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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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V. Ueber das Wesen des Organischen.
leichter verständlich, als die Sensibilität, eher schwerer, trotz
der häufig angeführten Analogie der Krystallbildung; denn letz-
tere findet eben nicht aus Processen mit Stoffwechsel statt.

Wie man früher den Homunculus fix und fertig aus der
Retorte hervorgehen lassen wollte, so verlangt man es heut zu
Tage von der Monere. Das erscheint mir nicht unähnlich, als
wenn man erwartete, dass zufällig einmal der Sturmwind ein
in sich geordnetes Kunstwerk, etwa wie eine Beethoven'sche
Symphonie bliese, oder dass er beim Zusammenbrechen alter
Felsen aus den Trümmern einen stylgemässen dorischen Tem-
pel aufbaute, oder dass ein Papua zufällig einmal die In-
tegralrechnung entdeckte. Wenn einmal das, zu dessen Ent-
stehung Jahrtausende lange Auslese immer des Besten nöthig
gewesen ist, plötzlich auf einmal ebenso vollkommen aus der
Hand des Zufalls hervorgehen kann, warum sollte es in diesen
Fällen nicht auch stattfinden können? Sind sie doch eher viel-
leicht noch einfacher, als die Zusammenordnungen der Theilchen
bei der Bewegung der Monere, welche nicht einmal feste, son-
dern fortwährend wechselnde sind.

Die Entwickelungsstufen von dem einfachen Assimilations-
process bis zu dem mit Sensibilität und von diesem Letzteren
bis zur Entstehung bestimmter, durch Vererbung übertragbarer
Richtungen und von diesem bis zum Menschen, erscheinen mir
nicht so ungleich. Das principiell Geleistete derselben ist nach
unserem heutigen, allerdings gänzlich unzureichenden Verständ-
niss ziemlich gleichwerthig; höchstens wird noch eine vierte
Stufe, die ihren Anfang mit der Entstehung des Bewusstseins,
mit der Zusammenfassung der Einzelerlebnisse zu einer Ge-
sammtwirkung einzuschieben sein. Aber wenn das Wesen des
Bewusstseins schon besser analytisch untersucht wäre, würde
uns dasselbe vielleicht gar nicht so wesentlich erscheinen, um
eine besondere Stufe für diese Art der Abstraction, aus welcher

V. Ueber das Wesen des Organischen.
leichter verständlich, als die Sensibilität, eher schwerer, trotz
der häufig angeführten Analogie der Krystallbildung; denn letz-
tere findet eben nicht aus Processen mit Stoffwechsel statt.

Wie man früher den Homunculus fix und fertig aus der
Retorte hervorgehen lassen wollte, so verlangt man es heut zu
Tage von der Monere. Das erscheint mir nicht unähnlich, als
wenn man erwartete, dass zufällig einmal der Sturmwind ein
in sich geordnetes Kunstwerk, etwa wie eine Beethoven’sche
Symphonie bliese, oder dass er beim Zusammenbrechen alter
Felsen aus den Trümmern einen stylgemässen dorischen Tem-
pel aufbaute, oder dass ein Papua zufällig einmal die In-
tegralrechnung entdeckte. Wenn einmal das, zu dessen Ent-
stehung Jahrtausende lange Auslese immer des Besten nöthig
gewesen ist, plötzlich auf einmal ebenso vollkommen aus der
Hand des Zufalls hervorgehen kann, warum sollte es in diesen
Fällen nicht auch stattfinden können? Sind sie doch eher viel-
leicht noch einfacher, als die Zusammenordnungen der Theilchen
bei der Bewegung der Monere, welche nicht einmal feste, son-
dern fortwährend wechselnde sind.

Die Entwickelungsstufen von dem einfachen Assimilations-
process bis zu dem mit Sensibilität und von diesem Letzteren
bis zur Entstehung bestimmter, durch Vererbung übertragbarer
Richtungen und von diesem bis zum Menschen, erscheinen mir
nicht so ungleich. Das principiell Geleistete derselben ist nach
unserem heutigen, allerdings gänzlich unzureichenden Verständ-
niss ziemlich gleichwerthig; höchstens wird noch eine vierte
Stufe, die ihren Anfang mit der Entstehung des Bewusstseins,
mit der Zusammenfassung der Einzelerlebnisse zu einer Ge-
sammtwirkung einzuschieben sein. Aber wenn das Wesen des
Bewusstseins schon besser analytisch untersucht wäre, würde
uns dasselbe vielleicht gar nicht so wesentlich erscheinen, um
eine besondere Stufe für diese Art der Abstraction, aus welcher

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[232/0246] V. Ueber das Wesen des Organischen. leichter verständlich, als die Sensibilität, eher schwerer, trotz der häufig angeführten Analogie der Krystallbildung; denn letz- tere findet eben nicht aus Processen mit Stoffwechsel statt. Wie man früher den Homunculus fix und fertig aus der Retorte hervorgehen lassen wollte, so verlangt man es heut zu Tage von der Monere. Das erscheint mir nicht unähnlich, als wenn man erwartete, dass zufällig einmal der Sturmwind ein in sich geordnetes Kunstwerk, etwa wie eine Beethoven’sche Symphonie bliese, oder dass er beim Zusammenbrechen alter Felsen aus den Trümmern einen stylgemässen dorischen Tem- pel aufbaute, oder dass ein Papua zufällig einmal die In- tegralrechnung entdeckte. Wenn einmal das, zu dessen Ent- stehung Jahrtausende lange Auslese immer des Besten nöthig gewesen ist, plötzlich auf einmal ebenso vollkommen aus der Hand des Zufalls hervorgehen kann, warum sollte es in diesen Fällen nicht auch stattfinden können? Sind sie doch eher viel- leicht noch einfacher, als die Zusammenordnungen der Theilchen bei der Bewegung der Monere, welche nicht einmal feste, son- dern fortwährend wechselnde sind. Die Entwickelungsstufen von dem einfachen Assimilations- process bis zu dem mit Sensibilität und von diesem Letzteren bis zur Entstehung bestimmter, durch Vererbung übertragbarer Richtungen und von diesem bis zum Menschen, erscheinen mir nicht so ungleich. Das principiell Geleistete derselben ist nach unserem heutigen, allerdings gänzlich unzureichenden Verständ- niss ziemlich gleichwerthig; höchstens wird noch eine vierte Stufe, die ihren Anfang mit der Entstehung des Bewusstseins, mit der Zusammenfassung der Einzelerlebnisse zu einer Ge- sammtwirkung einzuschieben sein. Aber wenn das Wesen des Bewusstseins schon besser analytisch untersucht wäre, würde uns dasselbe vielleicht gar nicht so wesentlich erscheinen, um eine besondere Stufe für diese Art der Abstraction, aus welcher

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/246>, abgerufen am 28.04.2024.