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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
Beispiel, indem er sagt, dass bei mangelnder oder ungenügender
Luftzufuhr zum bebrüteten Ei im Gefässhof des Hühnerembryo
sich die von E. Klein beschriebenen Endothelblasen mit vielen
Kernen und endogener Knospung ausbilden und zur Bildung
von Blutgefässen in einer vom normalen Vorgange durchaus
abweichenden Weise führen.

Da ferner, wie wir sahen, sehr Vieles in den Gestaltungen
theils schon im Embryo und noch mehr im Erwachsenen von
der Wirkung von Reizen abhängt, und da uns zugleich die
Pathologie lehrt, dass die Gewebe ausser auf die functionellen
Reize auch noch auf andere fremde Reize plastisch reagiren, so
ergiebt sich von selber, dass die Bildungen verändert werden,
von der normalen Gestaltung abweichen müssen, wenn die Ge-
webe der Einwirkung fremder Reize unterworfen werden.

Eines der einfachsten Beispiele ist die Ausbildung des an-
geborenen Plattfusses, welcher nach Martin, Volkmann,
Lücke, O. Küstner
1) u. A. bei absolutem oder relativem
Mangel an Fruchtwasser und daraus folgendem directen Druck
der Gebärmutter auf die Kindestheile entsteht. Wenn nun
aber, wie thatsächlich der Fall, die Entwickelung zumeist in
normaler Weise abläuft, so beweist dies einen sehr vollkommenen
Schutz des Organismus gegen andere, als die functionellen Reize.
Es beweist, dass die formbildenden Reize normal sich selber
im Embryo produciren, ohne äussere Einwirkungen. Wenn im
jugendlichen Individuum künstliche Hyperaemie eines Theiles
hervorgerufen, ihm also mehr Blut zugeführt wird, als er selber
zufolge der ihm vererbten Eigenschaften auf dem Wege der
oben erwähnten Selbstregulation sich zu verschaffen vermag,
so entsteht abnorm starkes Wachsthum, also abnorme Bildung,
da die Theile in diesem Stadium noch ohne Function wachsen

1) Langenbeck's Archiv. Bd. XXV. Heft 2.

IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
Beispiel, indem er sagt, dass bei mangelnder oder ungenügender
Luftzufuhr zum bebrüteten Ei im Gefässhof des Hühnerembryo
sich die von E. Klein beschriebenen Endothelblasen mit vielen
Kernen und endogener Knospung ausbilden und zur Bildung
von Blutgefässen in einer vom normalen Vorgange durchaus
abweichenden Weise führen.

Da ferner, wie wir sahen, sehr Vieles in den Gestaltungen
theils schon im Embryo und noch mehr im Erwachsenen von
der Wirkung von Reizen abhängt, und da uns zugleich die
Pathologie lehrt, dass die Gewebe ausser auf die functionellen
Reize auch noch auf andere fremde Reize plastisch reagiren, so
ergiebt sich von selber, dass die Bildungen verändert werden,
von der normalen Gestaltung abweichen müssen, wenn die Ge-
webe der Einwirkung fremder Reize unterworfen werden.

Eines der einfachsten Beispiele ist die Ausbildung des an-
geborenen Plattfusses, welcher nach Martin, Volkmann,
Lücke, O. Küstner
1) u. A. bei absolutem oder relativem
Mangel an Fruchtwasser und daraus folgendem directen Druck
der Gebärmutter auf die Kindestheile entsteht. Wenn nun
aber, wie thatsächlich der Fall, die Entwickelung zumeist in
normaler Weise abläuft, so beweist dies einen sehr vollkommenen
Schutz des Organismus gegen andere, als die functionellen Reize.
Es beweist, dass die formbildenden Reize normal sich selber
im Embryo produciren, ohne äussere Einwirkungen. Wenn im
jugendlichen Individuum künstliche Hyperaemie eines Theiles
hervorgerufen, ihm also mehr Blut zugeführt wird, als er selber
zufolge der ihm vererbten Eigenschaften auf dem Wege der
oben erwähnten Selbstregulation sich zu verschaffen vermag,
so entsteht abnorm starkes Wachsthum, also abnorme Bildung,
da die Theile in diesem Stadium noch ohne Function wachsen

1) Langenbeck’s Archiv. Bd. XXV. Heft 2.
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[207/0221] IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize. Beispiel, indem er sagt, dass bei mangelnder oder ungenügender Luftzufuhr zum bebrüteten Ei im Gefässhof des Hühnerembryo sich die von E. Klein beschriebenen Endothelblasen mit vielen Kernen und endogener Knospung ausbilden und zur Bildung von Blutgefässen in einer vom normalen Vorgange durchaus abweichenden Weise führen. Da ferner, wie wir sahen, sehr Vieles in den Gestaltungen theils schon im Embryo und noch mehr im Erwachsenen von der Wirkung von Reizen abhängt, und da uns zugleich die Pathologie lehrt, dass die Gewebe ausser auf die functionellen Reize auch noch auf andere fremde Reize plastisch reagiren, so ergiebt sich von selber, dass die Bildungen verändert werden, von der normalen Gestaltung abweichen müssen, wenn die Ge- webe der Einwirkung fremder Reize unterworfen werden. Eines der einfachsten Beispiele ist die Ausbildung des an- geborenen Plattfusses, welcher nach Martin, Volkmann, Lücke, O. Küstner 1) u. A. bei absolutem oder relativem Mangel an Fruchtwasser und daraus folgendem directen Druck der Gebärmutter auf die Kindestheile entsteht. Wenn nun aber, wie thatsächlich der Fall, die Entwickelung zumeist in normaler Weise abläuft, so beweist dies einen sehr vollkommenen Schutz des Organismus gegen andere, als die functionellen Reize. Es beweist, dass die formbildenden Reize normal sich selber im Embryo produciren, ohne äussere Einwirkungen. Wenn im jugendlichen Individuum künstliche Hyperaemie eines Theiles hervorgerufen, ihm also mehr Blut zugeführt wird, als er selber zufolge der ihm vererbten Eigenschaften auf dem Wege der oben erwähnten Selbstregulation sich zu verschaffen vermag, so entsteht abnorm starkes Wachsthum, also abnorme Bildung, da die Theile in diesem Stadium noch ohne Function wachsen 1) Langenbeck’s Archiv. Bd. XXV. Heft 2.

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/221>, abgerufen am 28.04.2024.