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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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auf dem ausgebreiteten Teppich auf dem Boden
herum spielen. Auch muß Gertrud sie mitunter
noch tragen; aber abwechselnd auf beiden Armen,
nie sehr lang auf einem. Daß Du mit der ge-
lehrigen Gertrud so gut fortkommst, ist ein wah-
res Glück. Sage ihr von meinetwegen, daß
ich sie sehr werth halte. Jch weiß wohl, daß die
redliche Seele keiner goldenen Belohnungen be-
darf; aber ich schicke ihr mit diesem Briefe ein
goldenes Herz, das soll sie zu meinem Andenken
auf ihrer Brust tragen, und sich dabei meiner
Wünsche für Jda erinnern. Auf der einen Seite
steht mein Name, auf der andern: Gedenke mein!
Das erklärt meine Freundin ihr so: "wenn ihr
weiches Herz die Gute sollte verleiten wollen,
Jda's kleinen eigensinnigen Launen nachzugeben,
dann soll sie meiner gedenken und -- widerstehen.
Auch soll sie sich Gewalt anthun lernen, und den
holden Engel nicht zu oft küssen." -- Hörst Du,
Beste? daran soll das goldene Herz sie mahnen.

Jch kenne gute Menschen genug, die sich an
solche Sorgfalt stoßen, sie für pedantisch, we-



auf dem ausgebreiteten Teppich auf dem Boden
herum ſpielen. Auch muß Gertrud ſie mitunter
noch tragen; aber abwechſelnd auf beiden Armen,
nie ſehr lang auf einem. Daß Du mit der ge-
lehrigen Gertrud ſo gut fortkommſt, iſt ein wah-
res Glück. Sage ihr von meinetwegen, daß
ich ſie ſehr werth halte. Jch weiß wohl, daß die
redliche Seele keiner goldenen Belohnungen be-
darf; aber ich ſchicke ihr mit dieſem Briefe ein
goldenes Herz, das ſoll ſie zu meinem Andenken
auf ihrer Bruſt tragen, und ſich dabei meiner
Wünſche für Jda erinnern. Auf der einen Seite
ſteht mein Name, auf der andern: Gedenke mein!
Das erklärt meine Freundin ihr ſo: „wenn ihr
weiches Herz die Gute ſollte verleiten wollen,
Jda’s kleinen eigenſinnigen Launen nachzugeben,
dann ſoll ſie meiner gedenken und — widerſtehen.
Auch ſoll ſie ſich Gewalt anthun lernen, und den
holden Engel nicht zu oft küſſen.‟ — Hörſt Du,
Beſte? daran ſoll das goldene Herz ſie mahnen.

Jch kenne gute Menſchen genug, die ſich an
ſolche Sorgfalt ſtoßen, ſie für pedantiſch, we-

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[39/0053] auf dem ausgebreiteten Teppich auf dem Boden herum ſpielen. Auch muß Gertrud ſie mitunter noch tragen; aber abwechſelnd auf beiden Armen, nie ſehr lang auf einem. Daß Du mit der ge- lehrigen Gertrud ſo gut fortkommſt, iſt ein wah- res Glück. Sage ihr von meinetwegen, daß ich ſie ſehr werth halte. Jch weiß wohl, daß die redliche Seele keiner goldenen Belohnungen be- darf; aber ich ſchicke ihr mit dieſem Briefe ein goldenes Herz, das ſoll ſie zu meinem Andenken auf ihrer Bruſt tragen, und ſich dabei meiner Wünſche für Jda erinnern. Auf der einen Seite ſteht mein Name, auf der andern: Gedenke mein! Das erklärt meine Freundin ihr ſo: „wenn ihr weiches Herz die Gute ſollte verleiten wollen, Jda’s kleinen eigenſinnigen Launen nachzugeben, dann ſoll ſie meiner gedenken und — widerſtehen. Auch ſoll ſie ſich Gewalt anthun lernen, und den holden Engel nicht zu oft küſſen.‟ — Hörſt Du, Beſte? daran ſoll das goldene Herz ſie mahnen. Jch kenne gute Menſchen genug, die ſich an ſolche Sorgfalt ſtoßen, ſie für pedantiſch, we-

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/53>, abgerufen am 12.10.2024.