Rückert, Friedrich: Die Weisheit des Brahmanen. Bd. 1. Leipzig, 1836.54. Der Geist des Menschen denkt nur durch den Gegensatz; Drum ist der Gegensatz im Denkgedicht am Platz. Auch im gefühlten Lied sind tiefe Gegensätze, Anmuthig überhüllt vom fließenden Geschwätze. Wo des Gefühles Flut an Felsen scharfgezackt Der Leidenschaft sich bricht, sinds Gegensätze nackt. 55. So sprach Saraswati, des Brahma hohes Weib, Als sie schuf Poesie zu Götterzeitvertreib: Du sollst, geflügelt Kind, die Götter stets umschweben, Denn schwunglos ohne dich im Himmel wär' ihr Leben. Wenn dirs gelungen ist in Schlummer sie zu wiegen, Vom Himmel darfst du dann zur Erde niederfliegen. Den Menschen magst du dort vom Götterhaushalt plaudern, Doch so daß sie's erfreut, nicht so daß sie erschaudern. 54. Der Geiſt des Menſchen denkt nur durch den Gegenſatz; Drum iſt der Gegenſatz im Denkgedicht am Platz. Auch im gefuͤhlten Lied ſind tiefe Gegenſaͤtze, Anmuthig uͤberhuͤllt vom fließenden Geſchwaͤtze. Wo des Gefuͤhles Flut an Felſen ſcharfgezackt Der Leidenſchaft ſich bricht, ſinds Gegenſaͤtze nackt. 55. So ſprach Saraswati, des Brahma hohes Weib, Als ſie ſchuf Poeſie zu Goͤtterzeitvertreib: Du ſollſt, gefluͤgelt Kind, die Goͤtter ſtets umſchweben, Denn ſchwunglos ohne dich im Himmel waͤr' ihr Leben. Wenn dirs gelungen iſt in Schlummer ſie zu wiegen, Vom Himmel darfſt du dann zur Erde niederfliegen. Den Menſchen magſt du dort vom Goͤtterhaushalt plaudern, Doch ſo daß ſie's erfreut, nicht ſo daß ſie erſchaudern. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0056" n="46"/> <div n="2"> <head>54.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Der Geiſt des Menſchen denkt nur durch den Gegenſatz;</l><lb/> <l>Drum iſt der Gegenſatz im Denkgedicht am Platz.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Auch im gefuͤhlten Lied ſind tiefe Gegenſaͤtze,</l><lb/> <l>Anmuthig uͤberhuͤllt vom fließenden Geſchwaͤtze.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Wo des Gefuͤhles Flut an Felſen ſcharfgezackt</l><lb/> <l>Der Leidenſchaft ſich bricht, ſinds Gegenſaͤtze nackt.</l> </lg><lb/> </lg> </div> <milestone rendition="#hr" unit="section"/> <div n="2"> <head>55.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>So ſprach <hi rendition="#g">Saraswati</hi>, des <hi rendition="#g">Brahma</hi> hohes Weib,</l><lb/> <l>Als ſie ſchuf Poeſie zu Goͤtterzeitvertreib:</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Du ſollſt, gefluͤgelt Kind, die Goͤtter ſtets umſchweben,</l><lb/> <l>Denn ſchwunglos ohne dich im Himmel waͤr' ihr Leben.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Wenn dirs gelungen iſt in Schlummer ſie zu wiegen,</l><lb/> <l>Vom Himmel darfſt du dann zur Erde niederfliegen.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Den Menſchen magſt du dort vom Goͤtterhaushalt plaudern,</l><lb/> <l>Doch ſo daß ſie's erfreut, nicht ſo daß ſie erſchaudern.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [46/0056]
54.
Der Geiſt des Menſchen denkt nur durch den Gegenſatz;
Drum iſt der Gegenſatz im Denkgedicht am Platz.
Auch im gefuͤhlten Lied ſind tiefe Gegenſaͤtze,
Anmuthig uͤberhuͤllt vom fließenden Geſchwaͤtze.
Wo des Gefuͤhles Flut an Felſen ſcharfgezackt
Der Leidenſchaft ſich bricht, ſinds Gegenſaͤtze nackt.
55.
So ſprach Saraswati, des Brahma hohes Weib,
Als ſie ſchuf Poeſie zu Goͤtterzeitvertreib:
Du ſollſt, gefluͤgelt Kind, die Goͤtter ſtets umſchweben,
Denn ſchwunglos ohne dich im Himmel waͤr' ihr Leben.
Wenn dirs gelungen iſt in Schlummer ſie zu wiegen,
Vom Himmel darfſt du dann zur Erde niederfliegen.
Den Menſchen magſt du dort vom Goͤtterhaushalt plaudern,
Doch ſo daß ſie's erfreut, nicht ſo daß ſie erſchaudern.
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