Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Ueber das Wesen des Organischen.
sich vielleicht das ganze übrige Seelentableau ableitet, darzu-
stellen. Jedenfalls aber erscheint es willkürlich, anzunehmen,
dass das Bewusstsein eine allgemeine Eigenschaft der Materie
sei, blos damit wir sie nur nicht als für das Organische neu
entstanden einführen müssen. Es sind unendlich viele ganz
neue Qualitäten im Laufe der Entwickelung der Organismen
aufgetreten und den ursprünglichen wenigen hinzugefügt wor-
den, welche wir ebenso wenig in ihrer specifischen Qualität
aus den Eigenschaften der Atome, des materiellen Substrates,
an welches sie gebunden sind, und als dessen Functionen wir
sie mit Recht betrachten, abzuleiten vermögen, als das Be-
wusstsein aus den Ganglienzellen der Grosshirnrinde.

Es ist aber eine aus dem Streben nach Zurückführung des
Mannigfachen auf das Einfache hervorgegangene Richtung unserer
Zeit, die Qualitäten zu leugnen und zu sagen, weil die Monere
dieselben Hauptfunctionen: Ernährung, Fortpflanzung und Re-
flexbewegung hat, als die höheren Organismen, seien keine
neuen Qualitäten aufgetreten. Denn die neuen seien blos Ab-
kömmlinge, allmähliche Differenzirungen des Einfacheren. Aber
ist ihr Differentes darum wirklich weniger neu? Jede chemische
Veränderung der Organismen ist eine neue Qualität, und wenn
sie noch so allmählich aus einer anderen hervorgegangen ist.
Sogar jede Uebergangsstufe ist schon eine neue Qualität. Vor
der Hand sind uns die chemischen Qualitäten Qualitäten im
vollen Sinne des Wortes, solange als unsere Elemente noch
nicht auf ein einziges zurückgeführt sind. Aber auch selbst
dann noch, wenn alle Verschiedenheit nach Demokrit blos
auf quantitative Unterschiede, auf ungleiche Gruppirung der
Molekel Einer Grundsubstanz zurückgeführt sein würde; denn
die verschiedenen chemischen Verbindungen, die verschiedenen
Gruppirungen derselben Elemente haben thatsächlich verschie-
dene Eigenschaften, sie verhalten sich verschieden, und es be-

V. Ueber das Wesen des Organischen.
sich vielleicht das ganze übrige Seelentableau ableitet, darzu-
stellen. Jedenfalls aber erscheint es willkürlich, anzunehmen,
dass das Bewusstsein eine allgemeine Eigenschaft der Materie
sei, blos damit wir sie nur nicht als für das Organische neu
entstanden einführen müssen. Es sind unendlich viele ganz
neue Qualitäten im Laufe der Entwickelung der Organismen
aufgetreten und den ursprünglichen wenigen hinzugefügt wor-
den, welche wir ebenso wenig in ihrer specifischen Qualität
aus den Eigenschaften der Atome, des materiellen Substrates,
an welches sie gebunden sind, und als dessen Functionen wir
sie mit Recht betrachten, abzuleiten vermögen, als das Be-
wusstsein aus den Ganglienzellen der Grosshirnrinde.

