kunſt hinauszielt, beſteht in willkuͤhrlicher Andeutung myſtiſcher Begriffe *). Dahin gehoͤrt ſogar die Vergroͤßerung der natuͤrlichen Ausdehnung der Geſtalten, das Coloſſale, welches wohl als Zeichen auf den Verſtand, oder ſinnlich auf die Phantaſie einwirken und durch dieſe Schauer hervorrufen mag, doch offenbar die innere Bedeutung der Formen eben ſo wenig veraͤndert, als deren Verkleinerung, welche ein gewiſſes Streben nach Niedlichkeit auf ganz verſchiedenen Stufen der Kunſt herbeyzufuͤhren pflegt. Eben ſo wenig ſollten wir verkennen, daß in Werken der neueren Kunſt, etwa in den beſeelten Engeln und Heiligen des Fieſole und ihm verwandter Maler, jene herrlichen Zuͤge und Mienen eben nur die natuͤrlichen Typen ſind fuͤr Rein- heit des Wollens, fuͤr Aufhebung des ganzen Daſeyns in Freudigkeit und Liebe; das Paradieß, die Vorſtellung eines uͤbernatuͤrlichen Daſeyns und Geſchehens, wird uns auch hier durch willkuͤhrliche Begriffszeichen, Wolken, Fluͤgel, Glorien und Aehnliches, in Erinnerung gebracht. — Schoͤn waͤre es freylich, wenn uns der Maler den Himmel ſelbſt, der Bild- ner den wirklichen Olymp vor Augen ſtellte, obwohl uns dann leicht die Erde zu eng werden duͤrfte. Daß Kuͤnſtler das Goͤttliche ſelbſt nicht darſtellen, daß ſie ſogar im gluͤcklicheren Falle nur etwa vermoͤge willkuͤhrli- *) Mit großem Scharfſinn entwickelt Leſſing (Laokoon §. 12.), weßhalb es nicht wohl anders ſeyn kann.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 124. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/142>, abgerufen am 07.05.2024.