Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite

es oft an, überzählt es oft: das kann nicht Geiz
seyn, es wäre entsetzlich. Und doch hat es allen
Anschein davon. Gertrud beharrt fest auf dieser
Meynung. Jch habe gewaltig mit ihr zu schaf-
fen, daß sie diesem sonderbaren Kinde nicht kalt
und unfreundlich begegne.

O wenn sich Neid in dies finster-einsame Ge-
müth einschliche, Neid über Jda's Liebenswür-
digkeit und die fast vergötternde Liebe, die dem
holden Wesen überall entgegen lacht! -- Dies zu
verhüten, lasse ich meine angelegene Sorge seyn.
Jch mache die Kinder in allem gleich. Und wo
das Alter einen natürlichen Vorzug zuläßt, ge-
nießt ihn Mathilde. Auch kann es mich ordent-
lich freuen, wenn sie in einem oder dem andern
Stück es Jda zuvorthut. Und das geschieht
wohl. -- Z. B. im Rechnen, da ist sie immer
voraus. Auch im Zeichnen und Schreiben rückt
sie schneller vor. Da glühet sie dann, wenn es
bemerkt wird. --

Neulich sah ich, daß sie finster nach der Straße
hinausblickte, während Jda ihre Vögel besorgte.

es oft an, überzählt es oft: das kann nicht Geiz
ſeyn, es wäre entſetzlich. Und doch hat es allen
Anſchein davon. Gertrud beharrt feſt auf dieſer
Meynung. Jch habe gewaltig mit ihr zu ſchaf-
fen, daß ſie dieſem ſonderbaren Kinde nicht kalt
und unfreundlich begegne.

O wenn ſich Neid in dies finſter-einſame Ge-
müth einſchliche, Neid über Jda’s Liebenswür-
digkeit und die faſt vergötternde Liebe, die dem
holden Weſen überall entgegen lacht! — Dies zu
verhüten, laſſe ich meine angelegene Sorge ſeyn.
Jch mache die Kinder in allem gleich. Und wo
das Alter einen natürlichen Vorzug zuläßt, ge-
nießt ihn Mathilde. Auch kann es mich ordent-
lich freuen, wenn ſie in einem oder dem andern
Stück es Jda zuvorthut. Und das geſchieht
wohl. — Z. B. im Rechnen, da iſt ſie immer
voraus. Auch im Zeichnen und Schreiben rückt
ſie ſchneller vor. Da glühet ſie dann, wenn es
bemerkt wird. —

Neulich ſah ich, daß ſie finſter nach der Straße
hinausblickte, während Jda ihre Vögel beſorgte.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0176" n="162"/>
es oft an, überzählt es oft: das kann nicht Geiz<lb/>
&#x017F;eyn, es wäre ent&#x017F;etzlich. Und doch hat es allen<lb/>
An&#x017F;chein davon. Gertrud beharrt fe&#x017F;t auf die&#x017F;er<lb/>
Meynung. Jch habe gewaltig mit ihr zu &#x017F;chaf-<lb/>
fen, daß &#x017F;ie die&#x017F;em &#x017F;onderbaren Kinde nicht kalt<lb/>
und unfreundlich begegne.</p><lb/>
          <p>O wenn &#x017F;ich Neid in dies fin&#x017F;ter-ein&#x017F;ame Ge-<lb/>
müth ein&#x017F;chliche, Neid über Jda&#x2019;s Liebenswür-<lb/>
digkeit und die fa&#x017F;t vergötternde Liebe, die dem<lb/>
holden We&#x017F;en überall entgegen lacht! &#x2014; Dies zu<lb/>
verhüten, la&#x017F;&#x017F;e ich meine angelegene Sorge &#x017F;eyn.<lb/>
Jch mache die Kinder in allem gleich. Und wo<lb/>
das Alter einen natürlichen Vorzug zuläßt, ge-<lb/>
nießt ihn Mathilde. Auch kann es mich ordent-<lb/>
lich freuen, wenn &#x017F;ie in einem oder dem andern<lb/>
Stück es Jda zuvorthut. Und das ge&#x017F;chieht<lb/>
wohl. &#x2014; Z. B. im Rechnen, da i&#x017F;t &#x017F;ie immer<lb/>
voraus. Auch im Zeichnen und Schreiben rückt<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;chneller vor. Da glühet &#x017F;ie dann, wenn es<lb/>
bemerkt wird. &#x2014;</p><lb/>
          <p>Neulich &#x017F;ah ich, daß &#x017F;ie fin&#x017F;ter nach der Straße<lb/>
hinausblickte, während Jda ihre Vögel be&#x017F;orgte.<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[162/0176] es oft an, überzählt es oft: das kann nicht Geiz ſeyn, es wäre entſetzlich. Und doch hat es allen Anſchein davon. Gertrud beharrt feſt auf dieſer Meynung. Jch habe gewaltig mit ihr zu ſchaf- fen, daß ſie dieſem ſonderbaren Kinde nicht kalt und unfreundlich begegne. O wenn ſich Neid in dies finſter-einſame Ge- müth einſchliche, Neid über Jda’s Liebenswür- digkeit und die faſt vergötternde Liebe, die dem holden Weſen überall entgegen lacht! — Dies zu verhüten, laſſe ich meine angelegene Sorge ſeyn. Jch mache die Kinder in allem gleich. Und wo das Alter einen natürlichen Vorzug zuläßt, ge- nießt ihn Mathilde. Auch kann es mich ordent- lich freuen, wenn ſie in einem oder dem andern Stück es Jda zuvorthut. Und das geſchieht wohl. — Z. B. im Rechnen, da iſt ſie immer voraus. Auch im Zeichnen und Schreiben rückt ſie ſchneller vor. Da glühet ſie dann, wenn es bemerkt wird. — Neulich ſah ich, daß ſie finſter nach der Straße hinausblickte, während Jda ihre Vögel beſorgte.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/176
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/176>, abgerufen am 03.10.2024.