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Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881.

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IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
Gelegenheit geschwunden ist, auch die Muskeln schwinden.
So sagt z. B. Henle1): "Es ist eine bekannte anatomische
Thatsache, dass Muskeln zu Bindgewebe entarten, wenn die
Theile, zwischen welchen sie ausgespannt sind, unbeweglich
werden." Die glatten Muskelfasern nun haben bekanntlich
keine bestimmten Ursprungs- und Ansatzpunkte, welche der
Faserung bestimmte Richtungen ertheilen, sondern sie bilden
Häute, in welchen sie eigentlich beliebig durch einander liegen
könnten. Das ist aber nicht der Fall, sondern sie liegen, wie
in Capitel I erwähnt, in den verschiedensten Organen, in denen
sie vorkommen, immer blos in den Richtungen der stärksten
Leistungsfähigkeit, und es spricht sich darin wieder die Re-
duction auf die kräftigsten Componenten aus. So sahen wir in
den cylindrischen Hohlorganen, dem Darm, den Harnleitern,
den Samenleitern, den Blutgefässen etc., blos Quer- und Längs-
muskelfasern, deren Entstehung wir abweichend von den be-
sprochenen ähnlichen Verhältnissen der bindegewebigen Organe
hier bei der Activität der Theile auf die Weise ableiten können,
dass aus einer verwirrten Anlage diejenigen Fasern, welche in
diesen Richtungen lagen, am meisten Gelegenheit zur Verkürzung
und der Ueberwindung von Widerständen fanden und dem ent-
sprechend den schief dazu gelagerten Fasern die Gelegenheit
zur Thätigkeit benahmen. An den blasenförmigen Organen,
wie der Harnblase und Gallenblase, welche blos in einer be-
stimmten Richtung, gegeben durch die Abflussöffnung, einen
locus minoris resistentiae darbieten, gegen welchen hin die
stärkste Verkürzung möglich ist, haben wir Faserzüge, welche
von diesem Orte aus meridional das Organ überziehen. Indem
diese in der Function bevorzugte Richtung durch die Ab-
fuhröffnung bestimmt gegeben ist, beraubt sie bei gehöriger
materieller Unterstützung alle schief zu ihr liegenden Faserzüge

1) J. Henle, Handb. der syst. Anatomie, Muskellehre p. 13 u. 16.

IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize.
Gelegenheit geschwunden ist, auch die Muskeln schwinden.
So sagt z. B. Henle1): »Es ist eine bekannte anatomische
Thatsache, dass Muskeln zu Bindgewebe entarten, wenn die
Theile, zwischen welchen sie ausgespannt sind, unbeweglich
werden.« Die glatten Muskelfasern nun haben bekanntlich
keine bestimmten Ursprungs- und Ansatzpunkte, welche der
Faserung bestimmte Richtungen ertheilen, sondern sie bilden
Häute, in welchen sie eigentlich beliebig durch einander liegen
könnten. Das ist aber nicht der Fall, sondern sie liegen, wie
in Capitel I erwähnt, in den verschiedensten Organen, in denen
sie vorkommen, immer blos in den Richtungen der stärksten
Leistungsfähigkeit, und es spricht sich darin wieder die Re-
duction auf die kräftigsten Componenten aus. So sahen wir in
den cylindrischen Hohlorganen, dem Darm, den Harnleitern,
den Samenleitern, den Blutgefässen etc., blos Quer- und Längs-
muskelfasern, deren Entstehung wir abweichend von den be-
sprochenen ähnlichen Verhältnissen der bindegewebigen Organe
hier bei der Activität der Theile auf die Weise ableiten können,
dass aus einer verwirrten Anlage diejenigen Fasern, welche in
diesen Richtungen lagen, am meisten Gelegenheit zur Verkürzung
und der Ueberwindung von Widerständen fanden und dem ent-
sprechend den schief dazu gelagerten Fasern die Gelegenheit
zur Thätigkeit benahmen. An den blasenförmigen Organen,
wie der Harnblase und Gallenblase, welche blos in einer be-
stimmten Richtung, gegeben durch die Abflussöffnung, einen
locus minoris resistentiae darbieten, gegen welchen hin die
stärkste Verkürzung möglich ist, haben wir Faserzüge, welche
von diesem Orte aus meridional das Organ überziehen. Indem
diese in der Function bevorzugte Richtung durch die Ab-
fuhröffnung bestimmt gegeben ist, beraubt sie bei gehöriger
materieller Unterstützung alle schief zu ihr liegenden Faserzüge

1) J. Henle, Handb. der syst. Anatomie, Muskellehre p. 13 u. 16.
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[197/0211] IV. Differenzirende u. gestaltende Wirkungen der function. Reize. Gelegenheit geschwunden ist, auch die Muskeln schwinden. So sagt z. B. Henle 1): »Es ist eine bekannte anatomische Thatsache, dass Muskeln zu Bindgewebe entarten, wenn die Theile, zwischen welchen sie ausgespannt sind, unbeweglich werden.« Die glatten Muskelfasern nun haben bekanntlich keine bestimmten Ursprungs- und Ansatzpunkte, welche der Faserung bestimmte Richtungen ertheilen, sondern sie bilden Häute, in welchen sie eigentlich beliebig durch einander liegen könnten. Das ist aber nicht der Fall, sondern sie liegen, wie in Capitel I erwähnt, in den verschiedensten Organen, in denen sie vorkommen, immer blos in den Richtungen der stärksten Leistungsfähigkeit, und es spricht sich darin wieder die Re- duction auf die kräftigsten Componenten aus. So sahen wir in den cylindrischen Hohlorganen, dem Darm, den Harnleitern, den Samenleitern, den Blutgefässen etc., blos Quer- und Längs- muskelfasern, deren Entstehung wir abweichend von den be- sprochenen ähnlichen Verhältnissen der bindegewebigen Organe hier bei der Activität der Theile auf die Weise ableiten können, dass aus einer verwirrten Anlage diejenigen Fasern, welche in diesen Richtungen lagen, am meisten Gelegenheit zur Verkürzung und der Ueberwindung von Widerständen fanden und dem ent- sprechend den schief dazu gelagerten Fasern die Gelegenheit zur Thätigkeit benahmen. An den blasenförmigen Organen, wie der Harnblase und Gallenblase, welche blos in einer be- stimmten Richtung, gegeben durch die Abflussöffnung, einen locus minoris resistentiae darbieten, gegen welchen hin die stärkste Verkürzung möglich ist, haben wir Faserzüge, welche von diesem Orte aus meridional das Organ überziehen. Indem diese in der Function bevorzugte Richtung durch die Ab- fuhröffnung bestimmt gegeben ist, beraubt sie bei gehöriger materieller Unterstützung alle schief zu ihr liegenden Faserzüge 1) J. Henle, Handb. der syst. Anatomie, Muskellehre p. 13 u. 16.

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Zitationshilfe: Roux, Wilhelm: Der Kampf der Teile des Organismus. Leipzig, 1881, S. 197. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roux_kampf_1881/211>, abgerufen am 28.04.2024.