Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

Bild:
<< vorherige Seite

zunächst in der Baukunst, wo diese Foderungen einleuchtend
wegfallen; in den Werken aber der darstellenden Künste vor-
nehmlich in solchen Dingen, welche in Bezug auf die Dar-
stellung gleichgültig sind und mehr durch ein allgemeines Be-
dürfniß der Füllung des Leeren herbeygezogen werden.

Wie die Vertheilung und Anordnung solcher Dinge auch
in den darstellenden Künsten an und für sich, je nachdem sie
wild und verworren, oder gemäßigt und beruhigend ausgefal-
len, einen Vorzug, oder Mangel begründe, sehen wir bald
in geistreichen und verdienstlichen Kunstwerken, denen, gleich
den meisten ganz modernen, jene allgemeine Uebereinstimmung
fehlt; bald wieder in minder verdienstlichen, ja geistlosen,
welche, gleich geringeren Antiken, oder mäßig wohlgedachten
Malereyen des italienischen Mittelalters, ihrer sonstigen Män-
gel ungeachtet, jenen wichtigen Kunstvortheil in überraschender
Völligkeit darlegen. In größter Vollkommenheit indeß werden
wir den allgemeinen Styl in den besten Bildwerken des Alter-
thumes wahrnehmen können, oder in den Gemälden der mitt-
leren Laufbahn Raphaels und seiner vorzüglichsten Zeitgenossen.
Obwohl auch aus diesen keinesweges ein allgemeines Gesetz
bildnerischer, oder malerischer Anordnung abzuleiten ist, da
mit jedem neuen Verhältniß auch neue Foderungen eintreten,
so daß, was dort galt, hier schon nicht mehr anwendbar ist.
Sind nun die Künstler in dieser Beziehung ganz auf Sinn
und Gefühl angewiesen, so müssen sie auf alle Weise Bedacht
nehmen, diese Fähigkeiten durch Prüfung und Unterscheidung
des Musterhaften und Fehlerhaften zu schärfen; um so mehr,
da die modernen Kunstbegriffe der Composition und Gruppi-
rung, welche offenbar aus einer unbestimmten Wahrnehmung

zunaͤchſt in der Baukunſt, wo dieſe Foderungen einleuchtend
wegfallen; in den Werken aber der darſtellenden Kuͤnſte vor-
nehmlich in ſolchen Dingen, welche in Bezug auf die Dar-
ſtellung gleichguͤltig ſind und mehr durch ein allgemeines Be-
duͤrfniß der Fuͤllung des Leeren herbeygezogen werden.

Wie die Vertheilung und Anordnung ſolcher Dinge auch
in den darſtellenden Kuͤnſten an und fuͤr ſich, je nachdem ſie
wild und verworren, oder gemaͤßigt und beruhigend ausgefal-
len, einen Vorzug, oder Mangel begruͤnde, ſehen wir bald
in geiſtreichen und verdienſtlichen Kunſtwerken, denen, gleich
den meiſten ganz modernen, jene allgemeine Uebereinſtimmung
fehlt; bald wieder in minder verdienſtlichen, ja geiſtloſen,
welche, gleich geringeren Antiken, oder maͤßig wohlgedachten
Malereyen des italieniſchen Mittelalters, ihrer ſonſtigen Maͤn-
gel ungeachtet, jenen wichtigen Kunſtvortheil in uͤberraſchender
Voͤlligkeit darlegen. In groͤßter Vollkommenheit indeß werden
wir den allgemeinen Styl in den beſten Bildwerken des Alter-
thumes wahrnehmen koͤnnen, oder in den Gemaͤlden der mitt-
leren Laufbahn Raphaels und ſeiner vorzuͤglichſten Zeitgenoſſen.
Obwohl auch aus dieſen keinesweges ein allgemeines Geſetz
bildneriſcher, oder maleriſcher Anordnung abzuleiten iſt, da
mit jedem neuen Verhaͤltniß auch neue Foderungen eintreten,
ſo daß, was dort galt, hier ſchon nicht mehr anwendbar iſt.
Sind nun die Kuͤnſtler in dieſer Beziehung ganz auf Sinn
und Gefuͤhl angewieſen, ſo muͤſſen ſie auf alle Weiſe Bedacht
nehmen, dieſe Faͤhigkeiten durch Pruͤfung und Unterſcheidung
des Muſterhaften und Fehlerhaften zu ſchaͤrfen; um ſo mehr,
da die modernen Kunſtbegriffe der Compoſition und Gruppi-
rung, welche offenbar aus einer unbeſtimmten Wahrnehmung