Es ist aber eine aus dem Streben nach Zurückführung des
Mannigfachen auf das Einfache hervorgegangene Richtung unserer
Zeit, die Qualitäten zu leugnen und zu sagen, weil die Monere
dieselben Hauptfunctionen: Ernährung, Fortpflanzung und Re-
flexbewegung hat, als die höheren Organismen, seien keine
neuen Qualitäten aufgetreten. Denn die neuen seien blos Ab-
kömmlinge, allmähliche Differenzirungen des Einfacheren. Aber
ist ihr Differentes darum wirklich weniger neu? Jede chemische
Veränderung der Organismen ist eine neue Qualität, und wenn
sie noch so allmählich aus einer anderen hervorgegangen ist.
Sogar jede Uebergangsstufe ist schon eine neue Qualität. Vor
der Hand sind uns die chemischen Qualitäten Qualitäten im
vollen Sinne des Wortes, solange als unsere Elemente noch
nicht auf ein einziges zurückgeführt sind. Aber auch selbst
dann noch, wenn alle Verschiedenheit nach Demokrit blos
auf quantitative Unterschiede, auf ungleiche Gruppirung der
Molekel Einer Grundsubstanz zurückgeführt sein würde; denn
die verschiedenen chemischen Verbindungen, die verschiedenen
Gruppirungen derselben Elemente haben thatsächlich verschie-
dene Eigenschaften, sie verhalten sich verschieden, und es be-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0247" n="233"/><fw place="top" type="header">V. Ueber das Wesen des Organischen.</fw><lb/>
sich vielleicht das ganze übrige Seelentableau ableitet, darzu-<lb/>
stellen. Jedenfalls aber erscheint es willkürlich, anzunehmen,<lb/>
dass das Bewusstsein eine allgemeine Eigenschaft der Materie<lb/>
sei, blos damit wir sie nur nicht als für das Organische neu<lb/>
entstanden einführen müssen. Es sind unendlich viele ganz<lb/>
neue Qualitäten im Laufe der Entwickelung der Organismen<lb/>
aufgetreten und den ursprünglichen wenigen hinzugefügt wor-<lb/>
den, welche wir ebenso wenig in ihrer specifischen Qualität<lb/>
aus den Eigenschaften der Atome, des materiellen Substrates,<lb/>
an welches sie gebunden sind, und als dessen Functionen wir<lb/>
sie mit Recht betrachten, abzuleiten vermögen, als das Be-<lb/>
wusstsein aus den Ganglienzellen der Grosshirnrinde.</p><lb/>
        <p>Es ist aber eine aus dem Streben nach Zurückführung des<lb/>
Mannigfachen auf das Einfache hervorgegangene Richtung unserer<lb/>
Zeit, die Qualitäten zu leugnen und zu sagen, weil die Monere<lb/>
dieselben Hauptfunctionen: Ernährung, Fortpflanzung und Re-<lb/>
flexbewegung hat, als die höheren Organismen, seien keine<lb/>
neuen Qualitäten aufgetreten. Denn die neuen seien blos Ab-<lb/>
kömmlinge, allmähliche Differenzirungen des Einfacheren. Aber<lb/>
ist ihr Differentes darum wirklich weniger neu? Jede chemische<lb/>
Veränderung der Organismen ist eine neue Qualität, und wenn<lb/>
sie noch so allmählich aus einer anderen hervorgegangen ist.<lb/>
Sogar jede Uebergangsstufe ist schon eine neue Qualität. Vor<lb/>
der Hand sind uns die chemischen Qualitäten Qualitäten im<lb/>
vollen Sinne des Wortes, solange als unsere Elemente noch<lb/>
nicht auf ein einziges zurückgeführt sind. Aber auch selbst<lb/>
dann noch, wenn alle Verschiedenheit nach <hi rendition="#g">Demokrit</hi> blos<lb/>
auf quantitative Unterschiede, auf ungleiche Gruppirung der<lb/>
Molekel Einer Grundsubstanz zurückgeführt sein würde; denn<lb/>
die verschiedenen chemischen Verbindungen, die verschiedenen<lb/>
Gruppirungen derselben Elemente haben thatsächlich verschie-<lb/>
dene Eigenschaften, sie verhalten sich verschieden, und es be-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0247] V. Ueber das Wesen des Organischen. sich vielleicht das ganze übrige Seelentableau ableitet, darzu- stellen. Jedenfalls aber erscheint es willkürlich, anzunehmen, dass das Bewusstsein eine allgemeine Eigenschaft der Materie sei, blos damit wir sie nur nicht als für das Organische neu entstanden einführen müssen. Es sind unendlich viele ganz neue Qualitäten im Laufe der Entwickelung der Organismen aufgetreten und den ursprünglichen wenigen hinzugefügt wor- den, welche wir ebenso wenig in ihrer specifischen Qualität aus den Eigenschaften der Atome, des materiellen Substrates, an welches sie gebunden sind, und als dessen Functionen wir sie mit Recht betrachten, abzuleiten vermögen, als das Be- wusstsein aus den Ganglienzellen der Grosshirnrinde. Es ist aber eine aus dem Streben nach Zurückführung des Mannigfachen auf das Einfache hervorgegangene Richtung unserer Zeit, die Qualitäten zu leugnen und zu sagen, weil die Monere dieselben Hauptfunctionen: Ernährung, Fortpflanzung und Re- flexbewegung hat, als die höheren Organismen, seien keine neuen Qualitäten aufgetreten. Denn die neuen seien blos Ab- kömmlinge, allmähliche Differenzirungen des Einfacheren. Aber ist ihr Differentes darum wirklich weniger neu? Jede chemische Veränderung der Organismen ist eine neue Qualität, und wenn sie noch so allmählich aus einer anderen hervorgegangen ist. Sogar jede Uebergangsstufe ist schon eine neue Qualität. Vor der Hand sind uns die chemischen Qualitäten Qualitäten im vollen Sinne des Wortes, solange als unsere Elemente noch nicht auf ein einziges zurückgeführt sind. Aber auch selbst dann noch, wenn alle Verschiedenheit nach Demokrit blos auf quantitative Unterschiede, auf ungleiche Gruppirung der Molekel Einer Grundsubstanz zurückgeführt sein würde; denn die verschiedenen chemischen Verbindungen, die verschiedenen Gruppirungen derselben Elemente haben thatsächlich verschie- dene Eigenschaften, sie verhalten sich verschieden, und es be-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/247
Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/247>, abgerufen am 28.04.2024.