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Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

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sieht recht hübsch aus, seit sie der Reinlichkeit den
rechten Geschmack abgewonnen. Und wenn sie vor-
züglich nett gekleidet herein kommt, dann springt
Jda wohl an sie hinan, mit den Worten: "Schö-
ne Gertrud! heute habe ich dich recht lieb!" Wie
sie bei diesem regen Sinn für's Schöne, und beim
wahren Abscheu an allem Unästhetischen, dennoch
dem alten häßlichen Paul so gut seyn kann, ist
mir kaum begreiflich. Aber wohl dem glücklich or-
ganisirten Wesen, in dem der Hang zum Schönen
mit dem Triebe zum Guten so früh in Eintracht
stehet, und wie in eins verschmolzen ist! Ein sol-
ches Kind zu erziehen, ist Wohlthat für Geist,
Herz und Seele. Jch weiß nichts, was meinem
Leben jetzt noch eine schönere Bedeutung geben
könnte, als die Wechselwirkung dieses Kindes auf
mich und die meines Wesens auf das Kind! Nicht
gar so gut wird es mir mit Mathilden. Dies ist
eine weit unholdere, wenn gleich keine gemeine
Natur. Ueber Beide zu wachen, daß das eine
Wesen in meinen Händen für diese Welt nicht all-
zuzart werde, und das andere nicht verhärte, das
ist keine ganz leichte Aufgabe.

ſieht recht hübſch aus, ſeit ſie der Reinlichkeit den
rechten Geſchmack abgewonnen. Und wenn ſie vor-
züglich nett gekleidet herein kommt, dann ſpringt
Jda wohl an ſie hinan, mit den Worten: „Schö-
ne Gertrud! heute habe ich dich recht lieb!‟ Wie
ſie bei dieſem regen Sinn für’s Schöne, und beim
wahren Abſcheu an allem Unäſthetiſchen, dennoch
dem alten häßlichen Paul ſo gut ſeyn kann, iſt
mir kaum begreiflich. Aber wohl dem glücklich or-
ganiſirten Weſen, in dem der Hang zum Schönen
mit dem Triebe zum Guten ſo früh in Eintracht
ſtehet, und wie in eins verſchmolzen iſt! Ein ſol-
ches Kind zu erziehen, iſt Wohlthat für Geiſt,
Herz und Seele. Jch weiß nichts, was meinem
Leben jetzt noch eine ſchönere Bedeutung geben
könnte, als die Wechſelwirkung dieſes Kindes auf
mich und die meines Weſens auf das Kind! Nicht
gar ſo gut wird es mir mit Mathilden. Dies iſt
eine weit unholdere, wenn gleich keine gemeine
Natur. Ueber Beide zu wachen, daß das eine
Weſen in meinen Händen für dieſe Welt nicht all-
zuzart werde, und das andere nicht verhärte, das
iſt keine ganz leichte Aufgabe.

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[159/0173] ſieht recht hübſch aus, ſeit ſie der Reinlichkeit den rechten Geſchmack abgewonnen. Und wenn ſie vor- züglich nett gekleidet herein kommt, dann ſpringt Jda wohl an ſie hinan, mit den Worten: „Schö- ne Gertrud! heute habe ich dich recht lieb!‟ Wie ſie bei dieſem regen Sinn für’s Schöne, und beim wahren Abſcheu an allem Unäſthetiſchen, dennoch dem alten häßlichen Paul ſo gut ſeyn kann, iſt mir kaum begreiflich. Aber wohl dem glücklich or- ganiſirten Weſen, in dem der Hang zum Schönen mit dem Triebe zum Guten ſo früh in Eintracht ſtehet, und wie in eins verſchmolzen iſt! Ein ſol- ches Kind zu erziehen, iſt Wohlthat für Geiſt, Herz und Seele. Jch weiß nichts, was meinem Leben jetzt noch eine ſchönere Bedeutung geben könnte, als die Wechſelwirkung dieſes Kindes auf mich und die meines Weſens auf das Kind! Nicht gar ſo gut wird es mir mit Mathilden. Dies iſt eine weit unholdere, wenn gleich keine gemeine Natur. Ueber Beide zu wachen, daß das eine Weſen in meinen Händen für dieſe Welt nicht all- zuzart werde, und das andere nicht verhärte, das iſt keine ganz leichte Aufgabe.

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Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/173>, abgerufen am 24.11.2024.