Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
Truthahns haben keine active Function, und ihre Gestalt ist
somit durch embryonale Variation entstanden, ebenso wie nicht
selten die Farbe und wohl immer die Zeichnung der Thiere.
Wenn aber auch das ganze Organ keine Function hat, so haben
doch die Theile eine Function im Ganzen, nämlich die, das
Ganze darzustellen und zu erhalten. Indem hierbei die einen
Theile mehr zu halten haben als die anderen, wird sich inner-
halb des Ganzen eine ungleiche Function der Theile und da-
mit eine entsprechende innere Structur des Ganzen ausbilden,
in den vorliegenden Beispielen also eine statische Structur.

Das Gleiche gilt von den durch ihre äussere Form wirken-
den Begattungsorganen. Hier ist die Gestalt sicher blos durch
embryonale Variation entstanden. Aber die innere Einrichtung
lässt erkennen, dass die einzelnen Bestandtheile sich nach dem
Maasse ausgebildet haben, als sie zur Herstellung dieser Form
beitragen. Ebenso ist es mit den anderen Theilen der Ge-
schlechtsorgane
. Die ganze Umbildung, durch welche z. B.
die Eileiter von den Harnleitern abgetrennt worden sind, kann
blos auf embryonale Variation und summirende Auslese nach
Darwin, nicht auf directe functionelle Anpassung zurückge-
führt werden, während die Structur ihrer Wandung aus Längs-
und Ringmuskeln, wie oben dargelegt, nur eine Folge der
functionellen Anpassung sein kann.

Ebenso gehören wohl die Hilfsapparate der Sinnesorgane
hierher; denn blos die specifischen Theile können durch den
Reiz selber beeinflusst werden, während die Hilfsapparate alle
durch embryonale Variation geformt und blos in ihrer Structur
durch functionelle Selbstgestaltung bestimmt werden.

Die embryonale Variation hat somit die Freiheit der äusseren
Gestaltung der Theile in jeder beliebigen Weise; aber die innere
Structur derselben, die Anordnung der Theile, welche diese
Gestalt hervorbringen müssen, ist dann nicht mehr frei, sondern

IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
Truthahns haben keine active Function, und ihre Gestalt ist
somit durch embryonale Variation entstanden, ebenso wie nicht
selten die Farbe und wohl immer die Zeichnung der Thiere.
Wenn aber auch das ganze Organ keine Function hat, so haben
doch die Theile eine Function im Ganzen, nämlich die, das
Ganze darzustellen und zu erhalten. Indem hierbei die einen
Theile mehr zu halten haben als die anderen, wird sich inner-
halb des Ganzen eine ungleiche Function der Theile und da-
mit eine entsprechende innere Structur des Ganzen ausbilden,
in den vorliegenden Beispielen also eine statische Structur.

Das Gleiche gilt von den durch ihre äussere Form wirken-
den Begattungsorganen. Hier ist die Gestalt sicher blos durch
embryonale Variation entstanden. Aber die innere Einrichtung
lässt erkennen, dass die einzelnen Bestandtheile sich nach dem
Maasse ausgebildet haben, als sie zur Herstellung dieser Form
beitragen. Ebenso ist es mit den anderen Theilen der Ge-
schlechtsorgane
. Die ganze Umbildung, durch welche z. B.
die Eileiter von den Harnleitern abgetrennt worden sind, kann
blos auf embryonale Variation und summirende Auslese nach
Darwin, nicht auf directe functionelle Anpassung zurückge-
führt werden, während die Structur ihrer Wandung aus Längs-
und Ringmuskeln, wie oben dargelegt, nur eine Folge der
functionellen Anpassung sein kann.

Ebenso gehören wohl die Hilfsapparate der Sinnesorgane
hierher; denn blos die specifischen Theile können durch den
Reiz selber beeinflusst werden, während die Hilfsapparate alle
durch embryonale Variation geformt und blos in ihrer Structur
durch functionelle Selbstgestaltung bestimmt werden.

