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Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863.

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Innern (meist durch Stärkemehlbildung) sind die wesentlichsten Kennzeichen
der Samenreife. Jedoch auch wenn diese vorhanden sind, ist bei manchen
Samen noch eine Nachreife erforderlich, die dadurch erzielt wird, daß
man den Samen nach dem Einsammeln noch eine Zeit lang an einem
luftigen, trocknen und der Sonne nicht zu stark ausgesetzten Orte vollends
abtrocknen läßt.

Unter Keimfähigkeit des Samens versteht man das Vermögen
desselben, unter Einwirkung jener kennen gelernten äußeren und inneren
Bedingungen, die in ihm ruhende vorgebildete Anlage zu einer Pflanze,
den Keim, zu einer solchen zu entwickeln. Durch Keimkraft, in der
Hauptsache dasselbe bedeutend, bezeichnet man zugleich die längere oder
kürzere Zeitdauer, in welcher die verschiedenen Samen die Keimfähigkeit behalten.

Zu einer tiefer eingehenden Betrachtung dieser, schon vorhin als eine
der wichtigsten bezeichneten naturgeschichtlichen Frage fühlen wir uns an
dieser Stelle um so mehr veranlaßt, als im Walde nicht selten eine über-
raschende Erscheinung vorkommt, welche nur in der langen Keimkraft
mancher Baumsamen ihre Erklärung finden kann. Diese Frage liegt
zugleich auf einem Gebiete, welches in neuester Zeit zu dem heftigsten
Meinungswiderstreit geführt hat, auf dem der sogenannten Lebenskraft.

"Es ist bekannt und durch die glaubwürdigsten Gewährsmänner be-
wahrheitet, daß tausendjährige Samenkörner dennoch keimfähig geblieben waren.

Waren nun solche Samen inzwischen, wo sie ganz außer Kurs der
sich verjüngenden Pflanzenwelt gesetzt waren, lebendig oder todt gewesen?
Ist überhaupt ein Jahre lang aufbewahrter Same todt oder lebendig?
Man sagt natürlich: lebendig, weil er unter Umständen durch das Keimen
eine lebendige Pflanze aus sich hervorgehen lassen kann.

Wenn man aus diesem Grunde einen Samen lebendig nennt, so
darf man dabei wenigstens nicht die, nach den Erscheinungen am lebenden
Thier- oder Pflanzenleibe gebildete, Definition des Lebens anwenden,
nach welcher das Leben im Umsatz und der Bewegung der
Stoffe und in den dadurch bedingten Erscheinungen beruht
.
Da hierbei Betheiligung von Wasser nothwendig ist, so ist in dem voll-
kommen ausgetrockneten Samen Bewegung und Umsatz der ihn zusammen-
setzenden Stoffe, und folglich in diesem Sinne auch das Leben des Samens
nicht möglich.

Innern (meiſt durch Stärkemehlbildung) ſind die weſentlichſten Kennzeichen
der Samenreife. Jedoch auch wenn dieſe vorhanden ſind, iſt bei manchen
Samen noch eine Nachreife erforderlich, die dadurch erzielt wird, daß
man den Samen nach dem Einſammeln noch eine Zeit lang an einem
luftigen, trocknen und der Sonne nicht zu ſtark ausgeſetzten Orte vollends
abtrocknen läßt.

Unter Keimfähigkeit des Samens verſteht man das Vermögen
deſſelben, unter Einwirkung jener kennen gelernten äußeren und inneren
Bedingungen, die in ihm ruhende vorgebildete Anlage zu einer Pflanze,
den Keim, zu einer ſolchen zu entwickeln. Durch Keimkraft, in der
Hauptſache daſſelbe bedeutend, bezeichnet man zugleich die längere oder
kürzere Zeitdauer, in welcher die verſchiedenen Samen die Keimfähigkeit behalten.

Zu einer tiefer eingehenden Betrachtung dieſer, ſchon vorhin als eine
der wichtigſten bezeichneten naturgeſchichtlichen Frage fühlen wir uns an
dieſer Stelle um ſo mehr veranlaßt, als im Walde nicht ſelten eine über-
raſchende Erſcheinung vorkommt, welche nur in der langen Keimkraft
mancher Baumſamen ihre Erklärung finden kann. Dieſe Frage liegt
zugleich auf einem Gebiete, welches in neueſter Zeit zu dem heftigſten
Meinungswiderſtreit geführt hat, auf dem der ſogenannten Lebenskraft.

