Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

Jch gab nach. Die Magd kam wieder mit dem
Bescheide, er sey nicht krank, könne aber nicht
kommen, und wolle auch das Geld nicht. Diese
Antwort betrübte das Kind sehr, und ich selbst
war davon betroffen, obwohl ich anfing, zu ahnen,
wie es damit sey. Jch schickte noch einmal
hin, und ließ ihm sagen, er solle entweder heute
kommen, wenn er nicht krank sey, oder er werde
Jda niemals wieder sehen. Das half. Er kam;
aber sein Anblick ging mir durch die Seele. Be-
schämt und verwirrt im höchsten Grade stand er
vor mir. Es freute mich, daß Jda nicht gleich
zugegen war.

Jch. Warum wolltest du nicht kommen, Paul?
Du hast Jda sehr betrübt.

Paul. Ach! weil ich mich vor dem Engel zu
sehr schämen müßte.

Jch. Was hast du gemacht, Paul? Du machst
mich ganz unruhig. Sag', was hast du gethan?

Paul. Mein Gelübde habe ich gebrochen.

Jch gab nach. Die Magd kam wieder mit dem
Beſcheide, er ſey nicht krank, könne aber nicht
kommen, und wolle auch das Geld nicht. Dieſe
Antwort betrübte das Kind ſehr, und ich ſelbſt
war davon betroffen, obwohl ich anfing, zu ahnen,
wie es damit ſey. Jch ſchickte noch einmal
hin, und ließ ihm ſagen, er ſolle entweder heute
kommen, wenn er nicht krank ſey, oder er werde
Jda niemals wieder ſehen. Das half. Er kam;
aber ſein Anblick ging mir durch die Seele. Be-
ſchämt und verwirrt im höchſten Grade ſtand er
vor mir. Es freute mich, daß Jda nicht gleich
zugegen war.

Jch. Warum wollteſt du nicht kommen, Paul?
Du haſt Jda ſehr betrübt.

Paul. Ach! weil ich mich vor dem Engel zu
ſehr ſchämen müßte.

Jch. Was haſt du gemacht, Paul? Du machſt
mich ganz unruhig. Sag’, was haſt du gethan?

Paul. Mein Gelübde habe ich gebrochen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0233" n="219"/>
          <p>Jch gab nach. Die Magd kam wieder mit dem<lb/>
Be&#x017F;cheide, er &#x017F;ey nicht krank, könne aber nicht<lb/>
kommen, und wolle auch das Geld nicht. Die&#x017F;e<lb/>
Antwort betrübte das Kind &#x017F;ehr, und ich &#x017F;elb&#x017F;t<lb/>
war davon betroffen, obwohl ich anfing, zu ahnen,<lb/>
wie es damit &#x017F;ey. Jch &#x017F;chickte noch einmal<lb/>
hin, und ließ ihm &#x017F;agen, er &#x017F;olle entweder heute<lb/>
kommen, wenn er nicht krank &#x017F;ey, oder er werde<lb/>
Jda niemals wieder &#x017F;ehen. Das half. Er kam;<lb/>
aber &#x017F;ein Anblick ging mir durch die Seele. Be-<lb/>
&#x017F;chämt und verwirrt im höch&#x017F;ten Grade &#x017F;tand er<lb/>
vor mir. Es freute mich, daß Jda nicht gleich<lb/>
zugegen war.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Jch</hi>. Warum wollte&#x017F;t du nicht kommen, Paul?<lb/>
Du ha&#x017F;t Jda &#x017F;ehr betrübt.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Paul</hi>. Ach! weil ich mich vor dem Engel zu<lb/>
&#x017F;ehr &#x017F;chämen müßte.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Jch</hi>. Was ha&#x017F;t du gemacht, Paul? Du mach&#x017F;t<lb/>
mich ganz unruhig. Sag&#x2019;, was ha&#x017F;t du gethan?</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Paul</hi>. Mein Gelübde habe ich gebrochen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[219/0233] Jch gab nach. Die Magd kam wieder mit dem Beſcheide, er ſey nicht krank, könne aber nicht kommen, und wolle auch das Geld nicht. Dieſe Antwort betrübte das Kind ſehr, und ich ſelbſt war davon betroffen, obwohl ich anfing, zu ahnen, wie es damit ſey. Jch ſchickte noch einmal hin, und ließ ihm ſagen, er ſolle entweder heute kommen, wenn er nicht krank ſey, oder er werde Jda niemals wieder ſehen. Das half. Er kam; aber ſein Anblick ging mir durch die Seele. Be- ſchämt und verwirrt im höchſten Grade ſtand er vor mir. Es freute mich, daß Jda nicht gleich zugegen war. Jch. Warum wollteſt du nicht kommen, Paul? Du haſt Jda ſehr betrübt. Paul. Ach! weil ich mich vor dem Engel zu ſehr ſchämen müßte. Jch. Was haſt du gemacht, Paul? Du machſt mich ganz unruhig. Sag’, was haſt du gethan? Paul. Mein Gelübde habe ich gebrochen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/233
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/233>, abgerufen am 09.10.2024.