Die embryonale Variation hat somit die Freiheit der äusseren
Gestaltung der Theile in jeder beliebigen Weise; aber die innere
Structur derselben, die Anordnung der Theile, welche diese
Gestalt hervorbringen müssen, ist dann nicht mehr frei, sondern

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0219" n="205"/><fw place="top" type="header">IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.</fw><lb/>
Truthahns haben keine active Function, und ihre Gestalt ist<lb/>
somit durch embryonale Variation entstanden, ebenso wie nicht<lb/>
selten die Farbe und wohl immer die Zeichnung der Thiere.<lb/>
Wenn aber auch das ganze Organ keine Function hat, so haben<lb/>
doch die Theile eine Function im Ganzen, nämlich die, das<lb/>
Ganze darzustellen und zu erhalten. Indem hierbei die einen<lb/>
Theile mehr zu halten haben als die anderen, wird sich inner-<lb/>
halb des Ganzen eine ungleiche Function der Theile und da-<lb/>
mit eine entsprechende innere Structur des Ganzen ausbilden,<lb/>
in den vorliegenden Beispielen also eine statische Structur.</p><lb/>
        <p>Das Gleiche gilt von den durch ihre äussere Form wirken-<lb/>
den Begattungsorganen. Hier ist die Gestalt sicher blos durch<lb/>
embryonale Variation entstanden. Aber die innere Einrichtung<lb/>
lässt erkennen, dass die einzelnen Bestandtheile sich nach dem<lb/>
Maasse ausgebildet haben, als sie zur Herstellung dieser Form<lb/>
beitragen. Ebenso ist es mit den anderen Theilen der <hi rendition="#g">Ge-<lb/>
schlechtsorgane</hi>. Die ganze Umbildung, durch welche z. B.<lb/>
die Eileiter von den Harnleitern abgetrennt worden sind, kann<lb/>
blos auf embryonale Variation und summirende Auslese nach<lb/><hi rendition="#g">Darwin</hi>, nicht auf directe functionelle Anpassung zurückge-<lb/>
führt werden, während die Structur ihrer Wandung aus Längs-<lb/>
und Ringmuskeln, wie oben dargelegt, nur eine Folge der<lb/>
functionellen Anpassung sein kann.</p><lb/>
        <p>Ebenso gehören wohl die Hilfsapparate der Sinnesorgane<lb/>
hierher; denn blos die specifischen Theile können durch den<lb/>
Reiz selber beeinflusst werden, während die Hilfsapparate alle<lb/>
durch embryonale Variation geformt und blos in ihrer Structur<lb/>
durch functionelle Selbstgestaltung bestimmt werden.</p><lb/>
        <p>Die embryonale Variation hat somit die Freiheit der äusseren<lb/>
Gestaltung der Theile in jeder beliebigen Weise; aber die innere<lb/>
Structur derselben, die Anordnung der Theile, welche diese<lb/>
Gestalt hervorbringen müssen, ist dann nicht mehr frei, sondern<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[205/0219] IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize. Truthahns haben keine active Function, und ihre Gestalt ist somit durch embryonale Variation entstanden, ebenso wie nicht selten die Farbe und wohl immer die Zeichnung der Thiere. Wenn aber auch das ganze Organ keine Function hat, so haben doch die Theile eine Function im Ganzen, nämlich die, das Ganze darzustellen und zu erhalten. Indem hierbei die einen Theile mehr zu halten haben als die anderen, wird sich inner- halb des Ganzen eine ungleiche Function der Theile und da- mit eine entsprechende innere Structur des Ganzen ausbilden, in den vorliegenden Beispielen also eine statische Structur. Das Gleiche gilt von den durch ihre äussere Form wirken- den Begattungsorganen. Hier ist die Gestalt sicher blos durch embryonale Variation entstanden. Aber die innere Einrichtung lässt erkennen, dass die einzelnen Bestandtheile sich nach dem Maasse ausgebildet haben, als sie zur Herstellung dieser Form beitragen. Ebenso ist es mit den anderen Theilen der Ge- schlechtsorgane. Die ganze Umbildung, durch welche z. B. die Eileiter von den Harnleitern abgetrennt worden sind, kann blos auf embryonale Variation und summirende Auslese nach Darwin, nicht auf directe functionelle Anpassung zurückge- führt werden, während die Structur ihrer Wandung aus Längs- und Ringmuskeln, wie oben dargelegt, nur eine Folge der functionellen Anpassung sein kann. Ebenso gehören wohl die Hilfsapparate der Sinnesorgane hierher; denn blos die specifischen Theile können durch den Reiz selber beeinflusst werden, während die Hilfsapparate alle durch embryonale Variation geformt und blos in ihrer Structur durch functionelle Selbstgestaltung bestimmt werden. Die embryonale Variation hat somit die Freiheit der äusseren Gestaltung der Theile in jeder beliebigen Weise; aber die innere Structur derselben, die Anordnung der Theile, welche diese Gestalt hervorbringen müssen, ist dann nicht mehr frei, sondern

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/219
Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 205. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/219>, abgerufen am 28.04.2024.