Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

V. Ueber das Wesen des Organischen.
steht daher kein principieller Grund, die Annahme zu ver-
weigern, dass, wie manche chemische Verbindungen Licht oder
Elektricität produciren, nicht auch bestimmte chemische Pro-
cesse die Fähigkeit haben sollen, die physikalisch-chemischen
Erlebnisse des Individuums im Gehirn zu fixiren und sie durch
Reizeinwirkung wieder in grösserer oder geringerer Ausdeh-
nung erregen und zu einem Gesammteindrucke sich vereinigen
zu lassen. Ob dieses Selbstbewusstsein die erste Abstraction
war, oder ob diese zuerst durch andere öfter vorkommende,
einander ähnliche Eindrücke, als die natürliche stärkere Er-
regung des Gemeinsamen derselben entstanden ist, können wir
als Nichtfachmann nicht erörtern. Es liegt uns blos daran,
darauf hinzuweisen, dass vielleicht die psychischen Functionen
gar nicht so etwas absolut von allem anderen Geschehen Dif-
ferentes sind, als dass sie nicht ebenso wie dieses aus einer
der vielen verschiedenen Qualitäten, welche in den Organismen
vorhanden sind und nicht aufhören zu wirken, wenn sie auch
einmal einige Decennien hindurch geleugnet werden, ableitbar
wären. Auch hier wird die Entstehung eine sehr allmähliche
gewesen sein. Es kann Jahrmillionen gedauert haben, ehe die
erste Abstraction aus den alltäglichsten und genügend variiren-
den Dingen als eine noch unbewusste Auffassung des Gemein-
samen derselben gebildet worden ist, und dieselbe Zeit kann
darüber hingegangen sein, ehe die regelmässige Wiederkehr
des Schmerzes nach einem Schlage als nicht blosses regel-
mässiges Nacheinander, sondern wohl enger mit einander Ver-
bundenes aufgefasst worden ist, obgleich mir besonders die Er-
fassung des Causalverhältnisses eine verhältnissmässig leichte
Erwerbung zu sein scheint. Beisst doch jeder ältere Hund
nicht mehr in den Stock, mit welchem man ihn schlägt, son-
dern in die Beine des Schlagenden.

Dass man aber jede Eigenschaft, welche sich allmählich

V. Ueber das Wesen des Organischen.
steht daher kein principieller Grund, die Annahme zu ver-
weigern, dass, wie manche chemische Verbindungen Licht oder
Elektricität produciren, nicht auch bestimmte chemische Pro-
cesse die Fähigkeit haben sollen, die physikalisch-chemischen
Erlebnisse des Individuums im Gehirn zu fixiren und sie durch
Reizeinwirkung wieder in grösserer oder geringerer Ausdeh-
nung erregen und zu einem Gesammteindrucke sich vereinigen
zu lassen. Ob dieses Selbstbewusstsein die erste Abstraction
war, oder ob diese zuerst durch andere öfter vorkommende,
einander ähnliche Eindrücke, als die natürliche stärkere Er-
regung des Gemeinsamen derselben entstanden ist, können wir
als Nichtfachmann nicht erörtern. Es liegt uns blos daran,
darauf hinzuweisen, dass vielleicht die psychischen Functionen
gar nicht so etwas absolut von allem anderen Geschehen Dif-
ferentes sind, als dass sie nicht ebenso wie dieses aus einer
der vielen verschiedenen Qualitäten, welche in den Organismen
vorhanden sind und nicht aufhören zu wirken, wenn sie auch
einmal einige Decennien hindurch geleugnet werden, ableitbar
wären. Auch hier wird die Entstehung eine sehr allmähliche
gewesen sein. Es kann Jahrmillionen gedauert haben, ehe die
erste Abstraction aus den alltäglichsten und genügend variiren-
den Dingen als eine noch unbewusste Auffassung des Gemein-
samen derselben gebildet worden ist, und dieselbe Zeit kann
darüber hingegangen sein, ehe die regelmässige Wiederkehr
des Schmerzes nach einem Schlage als nicht blosses regel-
mässiges Nacheinander, sondern wohl enger mit einander Ver-
bundenes aufgefasst worden ist, obgleich mir besonders die Er-
fassung des Causalverhältnisses eine verhältnissmässig leichte
Erwerbung zu sein scheint. Beisst doch jeder ältere Hund
nicht mehr in den Stock, mit welchem man ihn schlägt, son-
dern in die Beine des Schlagenden.

