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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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I. Die functionelle Anpassung.
weil günstige Variationen blos einzelner Theile auf ein-
mal
das Ueberschreiten dieser Periode nicht ermöglicht hätten.
Es ist eine Periode, in der mit Sicherheit die gleichzeitige
Ausbildung von Tausend, ja Million zweckmässigen Einzeleigen-
schaften hat stattfinden müssen. Solches kann die Auslese aus
freien, nicht auf das Zweckmässige tendirenden Variationen
nicht leisten. Sie kann immer blos wenige Charaktere auf einmal
züchten. Welches ist nun der Moment, von welchem wir diese
Nothwendigkeit behaupten können? in welchem Falle kann der
Uebergang kein allmählicher, kein in den verschiedenen Orga-
nen successiver gewesen sein? Es ist in der Periode des Ueber-
ganges vom Wasser- zum Land- oder richtiger zum Luftleben.
Wir sind gewohnt, diesen Uebergang alljährlich bei den jungen
Amphibien als etwas ganz Selbstverständliches zu betrachten;
doch hier finden die Veränderungen des Thieres in allen seinen
Theilen, wie alle anderen embryonalen Umbildungen zufolge
bestimmter vererbter Bildungsgesetze statt, und die Umwand-
lung einer Kaulquappe in einen Frosch ist insofern nichts Be-
sonderes. Aber wie sind diese Umbildungsgesetze erworben
worden? Wodurch sind diese Eigenschaften zum ersten Male
entstanden, als sie, Tausend oder Million, alle auf einmal
nöthig wurden? Vielleicht sind ihrer gar nicht so viele und
vielleicht ist doch eine allmähliche Umbildung bei dieser An-
passung möglich gewesen. Gewiss! Graduell ist die Anpassung
eine allmähliche gewesen. Die Thiere werden zuerst einen nur
kurzen Aufenthalt auf dem Lande genommen haben und bald
wieder in das Wasser zurückgekehrt sein. Aber was ist nöthig,
wenn ein Wasserthier auch nur kurze Zeit auf dem Lande
leben soll?

Betrachten wir diesen Vorgang blos bei den Wirbelthieren
und geben wir den Thieren schon als durch früheres Luftschnap-
pen unter Beihülfe von Auslese erworben neben den Kiemen

I. Die functionelle Anpassung.
weil günstige Variationen blos einzelner Theile auf ein-
mal
das Ueberschreiten dieser Periode nicht ermöglicht hätten.
Es ist eine Periode, in der mit Sicherheit die gleichzeitige
Ausbildung von Tausend, ja Million zweckmässigen Einzeleigen-
schaften hat stattfinden müssen. Solches kann die Auslese aus
freien, nicht auf das Zweckmässige tendirenden Variationen
nicht leisten. Sie kann immer blos wenige Charaktere auf einmal
züchten. Welches ist nun der Moment, von welchem wir diese
Nothwendigkeit behaupten können? in welchem Falle kann der
Uebergang kein allmählicher, kein in den verschiedenen Orga-
nen successiver gewesen sein? Es ist in der Periode des Ueber-
ganges vom Wasser- zum Land- oder richtiger zum Luftleben.
Wir sind gewohnt, diesen Uebergang alljährlich bei den jungen
Amphibien als etwas ganz Selbstverständliches zu betrachten;
doch hier finden die Veränderungen des Thieres in allen seinen
Theilen, wie alle anderen embryonalen Umbildungen zufolge
bestimmter vererbter Bildungsgesetze statt, und die Umwand-
lung einer Kaulquappe in einen Frosch ist insofern nichts Be-
sonderes. Aber wie sind diese Umbildungsgesetze erworben
worden? Wodurch sind diese Eigenschaften zum ersten Male
entstanden, als sie, Tausend oder Million, alle auf einmal
nöthig wurden? Vielleicht sind ihrer gar nicht so viele und
vielleicht ist doch eine allmähliche Umbildung bei dieser An-
passung möglich gewesen. Gewiss! Graduell ist die Anpassung
eine allmähliche gewesen. Die Thiere werden zuerst einen nur
kurzen Aufenthalt auf dem Lande genommen haben und bald
wieder in das Wasser zurückgekehrt sein. Aber was ist nöthig,
wenn ein Wasserthier auch nur kurze Zeit auf dem Lande
leben soll?

Betrachten wir diesen Vorgang blos bei den Wirbelthieren
und geben wir den Thieren schon als durch früheres Luftschnap-
pen unter Beihülfe von Auslese erworben neben den Kiemen

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[40/0054] I. Die functionelle Anpassung. weil günstige Variationen blos einzelner Theile auf ein- mal das Ueberschreiten dieser Periode nicht ermöglicht hätten. Es ist eine Periode, in der mit Sicherheit die gleichzeitige Ausbildung von Tausend, ja Million zweckmässigen Einzeleigen- schaften hat stattfinden müssen. Solches kann die Auslese aus freien, nicht auf das Zweckmässige tendirenden Variationen nicht leisten. Sie kann immer blos wenige Charaktere auf einmal züchten. Welches ist nun der Moment, von welchem wir diese Nothwendigkeit behaupten können? in welchem Falle kann der Uebergang kein allmählicher, kein in den verschiedenen Orga- nen successiver gewesen sein? Es ist in der Periode des Ueber- ganges vom Wasser- zum Land- oder richtiger zum Luftleben. Wir sind gewohnt, diesen Uebergang alljährlich bei den jungen Amphibien als etwas ganz Selbstverständliches zu betrachten; doch hier finden die Veränderungen des Thieres in allen seinen Theilen, wie alle anderen embryonalen Umbildungen zufolge bestimmter vererbter Bildungsgesetze statt, und die Umwand- lung einer Kaulquappe in einen Frosch ist insofern nichts Be- sonderes. Aber wie sind diese Umbildungsgesetze erworben worden? Wodurch sind diese Eigenschaften zum ersten Male entstanden, als sie, Tausend oder Million, alle auf einmal nöthig wurden? Vielleicht sind ihrer gar nicht so viele und vielleicht ist doch eine allmähliche Umbildung bei dieser An- passung möglich gewesen. Gewiss! Graduell ist die Anpassung eine allmähliche gewesen. Die Thiere werden zuerst einen nur kurzen Aufenthalt auf dem Lande genommen haben und bald wieder in das Wasser zurückgekehrt sein. Aber was ist nöthig, wenn ein Wasserthier auch nur kurze Zeit auf dem Lande leben soll? Betrachten wir diesen Vorgang blos bei den Wirbelthieren und geben wir den Thieren schon als durch früheres Luftschnap- pen unter Beihülfe von Auslese erworben neben den Kiemen

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/54>, abgerufen am 29.11.2024.