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0107" n="89"/>
zuna&#x0364;ch&#x017F;t in der Baukun&#x017F;t, wo die&#x017F;e Foderungen einleuchtend<lb/>
wegfallen; in den Werken aber der dar&#x017F;tellenden Ku&#x0364;n&#x017F;te vor-<lb/>
nehmlich in &#x017F;olchen Dingen, welche in Bezug auf die Dar-<lb/>
&#x017F;tellung gleichgu&#x0364;ltig &#x017F;ind und mehr durch ein allgemeines Be-<lb/>
du&#x0364;rfniß der Fu&#x0364;llung des Leeren herbeygezogen werden.</p><lb/>
          <p>Wie die Vertheilung und Anordnung &#x017F;olcher Dinge auch<lb/>
in den dar&#x017F;tellenden Ku&#x0364;n&#x017F;ten an und fu&#x0364;r &#x017F;ich, je nachdem &#x017F;ie<lb/>
wild und verworren, oder gema&#x0364;ßigt und beruhigend ausgefal-<lb/>
len, einen Vorzug, oder Mangel begru&#x0364;nde, &#x017F;ehen wir bald<lb/>
in gei&#x017F;treichen und verdien&#x017F;tlichen Kun&#x017F;twerken, denen, gleich<lb/>
den mei&#x017F;ten ganz modernen, jene allgemeine Ueberein&#x017F;timmung<lb/>
fehlt; bald wieder in minder verdien&#x017F;tlichen, ja gei&#x017F;tlo&#x017F;en,<lb/>
welche, gleich geringeren Antiken, oder ma&#x0364;ßig wohlgedachten<lb/>
Malereyen des italieni&#x017F;chen Mittelalters, ihrer &#x017F;on&#x017F;tigen Ma&#x0364;n-<lb/>
gel ungeachtet, jenen wichtigen Kun&#x017F;tvortheil in u&#x0364;berra&#x017F;chender<lb/>
Vo&#x0364;lligkeit darlegen. In gro&#x0364;ßter Vollkommenheit indeß werden<lb/>
wir den allgemeinen Styl in den be&#x017F;ten Bildwerken des Alter-<lb/>
thumes wahrnehmen ko&#x0364;nnen, oder in den Gema&#x0364;lden der mitt-<lb/>
leren Laufbahn <persName ref="http://d-nb.info/gnd/118597787">Raphaels</persName> und &#x017F;einer vorzu&#x0364;glich&#x017F;ten Zeitgeno&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Obwohl auch aus die&#x017F;en keinesweges ein allgemeines Ge&#x017F;etz<lb/>
bildneri&#x017F;cher, oder maleri&#x017F;cher Anordnung abzuleiten i&#x017F;t, da<lb/>
mit jedem neuen Verha&#x0364;ltniß auch neue Foderungen eintreten,<lb/>
&#x017F;o daß, was dort galt, hier &#x017F;chon nicht mehr anwendbar i&#x017F;t.<lb/>
Sind nun die Ku&#x0364;n&#x017F;tler in die&#x017F;er Beziehung ganz auf Sinn<lb/>
und Gefu&#x0364;hl angewie&#x017F;en, &#x017F;o mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie auf alle Wei&#x017F;e Bedacht<lb/>
nehmen, die&#x017F;e Fa&#x0364;higkeiten durch Pru&#x0364;fung und Unter&#x017F;cheidung<lb/>
des Mu&#x017F;terhaften und Fehlerhaften zu &#x017F;cha&#x0364;rfen; um &#x017F;o mehr,<lb/>
da die modernen Kun&#x017F;tbegriffe der Compo&#x017F;ition und Gruppi-<lb/>
rung, welche offenbar aus einer unbe&#x017F;timmten Wahrnehmung<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[89/0107] zunaͤchſt in der Baukunſt, wo dieſe Foderungen einleuchtend wegfallen; in den Werken aber der darſtellenden Kuͤnſte vor- nehmlich in ſolchen Dingen, welche in Bezug auf die Dar- ſtellung gleichguͤltig ſind und mehr durch ein allgemeines Be- duͤrfniß der Fuͤllung des Leeren herbeygezogen werden. Wie die Vertheilung und Anordnung ſolcher Dinge auch in den darſtellenden Kuͤnſten an und fuͤr ſich, je nachdem ſie wild und verworren, oder gemaͤßigt und beruhigend ausgefal- len, einen Vorzug, oder Mangel begruͤnde, ſehen wir bald in geiſtreichen und verdienſtlichen Kunſtwerken, denen, gleich den meiſten ganz modernen, jene allgemeine Uebereinſtimmung fehlt; bald wieder in minder verdienſtlichen, ja geiſtloſen, welche, gleich geringeren Antiken, oder maͤßig wohlgedachten Malereyen des italieniſchen Mittelalters, ihrer ſonſtigen Maͤn- gel ungeachtet, jenen wichtigen Kunſtvortheil in uͤberraſchender Voͤlligkeit darlegen. In groͤßter Vollkommenheit indeß werden wir den allgemeinen Styl in den beſten Bildwerken des Alter- thumes wahrnehmen koͤnnen, oder in den Gemaͤlden der mitt- leren Laufbahn Raphaels und ſeiner vorzuͤglichſten Zeitgenoſſen. Obwohl auch aus dieſen keinesweges ein allgemeines Geſetz bildneriſcher, oder maleriſcher Anordnung abzuleiten iſt, da mit jedem neuen Verhaͤltniß auch neue Foderungen eintreten, ſo daß, was dort galt, hier ſchon nicht mehr anwendbar iſt. Sind nun die Kuͤnſtler in dieſer Beziehung ganz auf Sinn und Gefuͤhl angewieſen, ſo muͤſſen ſie auf alle Weiſe Bedacht nehmen, dieſe Faͤhigkeiten durch Pruͤfung und Unterſcheidung des Muſterhaften und Fehlerhaften zu ſchaͤrfen; um ſo mehr, da die modernen Kunſtbegriffe der Compoſition und Gruppi- rung, welche offenbar aus einer unbeſtimmten Wahrnehmung

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/107
Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/107>, abgerufen am 06.05.2024.