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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Um die Bedeutung der Samenlappen als Ernährer des Keimes nach-
zuweisen, hat man theils noch trocknen, theils gequellten oder schon gekeimten
Samen die Samenlappen ganz oder theilweise genommen und immer eine ent-
sprechende nachtheilige Wirkung auf die Entwicklung des Keimpflänzchens
eintreten sehen. Besonders lehrreich sind die neueren Versuche von Ju-
lius Sachs
*), aus denen auch hervorging, daß eine solche Verstümmelung
die erwachsenden Pflanzen in allen Theilen zwerghaft macht. Vielleicht
beruht also die Meinung in Wahrheit, daß die Chinesen bei der Erziehung
von Zwergbäumchen, in der sie Meister sind, sich dieser Operation bedienen.

Eine andere Verstümmelung der Keimlinge hat man bei der Eiche
angewendet. Um ihr so zu sagen die tief gehende Pfahlwurzel abzuge-
wöhnen, welche den Anbau der Eiche auf seichtem Boden verbietet, hatte
man den Wurzelkeim der keimenden Eicheln zum Theil abgeknippen. Da-
durch wurde allerdings die Absicht ziemlich erreicht, aber die aus solchen
Eicheln erwachsenen Pflanzen waren schlechtwüchsig.

Wir haben nun, ehe wir den weiteren Verlauf des Baumlebens ver-
folgen, eine nicht nur in der Walderziehung sehr wichtige, sondern über-
haupt in der Naturgeschichte eine der wichtigsten Fragen zu erörtern,
uämlich die, welche Bewandtniß es mit der Keimfähigkeit der Sa-
men habe.

Vorerst ist hier noch auf den Begriff der Reife des Samens zu
achten, die erfolgt sein muß, wenn der Same keimfähig sein soll, obgleich
von Mehreren, namentlich von Göppert und Cohn, auch mit unreifem
Samen gelungene Keimversuche angestellt worden sind. Auch manche Er-
folge der Gärtnerkunst sollen auf Anwendung unreifen Samens beruhen.

Das sicherste Kennzeichen der Reife des Samens ist bei unseren
Bäumen in der Regel das Abfallen derselben, obgleich auch diese ihre
Ausnahmen hat, indem z. B. der Same der Feldrüster sehr oft unreif
abfällt. Ein Verschrumpfen, Weichwerden, Verfärben seiner fleischigen
Fruchthülle, ein Vertrocknen der Fruchtstiele, Trockenwerden des Samen-

*) Physiol. Untersuchungen über die Keimung der Schminkbohne (Phaseolus mul-
tiflorus
). Sitzungsberichte der mathem.-physik. Klasse der k. Akademie der Wissenschaften
in Wien. 1859. Bd. XXXVII. S. 57. Diese Abhandlung giebt eine vollständige und
sehr genaue Darstellung des Keimungsvorganges und ist allen Denen zu empfehlen, welche
ihn gründlich kennen lernen wollen.

Um die Bedeutung der Samenlappen als Ernährer des Keimes nach-
zuweiſen, hat man theils noch trocknen, theils gequellten oder ſchon gekeimten
Samen die Samenlappen ganz oder theilweiſe genommen und immer eine ent-
ſprechende nachtheilige Wirkung auf die Entwicklung des Keimpflänzchens
eintreten ſehen. Beſonders lehrreich ſind die neueren Verſuche von Ju-
lius Sachs
*), aus denen auch hervorging, daß eine ſolche Verſtümmelung
die erwachſenden Pflanzen in allen Theilen zwerghaft macht. Vielleicht
beruht alſo die Meinung in Wahrheit, daß die Chineſen bei der Erziehung
von Zwergbäumchen, in der ſie Meiſter ſind, ſich dieſer Operation bedienen.

Eine andere Verſtümmelung der Keimlinge hat man bei der Eiche
angewendet. Um ihr ſo zu ſagen die tief gehende Pfahlwurzel abzuge-
wöhnen, welche den Anbau der Eiche auf ſeichtem Boden verbietet, hatte
man den Wurzelkeim der keimenden Eicheln zum Theil abgeknippen. Da-
durch wurde allerdings die Abſicht ziemlich erreicht, aber die aus ſolchen
Eicheln erwachſenen Pflanzen waren ſchlechtwüchſig.

Wir haben nun, ehe wir den weiteren Verlauf des Baumlebens ver-
folgen, eine nicht nur in der Walderziehung ſehr wichtige, ſondern über-
haupt in der Naturgeſchichte eine der wichtigſten Fragen zu erörtern,
uämlich die, welche Bewandtniß es mit der Keimfähigkeit der Sa-
men habe.

