Die beiden Kinder saßen sehr traulich in einem Fensterbänkchen. Jch sah, daß sie viel nach mir hinsahen, als ob sie etwas auf dem Herzen hät- ten. Mathilde stand zuerst auf, trat zu mir, und sagte: "Tante, wir Beide haben dich etwas zu fragen."
Jch. Was denn, Kinder? Setzt euch näher zu mir, und laßt mich hören.
Mathilde. Hast du uns nicht gesagt, jeder Mensch, der nur recht wollte, könne immer ver- ständig und gut seyn? Jeder Mensch, ohne Aus- nahme?
Jch. Jeder, der recht von Herzen will, kann gut seyn, das habe ich gesagt, und so ist es. Kein Mensch ist je in der Nothwendigkeit, schlecht zu seyn.
Jda. Warum ist denn nun Paul nicht gut? Hat der nicht recht von ganzem Herzen gewollt? O! ich kann das gar nicht begreifen.
Jch. Paul ist nicht böse. Die schlimme Ge- wohnheit ist nur stärker, als er, und hat ihn, Gott weiß, wie? einmal wieder überrascht.
Die beiden Kinder ſaßen ſehr traulich in einem Fenſterbänkchen. Jch ſah, daß ſie viel nach mir hinſahen, als ob ſie etwas auf dem Herzen hät- ten. Mathilde ſtand zuerſt auf, trat zu mir, und ſagte: „Tante, wir Beide haben dich etwas zu fragen.‟
Jch. Was denn, Kinder? Setzt euch näher zu mir, und laßt mich hören.
Mathilde. Haſt du uns nicht geſagt, jeder Menſch, der nur recht wollte, könne immer ver- ſtändig und gut ſeyn? Jeder Menſch, ohne Aus- nahme?
Jch. Jeder, der recht von Herzen will, kann gut ſeyn, das habe ich geſagt, und ſo iſt es. Kein Menſch iſt je in der Nothwendigkeit, ſchlecht zu ſeyn.
Jda. Warum iſt denn nun Paul nicht gut? Hat der nicht recht von ganzem Herzen gewollt? O! ich kann das gar nicht begreifen.
Jch. Paul iſt nicht böſe. Die ſchlimme Ge- wohnheit iſt nur ſtärker, als er, und hat ihn, Gott weiß, wie? einmal wieder überraſcht.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0238"n="224"/><p>Die beiden Kinder ſaßen ſehr traulich in einem<lb/>
Fenſterbänkchen. Jch ſah, daß ſie viel nach mir<lb/>
hinſahen, als ob ſie etwas auf dem Herzen hät-<lb/>
ten. Mathilde ſtand zuerſt auf, trat zu mir, und<lb/>ſagte: „Tante, wir Beide haben dich etwas zu<lb/>
fragen.‟</p><lb/><p><hirendition="#g">Jch</hi>. Was denn, Kinder? Setzt euch näher zu<lb/>
mir, und laßt mich hören.</p><lb/><p><hirendition="#g">Mathilde</hi>. Haſt du uns nicht geſagt, jeder<lb/>
Menſch, der nur recht wollte, könne immer ver-<lb/>ſtändig und gut ſeyn? Jeder Menſch, ohne Aus-<lb/>
nahme?</p><lb/><p><hirendition="#g">Jch</hi>. Jeder, der recht von Herzen will, kann<lb/>
gut ſeyn, das habe ich geſagt, und ſo iſt es. Kein<lb/>
Menſch iſt je in der Nothwendigkeit, ſchlecht zu<lb/>ſeyn.</p><lb/><p><hirendition="#g">Jda</hi>. Warum iſt denn nun Paul nicht gut?<lb/>
Hat der nicht recht von ganzem Herzen gewollt?<lb/>
O! ich kann das gar nicht begreifen.</p><lb/><p><hirendition="#g">Jch</hi>. Paul iſt nicht böſe. Die ſchlimme Ge-<lb/>
wohnheit iſt nur ſtärker, als er, und hat ihn, Gott<lb/>
weiß, wie? einmal wieder überraſcht.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[224/0238]
Die beiden Kinder ſaßen ſehr traulich in einem
Fenſterbänkchen. Jch ſah, daß ſie viel nach mir
hinſahen, als ob ſie etwas auf dem Herzen hät-
ten. Mathilde ſtand zuerſt auf, trat zu mir, und
ſagte: „Tante, wir Beide haben dich etwas zu
fragen.‟
Jch. Was denn, Kinder? Setzt euch näher zu
mir, und laßt mich hören.
Mathilde. Haſt du uns nicht geſagt, jeder
Menſch, der nur recht wollte, könne immer ver-
ſtändig und gut ſeyn? Jeder Menſch, ohne Aus-
nahme?
Jch. Jeder, der recht von Herzen will, kann
gut ſeyn, das habe ich geſagt, und ſo iſt es. Kein
Menſch iſt je in der Nothwendigkeit, ſchlecht zu
ſeyn.
Jda. Warum iſt denn nun Paul nicht gut?
Hat der nicht recht von ganzem Herzen gewollt?
O! ich kann das gar nicht begreifen.
Jch. Paul iſt nicht böſe. Die ſchlimme Ge-
wohnheit iſt nur ſtärker, als er, und hat ihn, Gott
weiß, wie? einmal wieder überraſcht.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/238>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.