die Tugend selbst aus keiner andern Quelle ent- springen, als aus der Ehrliebe. Jn diesem Sinne dürfen wir das Wort aber nicht nehmen, denn sonst wäre die Tugend des edlen Pferdes und des Elephanten größer als die eines Menschen, selbst des edelsten Menschen. Wenn wir nun das dar- unter verstehen, was der denkende Geist aller Zei- ten doch mit ihr gemeint hat, obgleich es nicht immer bestimmt ausgesprochen wurde, wenn sie die Richtung der gesammten Kraft zu dem ist, was der Gott in uns unbedingt fordert, und um sein selbst willen fordert, so kann von der Ehrliebe (auch bei Männern) nicht mehr, als von der er- sten einzigen Quelle der Tugend die Rede seyn. Aus ihr kann nur das hervorgehen, worüber die Menge Richter ist, und das allein ist ihr Werk.
Was aber ist von der Ehrbegierde zu halten, als Mittel zur Erzielung des Edlen und Schönen im Weibe? Kann sie die Blüthen der Weiblichkeit belebend anhauchen? Soll diese Blüthe sich vor den Augen der beifallgebenden Welt entfalten? oder soll sie ganz im Schatten frommer Häuslich-
die Tugend ſelbſt aus keiner andern Quelle ent- ſpringen, als aus der Ehrliebe. Jn dieſem Sinne dürfen wir das Wort aber nicht nehmen, denn ſonſt wäre die Tugend des edlen Pferdes und des Elephanten größer als die eines Menſchen, ſelbſt des edelſten Menſchen. Wenn wir nun das dar- unter verſtehen, was der denkende Geiſt aller Zei- ten doch mit ihr gemeint hat, obgleich es nicht immer beſtimmt ausgeſprochen wurde, wenn ſie die Richtung der geſammten Kraft zu dem iſt, was der Gott in uns unbedingt fordert, und um ſein ſelbſt willen fordert, ſo kann von der Ehrliebe (auch bei Männern) nicht mehr, als von der er- ſten einzigen Quelle der Tugend die Rede ſeyn. Aus ihr kann nur das hervorgehen, worüber die Menge Richter iſt, und das allein iſt ihr Werk.
Was aber iſt von der Ehrbegierde zu halten, als Mittel zur Erzielung des Edlen und Schönen im Weibe? Kann ſie die Blüthen der Weiblichkeit belebend anhauchen? Soll dieſe Blüthe ſich vor den Augen der beifallgebenden Welt entfalten? oder ſoll ſie ganz im Schatten frommer Häuslich-
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die Tugend ſelbſt aus keiner andern Quelle ent-
ſpringen, als aus der Ehrliebe. Jn dieſem Sinne
dürfen wir das Wort aber nicht nehmen, denn
ſonſt wäre die Tugend des edlen Pferdes und des
Elephanten größer als die eines Menſchen, ſelbſt
des edelſten Menſchen. Wenn wir nun das dar-
unter verſtehen, was der denkende Geiſt aller Zei-
ten doch mit ihr gemeint hat, obgleich es nicht
immer beſtimmt ausgeſprochen wurde, wenn ſie
die Richtung der geſammten Kraft zu dem iſt, was
der Gott in uns unbedingt fordert, und um ſein
ſelbſt willen fordert, ſo kann von der Ehrliebe
(auch bei Männern) nicht mehr, als von der er-
ſten einzigen Quelle der Tugend die Rede ſeyn.
Aus ihr kann nur das hervorgehen, worüber die
Menge Richter iſt, und das allein iſt ihr Werk.
Was aber iſt von der Ehrbegierde zu halten,
als Mittel zur Erzielung des Edlen und Schönen
im Weibe? Kann ſie die Blüthen der Weiblichkeit
belebend anhauchen? Soll dieſe Blüthe ſich vor
den Augen der beifallgebenden Welt entfalten?
oder ſoll ſie ganz im Schatten frommer Häuslich-
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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 264. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/272>, abgerufen am 16.02.2025.
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