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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Nachdem die Befreiung des in der Knospe eingeschlossenen Triebes
begonnen hat, treibt dieser mehr oder weniger schnell hervor und erreicht
damit entweder (wie bei der Buche) schon nach sehr kurzer Zeit seinen
Abschluß oder der Trieb wächst beinahe die ganze Vegetationsperiode hin-
durch an der Spitze fort, welches letztere besonders bei Stock- und Stamm-
Ausschlägen stattfindet.

Wie ungleichzeitig die Triebentfaltung bei den verschiedenen Baum-
arten stattfindet, davon ist z. B. Buche und Eiche im Vergleich zu der
Traubenkirsche, Prunus Padus, ein Beleg. Während die Knospen der
ersteren noch vollkommen geschlossen sind, hat sich letzterer bereits voll-
ständig belaubt und junge Triebe von 6--8 Zoll mit ganz ausgewachsenen
Blättern gemacht.

Geschützter sonniger Stand übt außerdem einen beschleunigenden Ein-
fluß auf die Knospenentfaltung aus.

Die Blätter erlangen meist sehr schnell ihre volle Größe und zwar
zugleich durch einfache Ausdehnung aus ihrer zusammengefalteten Knospen-
lage (S. S. 67), und durch Zellenvermehrung in ihrem Innern. Dabei
erfahren die Blätter mancher Baumarten eine bedeutende Farbenänderung;
nicht nur daß das anfänglich gelbliche Grün allmälig bestimmter und
dunkler wird, sondern bei manchen, z. B. bei der Espe und noch ent-
schiedener bei dem Weißdorn, Crataegus oxyacantha, sind sie anfangs
braunroth. Diese Jugendfarbe findet sich namentlich an den Trieben,
welche später und daher unter intensiverer Licht- und Wärme-Einwirkung
erwachsen, z. B. an beschnittenen Weißdornhecken.

Was nun die Lebensverrichtungen der Blätter betrifft, so ist diese,
wenn wohl auch nicht allein aber doch im Wesentlichen eine assimilirende
zu nennen, d. h. die in die Blätter aus dem Triebe eintretende Nahrungs-
flüssigkeit, deren Beschaffenheit wir bis hieher kennen gelernt haben, wird
in ihnen immer mehr veredelt, zu Neubildungen, die aus ihr hervor-
gehen sollen, immer mehr geeignet gemacht. Wir unterscheiden daher am
passendsten an diesen Orte den noch unassimilirten Frühjahrssaft als
rohen Nahrungssaft von dem Bildungssaft, der aus jenem durch
die Blätter gemacht wird.

Wenn wir einen vergleichenden Blick auf ähnliche Vorgänge im
Thierkörper thun wollen, so könnten wir die Blätter demnach Verdauungs-

Nachdem die Befreiung des in der Knospe eingeſchloſſenen Triebes
begonnen hat, treibt dieſer mehr oder weniger ſchnell hervor und erreicht
damit entweder (wie bei der Buche) ſchon nach ſehr kurzer Zeit ſeinen
Abſchluß oder der Trieb wächſt beinahe die ganze Vegetationsperiode hin-
durch an der Spitze fort, welches letztere beſonders bei Stock- und Stamm-
Ausſchlägen ſtattfindet.

Wie ungleichzeitig die Triebentfaltung bei den verſchiedenen Baum-
arten ſtattfindet, davon iſt z. B. Buche und Eiche im Vergleich zu der
Traubenkirſche, Prunus Padus, ein Beleg. Während die Knospen der
erſteren noch vollkommen geſchloſſen ſind, hat ſich letzterer bereits voll-
ſtändig belaubt und junge Triebe von 6—8 Zoll mit ganz ausgewachſenen
Blättern gemacht.

Geſchützter ſonniger Stand übt außerdem einen beſchleunigenden Ein-
fluß auf die Knospenentfaltung aus.

