Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Jda. Geht denn das mehr guten Menschen
so, beste Tante?

Jch. Ja, es geht mehr Menschen so, die ei-
nigen guten Willen haben, daß sie doch verkehrt
handeln können.

Mathilde. Ach, beste Tante! so geht es mir
ja auch. Kann man denn aber ganz schlecht wer-
den, so lange man guten Willen behält?

Jch. Nein, liebe Mathilde! Aber wer recht
gut
werden will, muß früh anfangen, zu wol-
len,
und recht kräftig und immerfort zu wollen.

Jda. Und das hat Paul wohl nicht gethan?

Jch. Von Paul wollen wir hernach reden,
liebes Herz! Mathilde hat noch eine Frage auf
der Lippe.

Mathilde. Ja, beste Tante! Jch wollte so
gern wissen, ob das ganz meine Schuld ist, daß
ich oft so verkehrte Gedanken habe, und daß ich
oft in mir so ärgerlich bin, und so mißvergnügt
mit Allem. Ein andermal muß ich denn dasselbe
wieder lieben, was mir in den bösen Stunden so

(29)

Jda. Geht denn das mehr guten Menſchen
ſo, beſte Tante?

Jch. Ja, es geht mehr Menſchen ſo, die ei-
nigen guten Willen haben, daß ſie doch verkehrt
handeln können.

Mathilde. Ach, beſte Tante! ſo geht es mir
ja auch. Kann man denn aber ganz ſchlecht wer-
den, ſo lange man guten Willen behält?

Jch. Nein, liebe Mathilde! Aber wer recht
gut
werden will, muß früh anfangen, zu wol-
len,
und recht kräftig und immerfort zu wollen.

Jda. Und das hat Paul wohl nicht gethan?

Jch. Von Paul wollen wir hernach reden,
liebes Herz! Mathilde hat noch eine Frage auf
der Lippe.

Mathilde. Ja, beſte Tante! Jch wollte ſo
gern wiſſen, ob das ganz meine Schuld iſt, daß
ich oft ſo verkehrte Gedanken habe, und daß ich
oft in mir ſo ärgerlich bin, und ſo mißvergnügt
mit Allem. Ein andermal muß ich denn daſſelbe
wieder lieben, was mir in den böſen Stunden ſo

(29)
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0239" n="225"/>
          <p><hi rendition="#g">Jda</hi>. Geht denn das mehr guten Men&#x017F;chen<lb/>
&#x017F;o, be&#x017F;te Tante?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Jch</hi>. Ja, es geht mehr Men&#x017F;chen &#x017F;o, die ei-<lb/>
nigen guten Willen haben, daß &#x017F;ie doch verkehrt<lb/>
handeln können.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Mathilde</hi>. Ach, be&#x017F;te Tante! &#x017F;o geht es mir<lb/>
ja auch. Kann man denn aber ganz &#x017F;chlecht wer-<lb/>
den, &#x017F;o lange man guten Willen behält?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Jch</hi>. Nein, liebe Mathilde! Aber wer <hi rendition="#g">recht<lb/>
gut</hi> werden will, muß früh anfangen, zu <hi rendition="#g">wol-<lb/>
len,</hi> und recht kräftig und immerfort zu <hi rendition="#g">wollen</hi>.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Jda</hi>. Und das hat Paul wohl nicht gethan?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Jch</hi>. Von Paul wollen wir hernach reden,<lb/>
liebes Herz! Mathilde hat noch eine Frage auf<lb/>
der Lippe.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Mathilde</hi>. Ja, be&#x017F;te Tante! Jch wollte &#x017F;o<lb/>
gern wi&#x017F;&#x017F;en, ob das ganz meine Schuld i&#x017F;t, daß<lb/>
ich oft &#x017F;o verkehrte Gedanken habe, und daß ich<lb/>
oft in mir &#x017F;o ärgerlich bin, und &#x017F;o mißvergnügt<lb/>
mit Allem. Ein andermal muß ich denn da&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
wieder lieben, was mir in den bö&#x017F;en Stunden &#x017F;o<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">(29)</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[225/0239] Jda. Geht denn das mehr guten Menſchen ſo, beſte Tante? Jch. Ja, es geht mehr Menſchen ſo, die ei- nigen guten Willen haben, daß ſie doch verkehrt handeln können. Mathilde. Ach, beſte Tante! ſo geht es mir ja auch. Kann man denn aber ganz ſchlecht wer- den, ſo lange man guten Willen behält? Jch. Nein, liebe Mathilde! Aber wer recht gut werden will, muß früh anfangen, zu wol- len, und recht kräftig und immerfort zu wollen. Jda. Und das hat Paul wohl nicht gethan? Jch. Von Paul wollen wir hernach reden, liebes Herz! Mathilde hat noch eine Frage auf der Lippe. Mathilde. Ja, beſte Tante! Jch wollte ſo gern wiſſen, ob das ganz meine Schuld iſt, daß ich oft ſo verkehrte Gedanken habe, und daß ich oft in mir ſo ärgerlich bin, und ſo mißvergnügt mit Allem. Ein andermal muß ich denn daſſelbe wieder lieben, was mir in den böſen Stunden ſo (29)

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/239
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/239>, abgerufen am 22.11.2024.