Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
wird durch functionelle Selbstgestaltung eventuell mit Hilfe des
Kampfes der Theile auf das Zweckmässigste eingerichtet.

Wenn dagegen die äussere Gestalt selber bestimmten Ein-
wirkungen ausgesetzt ist, wie die Gestalt der Knochen und
Bänder der Einwirkung der Muskeln, so ist auch sie nicht mehr
frei, sofern der bestimmende Charakter des anderen Organes,
hier der Muskeln, einmal gegeben ist.

Da im Embryo das Geschehen zunächst ein rein chemisches,
Gestaltung aus chemischen Processen ist, so ergiebt sich von
selber, dass gerade chemische Alterationen im Stande sein
werden, die Gestaltung ganzer Organsysteme auf einmal zu
beeinflussen, zu ändern, und es überbrücken sich so, wie schon
A. Graf Kayserling1) hervorgehoben hat, leichter grössere
Kluften im Thierreich, wie die zwischen Reptilien und Vögeln
und zwischen Amphibien und Säugern. Eine chemische Altera-
tion kann eine so grosse formale Umänderung in einem Organ-
system oder in allen Theilen des Organismus auf einmal her-
vorbringen, wie sie durch functionelle Anpassung allein vielleicht
nicht in Tausenden von Generationen entstanden sein würde.
Ein eclatantes Beispiel dieser Art beschreibt von einer Pflanze
W. Knop2). Er sah bei Maispflanzen nach Vertauschung der
schwefelsauren Magnesia der Nahrung mit unterschwefelsaurer
Magnesia eine Umwandlung des ganzen Blüthenstandes mit Um-
änderung der Blüthen selber entstehen, sodass an den meisten
Pflanzen gar nicht mehr die Form eines Maiskolbens entstand.
Nur an den niedrigsten Pflanzen traten später aus einer der
unteren Blattscheiden die Spitzen der Hülle eines Maiskolbens
hervor. Kölliker erwähnt3) gleichfalls ein sehr interessantes

1) Bulletin de la Societe geol. de France. 2. ser. T. 10. p. 355. Cit.
nach G. Seydlitz, Die Darwin'scheTheorie. 1875. p. 50.
2) Berichte der Kgl. Sächs. Acad. d. Wiss. Bd. 30. p. 39.
3) Kölliker, Entwickelungsgesch. des Menschen etc. 1879. p. 177.

IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
wird durch functionelle Selbstgestaltung eventuell mit Hilfe des
Kampfes der Theile auf das Zweckmässigste eingerichtet.

Wenn dagegen die äussere Gestalt selber bestimmten Ein-
wirkungen ausgesetzt ist, wie die Gestalt der Knochen und
Bänder der Einwirkung der Muskeln, so ist auch sie nicht mehr
frei, sofern der bestimmende Charakter des anderen Organes,
hier der Muskeln, einmal gegeben ist.

Da im Embryo das Geschehen zunächst ein rein chemisches,
Gestaltung aus chemischen Processen ist, so ergiebt sich von
selber, dass gerade chemische Alterationen im Stande sein
werden, die Gestaltung ganzer Organsysteme auf einmal zu
beeinflussen, zu ändern, und es überbrücken sich so, wie schon
A. Graf Kayserling1) hervorgehoben hat, leichter grössere
Kluften im Thierreich, wie die zwischen Reptilien und Vögeln
und zwischen Amphibien und Säugern. Eine chemische Altera-
tion kann eine so grosse formale Umänderung in einem Organ-
system oder in allen Theilen des Organismus auf einmal her-
vorbringen, wie sie durch functionelle Anpassung allein vielleicht
nicht in Tausenden von Generationen entstanden sein würde.
Ein eclatantes Beispiel dieser Art beschreibt von einer Pflanze
W. Knop2). Er sah bei Maispflanzen nach Vertauschung der
schwefelsauren Magnesia der Nahrung mit unterschwefelsaurer
Magnesia eine Umwandlung des ganzen Blüthenstandes mit Um-
änderung der Blüthen selber entstehen, sodass an den meisten
Pflanzen gar nicht mehr die Form eines Maiskolbens entstand.
Nur an den niedrigsten Pflanzen traten später aus einer der
unteren Blattscheiden die Spitzen der Hülle eines Maiskolbens
hervor. Kölliker erwähnt3) gleichfalls ein sehr interessantes

