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Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827.

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der Vortheile guter Anordnung entstanden sind, auch wenn
sie weniger beschränkt aufgefaßt würden, als gemeinhin ge-
schieht, doch für das Bedürfniß nicht ausreichen dürften.

Dieser allgemeine Styl, welcher Kunstwerken wenigstens
so viel Vortheil bringt, als der Tact musicalischen Ausfüh-
rungen, scheint durchaus nur auf den frühesten Stufen der
Kunst sich zu regeln und auszubilden. Diese Erscheinung er-
kläre ich mir aus einer gedoppelten Ursache. Einmal gestattet
auf früheren Kunststufen die Einfachheit des Wollens und die-
sem entsprechender Formen der Darstellung die Aufmerksamkeit
ungetheilt auf die inneren Foderungen des derben Kunststoffes
zu lenken, den daher die Incunabeln antiker, wie neuerer
Kunst ohne Ausnahme und in jeder Beziehung nett und zweck-
gemäß zu behandeln pflegen. Zweytens aber entsteht beson-
ders eben der allgemeinste, räumliche Harmonie bezielende Styl
aus der Herrschaft, welche die Baukunst *) auf diesen frühe-
ren Stufen über die bildenden Künste auszuüben pflegt. Wie
überhaupt in der Baukunst (Zweck, Vernunft, Realität, Tüch-
tigkeit, vorausgesetzt, welche ein gesunder und geschärfter Sinn
hier nie ohne Widerwillen vermißt) alle Schönheit vornehm-
lich auf dem Verhältniß der Größen unter sich, wie zum
Ganzen beruhet, so gewöhnt sich auch der Bildner und Maler

*) Ich weiß nicht, in welchem Sinne Winckelmann (K. G.
Bch. IV. Kap. I. §. 29.) behauptet, daß bey den Griechen Bild-
nerey und Malerey eher, als die Baukunst, zu einer gewissen Voll-
kommenheit gelangt sey. Anders und weiter gebildet hat die Bau-
kunst sich allerdings in den späteren Zeiten des Alterthumes. In
wie fern sie aber im Zeitalter des Phidias und kurz vor ihm min-
der entwickelt gewesen, als die gleichzeitige Bildnerey, nun gar
als die Malerey, darüber läßt uns sowohl Winck., als seine Her-
ausgeber im Dunkeln.

der Vortheile guter Anordnung entſtanden ſind, auch wenn
ſie weniger beſchraͤnkt aufgefaßt wuͤrden, als gemeinhin ge-
ſchieht, doch fuͤr das Beduͤrfniß nicht ausreichen duͤrften.

Dieſer allgemeine Styl, welcher Kunſtwerken wenigſtens
ſo viel Vortheil bringt, als der Tact muſicaliſchen Ausfuͤh-
rungen, ſcheint durchaus nur auf den fruͤheſten Stufen der
Kunſt ſich zu regeln und auszubilden. Dieſe Erſcheinung er-
klaͤre ich mir aus einer gedoppelten Urſache. Einmal geſtattet
auf fruͤheren Kunſtſtufen die Einfachheit des Wollens und die-
ſem entſprechender Formen der Darſtellung die Aufmerkſamkeit
ungetheilt auf die inneren Foderungen des derben Kunſtſtoffes
zu lenken, den daher die Incunabeln antiker, wie neuerer
Kunſt ohne Ausnahme und in jeder Beziehung nett und zweck-
gemaͤß zu behandeln pflegen. Zweytens aber entſteht beſon-
ders eben der allgemeinſte, raͤumliche Harmonie bezielende Styl
aus der Herrſchaft, welche die Baukunſt *) auf dieſen fruͤhe-
ren Stufen uͤber die bildenden Kuͤnſte auszuuͤben pflegt. Wie
uͤberhaupt in der Baukunſt (Zweck, Vernunft, Realitaͤt, Tuͤch-
tigkeit, vorausgeſetzt, welche ein geſunder und geſchaͤrfter Sinn
hier nie ohne Widerwillen vermißt) alle Schoͤnheit vornehm-
lich auf dem Verhaͤltniß der Groͤßen unter ſich, wie zum
Ganzen beruhet, ſo gewoͤhnt ſich auch der Bildner und Maler