„Es iſt bekannt und durch die glaubwürdigſten Gewährsmänner be-
wahrheitet, daß tauſendjährige Samenkörner dennoch keimfähig geblieben waren.

Waren nun ſolche Samen inzwiſchen, wo ſie ganz außer Kurs der
ſich verjüngenden Pflanzenwelt geſetzt waren, lebendig oder todt geweſen?
Iſt überhaupt ein Jahre lang aufbewahrter Same todt oder lebendig?
Man ſagt natürlich: lebendig, weil er unter Umſtänden durch das Keimen
eine lebendige Pflanze aus ſich hervorgehen laſſen kann.

Wenn man aus dieſem Grunde einen Samen lebendig nennt, ſo
darf man dabei wenigſtens nicht die, nach den Erſcheinungen am lebenden
Thier- oder Pflanzenleibe gebildete, Definition des Lebens anwenden,
nach welcher das Leben im Umſatz und der Bewegung der
Stoffe und in den dadurch bedingten Erſcheinungen beruht
.
Da hierbei Betheiligung von Waſſer nothwendig iſt, ſo iſt in dem voll-
kommen ausgetrockneten Samen Bewegung und Umſatz der ihn zuſammen-
ſetzenden Stoffe, und folglich in dieſem Sinne auch das Leben des Samens
nicht möglich.

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[140/0164] Innern (meiſt durch Stärkemehlbildung) ſind die weſentlichſten Kennzeichen der Samenreife. Jedoch auch wenn dieſe vorhanden ſind, iſt bei manchen Samen noch eine Nachreife erforderlich, die dadurch erzielt wird, daß man den Samen nach dem Einſammeln noch eine Zeit lang an einem luftigen, trocknen und der Sonne nicht zu ſtark ausgeſetzten Orte vollends abtrocknen läßt. Unter Keimfähigkeit des Samens verſteht man das Vermögen deſſelben, unter Einwirkung jener kennen gelernten äußeren und inneren Bedingungen, die in ihm ruhende vorgebildete Anlage zu einer Pflanze, den Keim, zu einer ſolchen zu entwickeln. Durch Keimkraft, in der Hauptſache daſſelbe bedeutend, bezeichnet man zugleich die längere oder kürzere Zeitdauer, in welcher die verſchiedenen Samen die Keimfähigkeit behalten. Zu einer tiefer eingehenden Betrachtung dieſer, ſchon vorhin als eine der wichtigſten bezeichneten naturgeſchichtlichen Frage fühlen wir uns an dieſer Stelle um ſo mehr veranlaßt, als im Walde nicht ſelten eine über- raſchende Erſcheinung vorkommt, welche nur in der langen Keimkraft mancher Baumſamen ihre Erklärung finden kann. Dieſe Frage liegt zugleich auf einem Gebiete, welches in neueſter Zeit zu dem heftigſten Meinungswiderſtreit geführt hat, auf dem der ſogenannten Lebenskraft. „Es iſt bekannt und durch die glaubwürdigſten Gewährsmänner be- wahrheitet, daß tauſendjährige Samenkörner dennoch keimfähig geblieben waren. Waren nun ſolche Samen inzwiſchen, wo ſie ganz außer Kurs der ſich verjüngenden Pflanzenwelt geſetzt waren, lebendig oder todt geweſen? Iſt überhaupt ein Jahre lang aufbewahrter Same todt oder lebendig? Man ſagt natürlich: lebendig, weil er unter Umſtänden durch das Keimen eine lebendige Pflanze aus ſich hervorgehen laſſen kann. Wenn man aus dieſem Grunde einen Samen lebendig nennt, ſo darf man dabei wenigſtens nicht die, nach den Erſcheinungen am lebenden Thier- oder Pflanzenleibe gebildete, Definition des Lebens anwenden, nach welcher das Leben im Umſatz und der Bewegung der Stoffe und in den dadurch bedingten Erſcheinungen beruht. Da hierbei Betheiligung von Waſſer nothwendig iſt, ſo iſt in dem voll- kommen ausgetrockneten Samen Bewegung und Umſatz der ihn zuſammen- ſetzenden Stoffe, und folglich in dieſem Sinne auch das Leben des Samens nicht möglich.

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Zitationshilfe: Roßmäßler, Emil Adolf: Der Wald. Leipzig u. a., 1863, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rossmaessler_wald_1863/164>, abgerufen am 17.05.2024.