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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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ten, kamen bald noch drei andere verwais'te Klei-
nen hinzu.

Mit diesen sechs Kleinen ward das neue Leben
dieser heitern Familie begonnen. Bruno wid-
mete sich dem Landbau und den Lieblingswissen-
schaften. Er bauete das Eigenthum des Pfar-
rers, welches ehedem verpachtet war, da die Län-
dereien der Pfarre ihn hinlänglich beschäftigt hat-
ten. Jetzt übernahm Bruno beides. Der Pfar-
rer lebte nun ausschließend seinen Kindern und
seiner Gemeine, welche ihn einmüthig wie einen
Vater, ja wie einen Apostel des Herrn ehrte.
Mit dem ernsteren Zeitpunkte des Lebens, wel-
chen man noch nicht wohl Alter benennen kann,
ward sein Gemüth immer stiller aber heiterer. --
Der Gedanke an seine Deborah hatte die Schärfe
seines Stachels verloren, und vermischte sich un-
vermerkt mit jener Sehnsucht nach dem Bessern,
welche schöne Gemüther oft schon am Morgen des
Lebens mächtig ergreift, dann später durch die
wirklichen Freuden und Sorgen des Lebens zu-
rückgedrängt oder eingeschläfert wird, bis sie end-
lich, so wie der Abend näher kommt, und so man-



ten, kamen bald noch drei andere verwaiſ’te Klei-
nen hinzu.

Mit dieſen ſechs Kleinen ward das neue Leben
dieſer heitern Familie begonnen. Bruno wid-
mete ſich dem Landbau und den Lieblingswiſſen-
ſchaften. Er bauete das Eigenthum des Pfar-
rers, welches ehedem verpachtet war, da die Län-
dereien der Pfarre ihn hinlänglich beſchäftigt hat-
ten. Jetzt übernahm Bruno beides. Der Pfar-
rer lebte nun ausſchließend ſeinen Kindern und
ſeiner Gemeine, welche ihn einmüthig wie einen
Vater, ja wie einen Apoſtel des Herrn ehrte.
Mit dem ernſteren Zeitpunkte des Lebens, wel-
chen man noch nicht wohl Alter benennen kann,
ward ſein Gemüth immer ſtiller aber heiterer. —
Der Gedanke an ſeine Deborah hatte die Schärfe
ſeines Stachels verloren, und vermiſchte ſich un-
vermerkt mit jener Sehnſucht nach dem Beſſern,
welche ſchöne Gemüther oft ſchon am Morgen des
Lebens mächtig ergreift, dann ſpäter durch die
wirklichen Freuden und Sorgen des Lebens zu-
rückgedrängt oder eingeſchläfert wird, bis ſie end-
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[404/0412] ten, kamen bald noch drei andere verwaiſ’te Klei- nen hinzu. Mit dieſen ſechs Kleinen ward das neue Leben dieſer heitern Familie begonnen. Bruno wid- mete ſich dem Landbau und den Lieblingswiſſen- ſchaften. Er bauete das Eigenthum des Pfar- rers, welches ehedem verpachtet war, da die Län- dereien der Pfarre ihn hinlänglich beſchäftigt hat- ten. Jetzt übernahm Bruno beides. Der Pfar- rer lebte nun ausſchließend ſeinen Kindern und ſeiner Gemeine, welche ihn einmüthig wie einen Vater, ja wie einen Apoſtel des Herrn ehrte. Mit dem ernſteren Zeitpunkte des Lebens, wel- chen man noch nicht wohl Alter benennen kann, ward ſein Gemüth immer ſtiller aber heiterer. — Der Gedanke an ſeine Deborah hatte die Schärfe ſeines Stachels verloren, und vermiſchte ſich un- vermerkt mit jener Sehnſucht nach dem Beſſern, welche ſchöne Gemüther oft ſchon am Morgen des Lebens mächtig ergreift, dann ſpäter durch die wirklichen Freuden und Sorgen des Lebens zu- rückgedrängt oder eingeſchläfert wird, bis ſie end- lich, ſo wie der Abend näher kommt, und ſo man-

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/412>, abgerufen am 29.03.2024.