Die Blätter erlangen meiſt ſehr ſchnell ihre volle Größe und zwar
zugleich durch einfache Ausdehnung aus ihrer zuſammengefalteten Knospen-
lage (S. S. 67), und durch Zellenvermehrung in ihrem Innern. Dabei
erfahren die Blätter mancher Baumarten eine bedeutende Farbenänderung;
nicht nur daß das anfänglich gelbliche Grün allmälig beſtimmter und
dunkler wird, ſondern bei manchen, z. B. bei der Espe und noch ent-
ſchiedener bei dem Weißdorn, Crataegus oxyacantha, ſind ſie anfangs
braunroth. Dieſe Jugendfarbe findet ſich namentlich an den Trieben,
welche ſpäter und daher unter intenſiverer Licht- und Wärme-Einwirkung
erwachſen, z. B. an beſchnittenen Weißdornhecken.

Was nun die Lebensverrichtungen der Blätter betrifft, ſo iſt dieſe,
wenn wohl auch nicht allein aber doch im Weſentlichen eine aſſimilirende
zu nennen, d. h. die in die Blätter aus dem Triebe eintretende Nahrungs-
flüſſigkeit, deren Beſchaffenheit wir bis hieher kennen gelernt haben, wird
in ihnen immer mehr veredelt, zu Neubildungen, die aus ihr hervor-
gehen ſollen, immer mehr geeignet gemacht. Wir unterſcheiden daher am
paſſendſten an dieſen Orte den noch unaſſimilirten Frühjahrsſaft als
rohen Nahrungsſaft von dem Bildungsſaft, der aus jenem durch
die Blätter gemacht wird.

Wenn wir einen vergleichenden Blick auf ähnliche Vorgänge im
Thierkörper thun wollen, ſo könnten wir die Blätter demnach Verdauungs-

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[169/0193] Nachdem die Befreiung des in der Knospe eingeſchloſſenen Triebes begonnen hat, treibt dieſer mehr oder weniger ſchnell hervor und erreicht damit entweder (wie bei der Buche) ſchon nach ſehr kurzer Zeit ſeinen Abſchluß oder der Trieb wächſt beinahe die ganze Vegetationsperiode hin- durch an der Spitze fort, welches letztere beſonders bei Stock- und Stamm- Ausſchlägen ſtattfindet. Wie ungleichzeitig die Triebentfaltung bei den verſchiedenen Baum- arten ſtattfindet, davon iſt z. B. Buche und Eiche im Vergleich zu der Traubenkirſche, Prunus Padus, ein Beleg. Während die Knospen der erſteren noch vollkommen geſchloſſen ſind, hat ſich letzterer bereits voll- ſtändig belaubt und junge Triebe von 6—8 Zoll mit ganz ausgewachſenen Blättern gemacht. Geſchützter ſonniger Stand übt außerdem einen beſchleunigenden Ein- fluß auf die Knospenentfaltung aus. Die Blätter erlangen meiſt ſehr ſchnell ihre volle Größe und zwar zugleich durch einfache Ausdehnung aus ihrer zuſammengefalteten Knospen- lage (S. S. 67), und durch Zellenvermehrung in ihrem Innern. Dabei erfahren die Blätter mancher Baumarten eine bedeutende Farbenänderung; nicht nur daß das anfänglich gelbliche Grün allmälig beſtimmter und dunkler wird, ſondern bei manchen, z. B. bei der Espe und noch ent- ſchiedener bei dem Weißdorn, Crataegus oxyacantha, ſind ſie anfangs braunroth. Dieſe Jugendfarbe findet ſich namentlich an den Trieben, welche ſpäter und daher unter intenſiverer Licht- und Wärme-Einwirkung erwachſen, z. B. an beſchnittenen Weißdornhecken. Was nun die Lebensverrichtungen der Blätter betrifft, ſo iſt dieſe, wenn wohl auch nicht allein aber doch im Weſentlichen eine aſſimilirende zu nennen, d. h. die in die Blätter aus dem Triebe eintretende Nahrungs- flüſſigkeit, deren Beſchaffenheit wir bis hieher kennen gelernt haben, wird in ihnen immer mehr veredelt, zu Neubildungen, die aus ihr hervor- gehen ſollen, immer mehr geeignet gemacht. Wir unterſcheiden daher am paſſendſten an dieſen Orte den noch unaſſimilirten Frühjahrsſaft als rohen Nahrungsſaft von dem Bildungsſaft, der aus jenem durch die Blätter gemacht wird. Wenn wir einen vergleichenden Blick auf ähnliche Vorgänge im Thierkörper thun wollen, ſo könnten wir die Blätter demnach Verdauungs-

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 169. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/193>, abgerufen am 17.05.2024.