Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807.

Bild:
<< vorherige Seite



mich bei Gelegenheit wissen, was sie mit diesen klei-
nen Geschenken thut, und ob sie ihr Freude machen?

Jetzt zur Beantwortung Deiner Briefe. Laß
mich bei dem ersten anfangen.

Ob diese frühe Liberalität in einem Kinde auch
wohl überbildet werden und zu einem Fehler aus-
arten könne? Jda ist morgen erst fünf Jahre alt,
und will schon täglich geben, und alles, was ihr
gegeben wird, wieder vertheilen? Das ist früh,
und nicht das gewöhnliche Alter, in welchem sich
die Freigebigkeit in Kindern zu zeigen pflegt. Den-
noch fürchte ich bei der richtigen Leitung dieses schö-
nen Triebes gar nichts. Weise Sparsamkeit, ver-
ständiges Zurathhalten sind freilich Eigenschaften,
die in dem Kranze weiblicher Tugenden nicht feh-
len dürfen. Sie müssen aber spät erst hervorkei-
men, und noch später sich entfalten. Jn des Kin-
des Seele sind sie schreckliche Unnatur. Auch gibt
es schwerlich einen gehässigern Anblick als ein
Kind, dem der Eigennutz, die Habsucht und der
Geiz angebildet worden. Und das Werk der Er-



mich bei Gelegenheit wiſſen, was ſie mit dieſen klei-
nen Geſchenken thut, und ob ſie ihr Freude machen?

Jetzt zur Beantwortung Deiner Briefe. Laß
mich bei dem erſten anfangen.

Ob dieſe frühe Liberalität in einem Kinde auch
wohl überbildet werden und zu einem Fehler aus-
arten könne? Jda iſt morgen erſt fünf Jahre alt,
und will ſchon täglich geben, und alles, was ihr
gegeben wird, wieder vertheilen? Das iſt früh,
und nicht das gewöhnliche Alter, in welchem ſich
die Freigebigkeit in Kindern zu zeigen pflegt. Den-
noch fürchte ich bei der richtigen Leitung dieſes ſchö-
nen Triebes gar nichts. Weiſe Sparſamkeit, ver-
ſtändiges Zurathhalten ſind freilich Eigenſchaften,
die in dem Kranze weiblicher Tugenden nicht feh-
len dürfen. Sie müſſen aber ſpät erſt hervorkei-
men, und noch ſpäter ſich entfalten. Jn des Kin-
des Seele ſind ſie ſchreckliche Unnatur. Auch gibt
es ſchwerlich einen gehäſſigern Anblick als ein
Kind, dem der Eigennutz, die Habſucht und der
Geiz angebildet worden. Und das Werk der Er-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0108" n="94"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
mich bei Gelegenheit wi&#x017F;&#x017F;en, was &#x017F;ie mit die&#x017F;en klei-<lb/>
nen Ge&#x017F;chenken thut, und ob &#x017F;ie ihr Freude machen?</p><lb/>
          <p>Jetzt zur Beantwortung Deiner Briefe. Laß<lb/>
mich bei dem er&#x017F;ten anfangen.</p><lb/>
          <p>Ob die&#x017F;e frühe Liberalität in einem Kinde auch<lb/>
wohl überbildet werden und zu einem Fehler aus-<lb/>
arten könne? Jda i&#x017F;t morgen er&#x017F;t fünf Jahre alt,<lb/>
und will &#x017F;chon täglich geben, und alles, was ihr<lb/>
gegeben wird, wieder vertheilen? Das i&#x017F;t früh,<lb/>
und nicht das gewöhnliche Alter, in welchem &#x017F;ich<lb/>
die Freigebigkeit in Kindern zu zeigen pflegt. Den-<lb/>
noch fürchte ich bei der richtigen Leitung die&#x017F;es &#x017F;chö-<lb/>
nen Triebes gar nichts. Wei&#x017F;e Spar&#x017F;amkeit, ver-<lb/>
&#x017F;tändiges Zurathhalten &#x017F;ind freilich Eigen&#x017F;chaften,<lb/>
die in dem Kranze weiblicher Tugenden nicht feh-<lb/>
len dürfen. Sie mü&#x017F;&#x017F;en aber &#x017F;pät er&#x017F;t hervorkei-<lb/>
men, und noch &#x017F;päter &#x017F;ich entfalten. Jn des Kin-<lb/>
des Seele &#x017F;ind &#x017F;ie &#x017F;chreckliche Unnatur. Auch gibt<lb/>
es &#x017F;chwerlich einen gehä&#x017F;&#x017F;igern Anblick als ein<lb/>
Kind, dem der Eigennutz, die Hab&#x017F;ucht und der<lb/>
Geiz angebildet worden. Und das Werk der Er-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[94/0108] mich bei Gelegenheit wiſſen, was ſie mit dieſen klei- nen Geſchenken thut, und ob ſie ihr Freude machen? Jetzt zur Beantwortung Deiner Briefe. Laß mich bei dem erſten anfangen. Ob dieſe frühe Liberalität in einem Kinde auch wohl überbildet werden und zu einem Fehler aus- arten könne? Jda iſt morgen erſt fünf Jahre alt, und will ſchon täglich geben, und alles, was ihr gegeben wird, wieder vertheilen? Das iſt früh, und nicht das gewöhnliche Alter, in welchem ſich die Freigebigkeit in Kindern zu zeigen pflegt. Den- noch fürchte ich bei der richtigen Leitung dieſes ſchö- nen Triebes gar nichts. Weiſe Sparſamkeit, ver- ſtändiges Zurathhalten ſind freilich Eigenſchaften, die in dem Kranze weiblicher Tugenden nicht feh- len dürfen. Sie müſſen aber ſpät erſt hervorkei- men, und noch ſpäter ſich entfalten. Jn des Kin- des Seele ſind ſie ſchreckliche Unnatur. Auch gibt es ſchwerlich einen gehäſſigern Anblick als ein Kind, dem der Eigennutz, die Habſucht und der Geiz angebildet worden. Und das Werk der Er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/108
Zitationshilfe: Rudolphi, Caroline Christiane Louise: Gemälde weiblicher Erziehung. Bd. 1. Heidelberg, 1807, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rudolphi_erziehung01_1807/108>, abgerufen am 22.11.2024.