es oft an, überzählt es oft: das kann nicht Geiz seyn, es wäre entsetzlich. Und doch hat es allen Anschein davon. Gertrud beharrt fest auf dieser Meynung. Jch habe gewaltig mit ihr zu schaf- fen, daß sie diesem sonderbaren Kinde nicht kalt und unfreundlich begegne.
O wenn sich Neid in dies finster-einsame Ge- müth einschliche, Neid über Jda's Liebenswür- digkeit und die fast vergötternde Liebe, die dem holden Wesen überall entgegen lacht! -- Dies zu verhüten, lasse ich meine angelegene Sorge seyn. Jch mache die Kinder in allem gleich. Und wo das Alter einen natürlichen Vorzug zuläßt, ge- nießt ihn Mathilde. Auch kann es mich ordent- lich freuen, wenn sie in einem oder dem andern Stück es Jda zuvorthut. Und das geschieht wohl. -- Z. B. im Rechnen, da ist sie immer voraus. Auch im Zeichnen und Schreiben rückt sie schneller vor. Da glühet sie dann, wenn es bemerkt wird. --
Neulich sah ich, daß sie finster nach der Straße hinausblickte, während Jda ihre Vögel besorgte.
es oft an, überzählt es oft: das kann nicht Geiz ſeyn, es wäre entſetzlich. Und doch hat es allen Anſchein davon. Gertrud beharrt feſt auf dieſer Meynung. Jch habe gewaltig mit ihr zu ſchaf- fen, daß ſie dieſem ſonderbaren Kinde nicht kalt und unfreundlich begegne.
O wenn ſich Neid in dies finſter-einſame Ge- müth einſchliche, Neid über Jda’s Liebenswür- digkeit und die faſt vergötternde Liebe, die dem holden Weſen überall entgegen lacht! — Dies zu verhüten, laſſe ich meine angelegene Sorge ſeyn. Jch mache die Kinder in allem gleich. Und wo das Alter einen natürlichen Vorzug zuläßt, ge- nießt ihn Mathilde. Auch kann es mich ordent- lich freuen, wenn ſie in einem oder dem andern Stück es Jda zuvorthut. Und das geſchieht wohl. — Z. B. im Rechnen, da iſt ſie immer voraus. Auch im Zeichnen und Schreiben rückt ſie ſchneller vor. Da glühet ſie dann, wenn es bemerkt wird. —
Neulich ſah ich, daß ſie finſter nach der Straße hinausblickte, während Jda ihre Vögel beſorgte.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0176"n="162"/>
es oft an, überzählt es oft: das kann nicht Geiz<lb/>ſeyn, es wäre entſetzlich. Und doch hat es allen<lb/>
Anſchein davon. Gertrud beharrt feſt auf dieſer<lb/>
Meynung. Jch habe gewaltig mit ihr zu ſchaf-<lb/>
fen, daß ſie dieſem ſonderbaren Kinde nicht kalt<lb/>
und unfreundlich begegne.</p><lb/><p>O wenn ſich Neid in dies finſter-einſame Ge-<lb/>
müth einſchliche, Neid über Jda’s Liebenswür-<lb/>
digkeit und die faſt vergötternde Liebe, die dem<lb/>
holden Weſen überall entgegen lacht! — Dies zu<lb/>
verhüten, laſſe ich meine angelegene Sorge ſeyn.<lb/>
Jch mache die Kinder in allem gleich. Und wo<lb/>
das Alter einen natürlichen Vorzug zuläßt, ge-<lb/>
nießt ihn Mathilde. Auch kann es mich ordent-<lb/>
lich freuen, wenn ſie in einem oder dem andern<lb/>
Stück es Jda zuvorthut. Und das geſchieht<lb/>
wohl. — Z. B. im Rechnen, da iſt ſie immer<lb/>
voraus. Auch im Zeichnen und Schreiben rückt<lb/>ſie ſchneller vor. Da glühet ſie dann, wenn es<lb/>
bemerkt wird. —</p><lb/><p>Neulich ſah ich, daß ſie finſter nach der Straße<lb/>
hinausblickte, während Jda ihre Vögel beſorgte.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[162/0176]
es oft an, überzählt es oft: das kann nicht Geiz
ſeyn, es wäre entſetzlich. Und doch hat es allen
Anſchein davon. Gertrud beharrt feſt auf dieſer
Meynung. Jch habe gewaltig mit ihr zu ſchaf-
fen, daß ſie dieſem ſonderbaren Kinde nicht kalt
und unfreundlich begegne.
O wenn ſich Neid in dies finſter-einſame Ge-
müth einſchliche, Neid über Jda’s Liebenswür-
digkeit und die faſt vergötternde Liebe, die dem
holden Weſen überall entgegen lacht! — Dies zu
verhüten, laſſe ich meine angelegene Sorge ſeyn.
Jch mache die Kinder in allem gleich. Und wo
das Alter einen natürlichen Vorzug zuläßt, ge-
nießt ihn Mathilde. Auch kann es mich ordent-
lich freuen, wenn ſie in einem oder dem andern
Stück es Jda zuvorthut. Und das geſchieht
wohl. — Z. B. im Rechnen, da iſt ſie immer
voraus. Auch im Zeichnen und Schreiben rückt
ſie ſchneller vor. Da glühet ſie dann, wenn es
bemerkt wird. —
Neulich ſah ich, daß ſie finſter nach der Straße
hinausblickte, während Jda ihre Vögel beſorgte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/176>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.