*) Ich weiß nicht, in welchem Sinne Winckelmann (K. G.
Bch. IV. Kap. I. §. 29.) behauptet, daß bey den Griechen Bild-
nerey und Malerey eher, als die Baukunſt, zu einer gewiſſen Voll-
kommenheit gelangt ſey. Anders und weiter gebildet hat die Bau-
kunſt ſich allerdings in den ſpaͤteren Zeiten des Alterthumes. In
wie fern ſie aber im Zeitalter des Phidias und kurz vor ihm min-
der entwickelt geweſen, als die gleichzeitige Bildnerey, nun gar
als die Malerey, daruͤber laͤßt uns ſowohl Winck., als ſeine Her-
ausgeber im Dunkeln.
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[90/0108] der Vortheile guter Anordnung entſtanden ſind, auch wenn ſie weniger beſchraͤnkt aufgefaßt wuͤrden, als gemeinhin ge- ſchieht, doch fuͤr das Beduͤrfniß nicht ausreichen duͤrften. Dieſer allgemeine Styl, welcher Kunſtwerken wenigſtens ſo viel Vortheil bringt, als der Tact muſicaliſchen Ausfuͤh- rungen, ſcheint durchaus nur auf den fruͤheſten Stufen der Kunſt ſich zu regeln und auszubilden. Dieſe Erſcheinung er- klaͤre ich mir aus einer gedoppelten Urſache. Einmal geſtattet auf fruͤheren Kunſtſtufen die Einfachheit des Wollens und die- ſem entſprechender Formen der Darſtellung die Aufmerkſamkeit ungetheilt auf die inneren Foderungen des derben Kunſtſtoffes zu lenken, den daher die Incunabeln antiker, wie neuerer Kunſt ohne Ausnahme und in jeder Beziehung nett und zweck- gemaͤß zu behandeln pflegen. Zweytens aber entſteht beſon- ders eben der allgemeinſte, raͤumliche Harmonie bezielende Styl aus der Herrſchaft, welche die Baukunſt *) auf dieſen fruͤhe- ren Stufen uͤber die bildenden Kuͤnſte auszuuͤben pflegt. Wie uͤberhaupt in der Baukunſt (Zweck, Vernunft, Realitaͤt, Tuͤch- tigkeit, vorausgeſetzt, welche ein geſunder und geſchaͤrfter Sinn hier nie ohne Widerwillen vermißt) alle Schoͤnheit vornehm- lich auf dem Verhaͤltniß der Groͤßen unter ſich, wie zum Ganzen beruhet, ſo gewoͤhnt ſich auch der Bildner und Maler *) Ich weiß nicht, in welchem Sinne Winckelmann (K. G. Bch. IV. Kap. I. §. 29.) behauptet, daß bey den Griechen Bild- nerey und Malerey eher, als die Baukunſt, zu einer gewiſſen Voll- kommenheit gelangt ſey. Anders und weiter gebildet hat die Bau- kunſt ſich allerdings in den ſpaͤteren Zeiten des Alterthumes. In wie fern ſie aber im Zeitalter des Phidias und kurz vor ihm min- der entwickelt geweſen, als die gleichzeitige Bildnerey, nun gar als die Malerey, daruͤber laͤßt uns ſowohl Winck., als ſeine Her- ausgeber im Dunkeln.

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Zitationshilfe: Rumohr, Karl Friedrich von: Italienische Forschungen. T. 1. Berlin u. a., 1827, S. 90. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rumohr_forschungen01_1827/108>, abgerufen am 28.11.2024.