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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807.

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aber nicht ganz -- dann denk ich, wenn ihr alle
beisammen seyd, Du willst nun auch hinein gehen,
und wieder lustig seyn, wie vor drei bis vier Jah-
ren, und dem Bruder um den Hals fallen, und
euch alle sagen, wie lieb ich euch habe, aber ich
kann es nicht mehr, am wenigsten, wenn Platov
dabei ist, und ich weiß es doch nicht warum ich
mich vor ihm schämen -- verbergen möchte; --
er ist doch so sehr gut. Bin ich denn nicht mehr
was ich war. Bin ich kein gutes Kind mehr? --
oder warum fürchte ich mich, ihn anzusehen? Und
ich kann doch alle andere so ruhig anblicken. Nur
vor dir, liebste Tante, hätte ich mich auch scheuen
müssen, wenn ich nicht bald zu dir gekommen wäre,
und Dir so recht von Herzensgrund gesagt, wie
mirs ist. -- Das würde mich sehr betrübt haben,
mein gutes Kind. Jhr wißt es ja, ich lebe nur in
eurem Vertrauen, in eurer Liebe mein schönstes
Leben. -- O süße Tante, nun ich einmal ein Herz
gefaßt habe, Dir alles zu sagen, was mich quält
und freut, nun kann sich nichts mehr zwischen Dich
und mich stellen. -- Und Du mußt alles wissen.
Jetzt verstehe ich das wohl, was Du mir einmal von

aber nicht ganz — dann denk ich, wenn ihr alle
beiſammen ſeyd, Du willſt nun auch hinein gehen,
und wieder luſtig ſeyn, wie vor drei bis vier Jah-
ren, und dem Bruder um den Hals fallen, und
euch alle ſagen, wie lieb ich euch habe, aber ich
kann es nicht mehr, am wenigſten, wenn Platov
dabei iſt, und ich weiß es doch nicht warum ich
mich vor ihm ſchämen — verbergen möchte; —
er iſt doch ſo ſehr gut. Bin ich denn nicht mehr
was ich war. Bin ich kein gutes Kind mehr? —
oder warum fürchte ich mich, ihn anzuſehen? Und
ich kann doch alle andere ſo ruhig anblicken. Nur
vor dir, liebſte Tante, hätte ich mich auch ſcheuen
müſſen, wenn ich nicht bald zu dir gekommen wäre,
und Dir ſo recht von Herzensgrund geſagt, wie
mirs iſt. — Das würde mich ſehr betrübt haben,
mein gutes Kind. Jhr wißt es ja, ich lebe nur in
eurem Vertrauen, in eurer Liebe mein ſchönſtes
Leben. — O ſüße Tante, nun ich einmal ein Herz
gefaßt habe, Dir alles zu ſagen, was mich quält
und freut, nun kann ſich nichts mehr zwiſchen Dich
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[148/0156] aber nicht ganz — dann denk ich, wenn ihr alle beiſammen ſeyd, Du willſt nun auch hinein gehen, und wieder luſtig ſeyn, wie vor drei bis vier Jah- ren, und dem Bruder um den Hals fallen, und euch alle ſagen, wie lieb ich euch habe, aber ich kann es nicht mehr, am wenigſten, wenn Platov dabei iſt, und ich weiß es doch nicht warum ich mich vor ihm ſchämen — verbergen möchte; — er iſt doch ſo ſehr gut. Bin ich denn nicht mehr was ich war. Bin ich kein gutes Kind mehr? — oder warum fürchte ich mich, ihn anzuſehen? Und ich kann doch alle andere ſo ruhig anblicken. Nur vor dir, liebſte Tante, hätte ich mich auch ſcheuen müſſen, wenn ich nicht bald zu dir gekommen wäre, und Dir ſo recht von Herzensgrund geſagt, wie mirs iſt. — Das würde mich ſehr betrübt haben, mein gutes Kind. Jhr wißt es ja, ich lebe nur in eurem Vertrauen, in eurer Liebe mein ſchönſtes Leben. — O ſüße Tante, nun ich einmal ein Herz gefaßt habe, Dir alles zu ſagen, was mich quält und freut, nun kann ſich nichts mehr zwiſchen Dich und mich ſtellen. — Und Du mußt alles wiſſen. Jetzt verſtehe ich das wohl, was Du mir einmal von

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 2. Heidelberg, 1807, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung02_1807/156>, abgerufen am 07.05.2024.