1) Bulletin de la Société géol. de France. 2. sér. T. 10. p. 355. Cit.
nach G. Seydlitz, Die Darwin’scheTheorie. 1875. p. 50.
2) Berichte der Kgl. Sächs. Acad. d. Wiss. Bd. 30. p. 39.
3) Kölliker, Entwickelungsgesch. des Menschen etc. 1879. p. 177.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0220" n="206"/><fw place="top" type="header">IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.</fw><lb/>
wird durch functionelle Selbstgestaltung eventuell mit Hilfe des<lb/>
Kampfes der Theile auf das Zweckmässigste eingerichtet.</p><lb/>
        <p>Wenn dagegen die äussere Gestalt selber bestimmten Ein-<lb/>
wirkungen ausgesetzt ist, wie die Gestalt der Knochen und<lb/>
Bänder der Einwirkung der Muskeln, so ist auch sie nicht mehr<lb/>
frei, sofern der bestimmende Charakter des anderen Organes,<lb/>
hier der Muskeln, einmal gegeben ist.</p><lb/>
        <p>Da im Embryo das Geschehen zunächst ein rein chemisches,<lb/>
Gestaltung aus chemischen Processen ist, so ergiebt sich von<lb/>
selber, dass gerade chemische Alterationen im Stande sein<lb/>
werden, die Gestaltung ganzer Organsysteme auf einmal zu<lb/>
beeinflussen, zu ändern, und es überbrücken sich so, wie schon<lb/>
A. Graf <hi rendition="#g">Kayserling</hi><note place="foot" n="1)">Bulletin de la Société géol. de France. 2. sér. T. 10. p. 355. Cit.<lb/>
nach G. Seydlitz, Die Darwin&#x2019;scheTheorie. 1875. p. 50.</note> hervorgehoben hat, leichter grössere<lb/>
Kluften im Thierreich, wie die zwischen Reptilien und Vögeln<lb/>
und zwischen Amphibien und Säugern. Eine chemische Altera-<lb/>
tion kann eine so grosse formale Umänderung in einem Organ-<lb/>
system oder in allen Theilen des Organismus auf einmal her-<lb/>
vorbringen, wie sie durch functionelle Anpassung allein vielleicht<lb/>
nicht in Tausenden von Generationen entstanden sein würde.<lb/>
Ein eclatantes Beispiel dieser Art beschreibt von einer Pflanze<lb/>
W. <hi rendition="#g">Knop</hi><note place="foot" n="2)">Berichte der Kgl. Sächs. Acad. d. Wiss. Bd. 30. p. 39.</note>. Er sah bei Maispflanzen nach Vertauschung der<lb/>
schwefelsauren Magnesia der Nahrung mit unterschwefelsaurer<lb/>
Magnesia eine Umwandlung des ganzen Blüthenstandes mit Um-<lb/>
änderung der Blüthen selber entstehen, sodass an den meisten<lb/>
Pflanzen gar nicht mehr die Form eines Maiskolbens entstand.<lb/>
Nur an den niedrigsten Pflanzen traten später aus einer der<lb/>
unteren Blattscheiden die Spitzen der Hülle eines Maiskolbens<lb/>
hervor. <hi rendition="#g">Kölliker</hi> erwähnt<note place="foot" n="3)">Kölliker, Entwickelungsgesch. des Menschen etc. 1879. p. 177.</note> gleichfalls ein sehr interessantes<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[206/0220] IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize. wird durch functionelle Selbstgestaltung eventuell mit Hilfe des Kampfes der Theile auf das Zweckmässigste eingerichtet. Wenn dagegen die äussere Gestalt selber bestimmten Ein- wirkungen ausgesetzt ist, wie die Gestalt der Knochen und Bänder der Einwirkung der Muskeln, so ist auch sie nicht mehr frei, sofern der bestimmende Charakter des anderen Organes, hier der Muskeln, einmal gegeben ist. Da im Embryo das Geschehen zunächst ein rein chemisches, Gestaltung aus chemischen Processen ist, so ergiebt sich von selber, dass gerade chemische Alterationen im Stande sein werden, die Gestaltung ganzer Organsysteme auf einmal zu beeinflussen, zu ändern, und es überbrücken sich so, wie schon A. Graf Kayserling 1) hervorgehoben hat, leichter grössere Kluften im Thierreich, wie die zwischen Reptilien und Vögeln und zwischen Amphibien und Säugern. Eine chemische Altera- tion kann eine so grosse formale Umänderung in einem Organ- system oder in allen Theilen des Organismus auf einmal her- vorbringen, wie sie durch functionelle Anpassung allein vielleicht nicht in Tausenden von Generationen entstanden sein würde. Ein eclatantes Beispiel dieser Art beschreibt von einer Pflanze W. Knop 2). Er sah bei Maispflanzen nach Vertauschung der schwefelsauren Magnesia der Nahrung mit unterschwefelsaurer Magnesia eine Umwandlung des ganzen Blüthenstandes mit Um- änderung der Blüthen selber entstehen, sodass an den meisten Pflanzen gar nicht mehr die Form eines Maiskolbens entstand. Nur an den niedrigsten Pflanzen traten später aus einer der unteren Blattscheiden die Spitzen der Hülle eines Maiskolbens hervor. Kölliker erwähnt 3) gleichfalls ein sehr interessantes 1) Bulletin de la Société géol. de France. 2. sér. T. 10. p. 355. Cit. nach G. Seydlitz, Die Darwin’scheTheorie. 1875. p. 50. 2) Berichte der Kgl. Sächs. Acad. d. Wiss. Bd. 30. p. 39. 3) Kölliker, Entwickelungsgesch. des Menschen etc. 1879. p. 177.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/220
Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 206. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/220>, abgerufen am 28.04.2024.