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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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Sie entfernte sich, um, wie sie sagte, bis zur
Stunde in den Garten zu gehen. Jda blieb al-
lein bei mir im Zimmer.

Jda, sagt' ich, worüber mag Mathilde traurig
seyn? du hast ihr doch nichts zu leide gethan?
Nein, Tante, gewiß nicht. Jch weiß auch gar
nicht, was ihr oft fehlt; dann bitte ich sie, sie
soll doch vergnügt seyn, und dann verspricht sie
es mir auch; aber wenn ich sie wieder ansehe, ist
sie doch eben so traurig. -- Jch. Was ihr heute
fehlt, das glaube ich zu wissen. Sieh, liebes
Kind, wenn du deine Vögel fütterst, und dein
Eichhörnchen besorgst, dann steht sie und sieht dir
aus der Ferne zu. Da mag sie heut gedacht ha-
ben, daß es doch schlimm für sie sey, keine Eltern
mehr zu haben, denen sie ihre kleinen Wünsche
wohl anvertrauen möchte, und die ihr auch Eich-
hörnchen und Vögel und Blumen schenkten.
Jda. Ja Tante, das ist es gewiß. Aber warum
vertraut sie Dir nicht an, was sie wünschte? Du
hast sie ja doch so lieb. Jch. Das weiß sie noch
nicht, mein gutes Kind. Das wird nicht allen

Sie entfernte ſich, um, wie ſie ſagte, bis zur
Stunde in den Garten zu gehen. Jda blieb al-
lein bei mir im Zimmer.

Jda, ſagt’ ich, worüber mag Mathilde traurig
ſeyn? du haſt ihr doch nichts zu leide gethan?
Nein, Tante, gewiß nicht. Jch weiß auch gar
nicht, was ihr oft fehlt; dann bitte ich ſie, ſie
ſoll doch vergnügt ſeyn, und dann verſpricht ſie
es mir auch; aber wenn ich ſie wieder anſehe, iſt
ſie doch eben ſo traurig. — Jch. Was ihr heute
fehlt, das glaube ich zu wiſſen. Sieh, liebes
Kind, wenn du deine Vögel fütterſt, und dein
Eichhörnchen beſorgſt, dann ſteht ſie und ſieht dir
aus der Ferne zu. Da mag ſie heut gedacht ha-
ben, daß es doch ſchlimm für ſie ſey, keine Eltern
mehr zu haben, denen ſie ihre kleinen Wünſche
wohl anvertrauen möchte, und die ihr auch Eich-
hörnchen und Vögel und Blumen ſchenkten.
Jda. Ja Tante, das iſt es gewiß. Aber warum
vertraut ſie Dir nicht an, was ſie wünſchte? Du
haſt ſie ja doch ſo lieb. Jch. Das weiß ſie noch
nicht, mein gutes Kind. Das wird nicht allen

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[163/0177] Sie entfernte ſich, um, wie ſie ſagte, bis zur Stunde in den Garten zu gehen. Jda blieb al- lein bei mir im Zimmer. Jda, ſagt’ ich, worüber mag Mathilde traurig ſeyn? du haſt ihr doch nichts zu leide gethan? Nein, Tante, gewiß nicht. Jch weiß auch gar nicht, was ihr oft fehlt; dann bitte ich ſie, ſie ſoll doch vergnügt ſeyn, und dann verſpricht ſie es mir auch; aber wenn ich ſie wieder anſehe, iſt ſie doch eben ſo traurig. — Jch. Was ihr heute fehlt, das glaube ich zu wiſſen. Sieh, liebes Kind, wenn du deine Vögel fütterſt, und dein Eichhörnchen beſorgſt, dann ſteht ſie und ſieht dir aus der Ferne zu. Da mag ſie heut gedacht ha- ben, daß es doch ſchlimm für ſie ſey, keine Eltern mehr zu haben, denen ſie ihre kleinen Wünſche wohl anvertrauen möchte, und die ihr auch Eich- hörnchen und Vögel und Blumen ſchenkten. Jda. Ja Tante, das iſt es gewiß. Aber warum vertraut ſie Dir nicht an, was ſie wünſchte? Du haſt ſie ja doch ſo lieb. Jch. Das weiß ſie noch nicht, mein gutes Kind. Das wird nicht allen

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/177>, abgerufen am 09.10.2024.