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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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B. Erblichkeit der Wirkungen der functionellen Anpassung.
kowsky1) in den ersten zehn Lebenstagen schon die vorherr-
schenden sind. Dies widerspricht nicht den Beobachtungen W.
Preyer's2), dass dieselben nicht gleich angeboren, sondern erst
innerhalb dieser Zeit erworben werden; es beweist aber, dass
wenigstens ihre Disposition angeboren sein muss. So unendlich
complicirte Verbindungen der Muskelbewegungen können meiner
Meinung nach nicht durch zufällige embryonale Variationen
entstanden sein.

Wichtiger, d. h. beweisender als diese beiden Beispiele,
erscheint mir die folgende Betrachtung.

Es handelt sich, wie erwähnt, in der vorliegenden Frage
immer um die Unterscheidung dessen, was durch zufällige em-
bryonale Variationen und Auslese nach Darwin's Selections-
princip entstanden ist, von dem durch functionelle Selbstgestal-
tung Gebildeten und danach Vererbten. Die Wirkungen des
ersteren Princips erscheinen unbegrenzt; wir können fast keine
noch so grossen Veränderungen nachweisen, von welchen mit
absoluter Sicherheit behauptet werden könnte, dass sie prin-
cipiell nicht durch genügend wiederholte embryonale Variationen
und Auslese hätten entstehen können, sofern die letztere fein
genug wirkte und die nöthige Zeit dazu gegeben wäre. Trotz-
dem giebt es Eine Art Vorkommniss in der Entwicklung des
Thierreiches, von welchem wir mit Bestimmtheit das Gegentheil
behaupten können. Es giebt nämlich einen Punkt in der
Entwicklungsgeschichte des Thierreiches, von wel-
chem wir mit Bestimmtheit behaupten können, dass
die Vervollkommnung keine successive in den ein-
zelnen Theilen war, sondern in fast allen Organen
des Körpers eine gleichzeitige gewesen sein muss,

1) E. Hering, Physiolog. Optik, in: L. Hermann, Handb. d. Physio-
logie. Bd. III. p. 529.
2) Kosmos, Bd. III. p. 32.

B. Erblichkeit der Wirkungen der functionellen Anpassung.
kowsky1) in den ersten zehn Lebenstagen schon die vorherr-
schenden sind. Dies widerspricht nicht den Beobachtungen W.
Preyer’s2), dass dieselben nicht gleich angeboren, sondern erst
innerhalb dieser Zeit erworben werden; es beweist aber, dass
wenigstens ihre Disposition angeboren sein muss. So unendlich
complicirte Verbindungen der Muskelbewegungen können meiner
Meinung nach nicht durch zufällige embryonale Variationen
entstanden sein.

Wichtiger, d. h. beweisender als diese beiden Beispiele,
erscheint mir die folgende Betrachtung.

Es handelt sich, wie erwähnt, in der vorliegenden Frage
immer um die Unterscheidung dessen, was durch zufällige em-
bryonale Variationen und Auslese nach Darwin’s Selections-
princip entstanden ist, von dem durch functionelle Selbstgestal-
tung Gebildeten und danach Vererbten. Die Wirkungen des
ersteren Princips erscheinen unbegrenzt; wir können fast keine
noch so grossen Veränderungen nachweisen, von welchen mit
absoluter Sicherheit behauptet werden könnte, dass sie prin-
cipiell nicht durch genügend wiederholte embryonale Variationen
und Auslese hätten entstehen können, sofern die letztere fein
genug wirkte und die nöthige Zeit dazu gegeben wäre. Trotz-
dem giebt es Eine Art Vorkommniss in der Entwicklung des
Thierreiches, von welchem wir mit Bestimmtheit das Gegentheil
behaupten können. Es giebt nämlich einen Punkt in der
Entwicklungsgeschichte des Thierreiches, von wel-
chem wir mit Bestimmtheit behaupten können, dass
die Vervollkommnung keine successive in den ein-
zelnen Theilen war, sondern in fast allen Organen
des Körpers eine gleichzeitige gewesen sein muss,

1) E. Hering, Physiolog. Optik, in: L. Hermann, Handb. d. Physio-
logie. Bd. III. p. 529.
2) Kosmos, Bd. III. p. 32.
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[39/0053] B. Erblichkeit der Wirkungen der functionellen Anpassung. kowsky 1) in den ersten zehn Lebenstagen schon die vorherr- schenden sind. Dies widerspricht nicht den Beobachtungen W. Preyer’s 2), dass dieselben nicht gleich angeboren, sondern erst innerhalb dieser Zeit erworben werden; es beweist aber, dass wenigstens ihre Disposition angeboren sein muss. So unendlich complicirte Verbindungen der Muskelbewegungen können meiner Meinung nach nicht durch zufällige embryonale Variationen entstanden sein. Wichtiger, d. h. beweisender als diese beiden Beispiele, erscheint mir die folgende Betrachtung. Es handelt sich, wie erwähnt, in der vorliegenden Frage immer um die Unterscheidung dessen, was durch zufällige em- bryonale Variationen und Auslese nach Darwin’s Selections- princip entstanden ist, von dem durch functionelle Selbstgestal- tung Gebildeten und danach Vererbten. Die Wirkungen des ersteren Princips erscheinen unbegrenzt; wir können fast keine noch so grossen Veränderungen nachweisen, von welchen mit absoluter Sicherheit behauptet werden könnte, dass sie prin- cipiell nicht durch genügend wiederholte embryonale Variationen und Auslese hätten entstehen können, sofern die letztere fein genug wirkte und die nöthige Zeit dazu gegeben wäre. Trotz- dem giebt es Eine Art Vorkommniss in der Entwicklung des Thierreiches, von welchem wir mit Bestimmtheit das Gegentheil behaupten können. Es giebt nämlich einen Punkt in der Entwicklungsgeschichte des Thierreiches, von wel- chem wir mit Bestimmtheit behaupten können, dass die Vervollkommnung keine successive in den ein- zelnen Theilen war, sondern in fast allen Organen des Körpers eine gleichzeitige gewesen sein muss, 1) E. Hering, Physiolog. Optik, in: L. Hermann, Handb. d. Physio- logie. Bd. III. p. 529. 2) Kosmos, Bd. III. p. 32.

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/53>, abgerufen am 02.05.2024.