Dass man aber jede Eigenschaft, welche sich allmählich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0248" n="234"/><fw place="top" type="header">V. Ueber das Wesen des Organischen.</fw><lb/>
steht daher kein principieller Grund, die Annahme zu ver-<lb/>
weigern, dass, wie manche chemische Verbindungen Licht oder<lb/>
Elektricität produciren, nicht auch bestimmte chemische Pro-<lb/>
cesse die Fähigkeit haben sollen, die physikalisch-chemischen<lb/>
Erlebnisse des Individuums im Gehirn zu fixiren und sie durch<lb/>
Reizeinwirkung wieder in grösserer oder geringerer Ausdeh-<lb/>
nung erregen und zu einem Gesammteindrucke sich vereinigen<lb/>
zu lassen. Ob dieses Selbstbewusstsein die erste Abstraction<lb/>
war, oder ob diese zuerst durch andere öfter vorkommende,<lb/>
einander ähnliche Eindrücke, als die natürliche stärkere Er-<lb/>
regung des Gemeinsamen derselben entstanden ist, können wir<lb/>
als Nichtfachmann nicht erörtern. Es liegt uns blos daran,<lb/>
darauf hinzuweisen, dass vielleicht die psychischen Functionen<lb/>
gar nicht so etwas absolut von allem anderen Geschehen Dif-<lb/>
ferentes sind, als dass sie nicht ebenso wie dieses aus einer<lb/>
der vielen verschiedenen Qualitäten, welche in den Organismen<lb/>
vorhanden sind und nicht aufhören zu wirken, wenn sie auch<lb/>
einmal einige Decennien hindurch geleugnet werden, ableitbar<lb/>
wären. Auch hier wird die Entstehung eine sehr allmähliche<lb/>
gewesen sein. Es kann Jahrmillionen gedauert haben, ehe die<lb/>
erste Abstraction aus den alltäglichsten und genügend variiren-<lb/>
den Dingen als eine noch unbewusste Auffassung des Gemein-<lb/>
samen derselben gebildet worden ist, und dieselbe Zeit kann<lb/>
darüber hingegangen sein, ehe die regelmässige Wiederkehr<lb/>
des Schmerzes nach einem Schlage als nicht blosses regel-<lb/>
mässiges Nacheinander, sondern wohl enger mit einander Ver-<lb/>
bundenes aufgefasst worden ist, obgleich mir besonders die Er-<lb/>
fassung des Causalverhältnisses eine verhältnissmässig leichte<lb/>
Erwerbung zu sein scheint. Beisst doch jeder ältere Hund<lb/>
nicht mehr in den Stock, mit welchem man ihn schlägt, son-<lb/>
dern in die Beine des Schlagenden.</p><lb/>
        <p>Dass man aber jede Eigenschaft, welche sich allmählich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[234/0248] V. Ueber das Wesen des Organischen. steht daher kein principieller Grund, die Annahme zu ver- weigern, dass, wie manche chemische Verbindungen Licht oder Elektricität produciren, nicht auch bestimmte chemische Pro- cesse die Fähigkeit haben sollen, die physikalisch-chemischen Erlebnisse des Individuums im Gehirn zu fixiren und sie durch Reizeinwirkung wieder in grösserer oder geringerer Ausdeh- nung erregen und zu einem Gesammteindrucke sich vereinigen zu lassen. Ob dieses Selbstbewusstsein die erste Abstraction war, oder ob diese zuerst durch andere öfter vorkommende, einander ähnliche Eindrücke, als die natürliche stärkere Er- regung des Gemeinsamen derselben entstanden ist, können wir als Nichtfachmann nicht erörtern. Es liegt uns blos daran, darauf hinzuweisen, dass vielleicht die psychischen Functionen gar nicht so etwas absolut von allem anderen Geschehen Dif- ferentes sind, als dass sie nicht ebenso wie dieses aus einer der vielen verschiedenen Qualitäten, welche in den Organismen vorhanden sind und nicht aufhören zu wirken, wenn sie auch einmal einige Decennien hindurch geleugnet werden, ableitbar wären. Auch hier wird die Entstehung eine sehr allmähliche gewesen sein. Es kann Jahrmillionen gedauert haben, ehe die erste Abstraction aus den alltäglichsten und genügend variiren- den Dingen als eine noch unbewusste Auffassung des Gemein- samen derselben gebildet worden ist, und dieselbe Zeit kann darüber hingegangen sein, ehe die regelmässige Wiederkehr des Schmerzes nach einem Schlage als nicht blosses regel- mässiges Nacheinander, sondern wohl enger mit einander Ver- bundenes aufgefasst worden ist, obgleich mir besonders die Er- fassung des Causalverhältnisses eine verhältnissmässig leichte Erwerbung zu sein scheint. Beisst doch jeder ältere Hund nicht mehr in den Stock, mit welchem man ihn schlägt, son- dern in die Beine des Schlagenden. Dass man aber jede Eigenschaft, welche sich allmählich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/248
Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 234. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/248>, abgerufen am 23.11.2024.