Vorerſt iſt hier noch auf den Begriff der Reife des Samens zu
achten, die erfolgt ſein muß, wenn der Same keimfähig ſein ſoll, obgleich
von Mehreren, namentlich von Göppert und Cohn, auch mit unreifem
Samen gelungene Keimverſuche angeſtellt worden ſind. Auch manche Er-
folge der Gärtnerkunſt ſollen auf Anwendung unreifen Samens beruhen.

Das ſicherſte Kennzeichen der Reife des Samens iſt bei unſeren
Bäumen in der Regel das Abfallen derſelben, obgleich auch dieſe ihre
Ausnahmen hat, indem z. B. der Same der Feldrüſter ſehr oft unreif
abfällt. Ein Verſchrumpfen, Weichwerden, Verfärben ſeiner fleiſchigen
Fruchthülle, ein Vertrocknen der Fruchtſtiele, Trockenwerden des Samen-

*) Phyſiol. Unterſuchungen über die Keimung der Schminkbohne (Phaseolus mul-
tiflorus
). Sitzungsberichte der mathem.-phyſik. Klaſſe der k. Akademie der Wiſſenſchaften
in Wien. 1859. Bd. XXXVII. S. 57. Dieſe Abhandlung giebt eine vollſtändige und
ſehr genaue Darſtellung des Keimungsvorganges und iſt allen Denen zu empfehlen, welche
ihn gründlich kennen lernen wollen.
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[139/0163] Um die Bedeutung der Samenlappen als Ernährer des Keimes nach- zuweiſen, hat man theils noch trocknen, theils gequellten oder ſchon gekeimten Samen die Samenlappen ganz oder theilweiſe genommen und immer eine ent- ſprechende nachtheilige Wirkung auf die Entwicklung des Keimpflänzchens eintreten ſehen. Beſonders lehrreich ſind die neueren Verſuche von Ju- lius Sachs *), aus denen auch hervorging, daß eine ſolche Verſtümmelung die erwachſenden Pflanzen in allen Theilen zwerghaft macht. Vielleicht beruht alſo die Meinung in Wahrheit, daß die Chineſen bei der Erziehung von Zwergbäumchen, in der ſie Meiſter ſind, ſich dieſer Operation bedienen. Eine andere Verſtümmelung der Keimlinge hat man bei der Eiche angewendet. Um ihr ſo zu ſagen die tief gehende Pfahlwurzel abzuge- wöhnen, welche den Anbau der Eiche auf ſeichtem Boden verbietet, hatte man den Wurzelkeim der keimenden Eicheln zum Theil abgeknippen. Da- durch wurde allerdings die Abſicht ziemlich erreicht, aber die aus ſolchen Eicheln erwachſenen Pflanzen waren ſchlechtwüchſig. Wir haben nun, ehe wir den weiteren Verlauf des Baumlebens ver- folgen, eine nicht nur in der Walderziehung ſehr wichtige, ſondern über- haupt in der Naturgeſchichte eine der wichtigſten Fragen zu erörtern, uämlich die, welche Bewandtniß es mit der Keimfähigkeit der Sa- men habe. Vorerſt iſt hier noch auf den Begriff der Reife des Samens zu achten, die erfolgt ſein muß, wenn der Same keimfähig ſein ſoll, obgleich von Mehreren, namentlich von Göppert und Cohn, auch mit unreifem Samen gelungene Keimverſuche angeſtellt worden ſind. Auch manche Er- folge der Gärtnerkunſt ſollen auf Anwendung unreifen Samens beruhen. Das ſicherſte Kennzeichen der Reife des Samens iſt bei unſeren Bäumen in der Regel das Abfallen derſelben, obgleich auch dieſe ihre Ausnahmen hat, indem z. B. der Same der Feldrüſter ſehr oft unreif abfällt. Ein Verſchrumpfen, Weichwerden, Verfärben ſeiner fleiſchigen Fruchthülle, ein Vertrocknen der Fruchtſtiele, Trockenwerden des Samen- *) Phyſiol. Unterſuchungen über die Keimung der Schminkbohne (Phaseolus mul- tiflorus). Sitzungsberichte der mathem.-phyſik. Klaſſe der k. Akademie der Wiſſenſchaften in Wien. 1859. Bd. XXXVII. S. 57. Dieſe Abhandlung giebt eine vollſtändige und ſehr genaue Darſtellung des Keimungsvorganges und iſt allen Denen zu empfehlen, welche ihn gründlich kennen lernen wollen.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 139. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/163>, abgerufen am 22.12.2024.