Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite
Siebzehnte Betr. Von den Ursachen,

Aber warum hat uns denn Gott Wahrheiten
von so großer Wichtigkeit nicht schon ietzo deutli-
cher geoffenbaret? Warum hat er keine solche Ein-
richtung getroffen, daß wir bisweilen einen Blick
in iene himmlische Wohnungen thun, und uns
durch unsere eigenen Augen überführen können,
daß es ein anderes Leben giebt! Würde das nicht
von sehr vortheilhaften Folgen für uns seyn? Oh-
ne Zweifel würden die lebhaften Vorstellungen der
uns bevorstehenden künftigen Herrlichkeit uns mit ei-
nem standhaften Eifer beleben, unsere unordentlichen
Leidenschaften zu bekämpfen, und unser ganzes Le-
ben der Tugend zu widmen. Alle Reitzungen der
Wollüste würden ihre Kraft verlieren; weder Vor-
theile noch Schwierigkeiten würden uns verleiten
können, wider Pflicht und Gewißen zu handeln.
Wir würden mit unsern Herzen mehr im Himmel
als auf Erden seyn.

Laßet uns doch untersuchen, ob denn dieses
Mittel wirklich die guten Wirkungen hervorbringen
würde, die daßelbe dem ersten Ansehen nach zu
versprechen scheint.*) Ich hoffe, folgende Be-
trachtungen werden uns von dem Gegentheil hin-
länglich überzeugen:

1) Eine
*) Ich habe bey dieser Betrachtung eine Predigt des
Engländers Hugo Blairs genützt, welche unter
seinen Geistlichen Reden die vierte ist, und die Auf-
schrift hat: Von unsrer unvollkommenen Kennt-
nis eines künftigen Zustandes.
Siebzehnte Betr. Von den Urſachen,

Aber warum hat uns denn Gott Wahrheiten
von ſo großer Wichtigkeit nicht ſchon ietzo deutli-
cher geoffenbaret? Warum hat er keine ſolche Ein-
richtung getroffen, daß wir bisweilen einen Blick
in iene himmliſche Wohnungen thun, und uns
durch unſere eigenen Augen überführen können,
daß es ein anderes Leben giebt! Würde das nicht
von ſehr vortheilhaften Folgen für uns ſeyn? Oh-
ne Zweifel würden die lebhaften Vorſtellungen der
uns bevorſtehenden künftigen Herrlichkeit uns mit ei-
nem ſtandhaften Eifer beleben, unſere unordentlichen
Leidenſchaften zu bekämpfen, und unſer ganzes Le-
ben der Tugend zu widmen. Alle Reitzungen der
Wollüſte würden ihre Kraft verlieren; weder Vor-
theile noch Schwierigkeiten würden uns verleiten
können, wider Pflicht und Gewißen zu handeln.
Wir würden mit unſern Herzen mehr im Himmel
als auf Erden ſeyn.

Laßet uns doch unterſuchen, ob denn dieſes
Mittel wirklich die guten Wirkungen hervorbringen
würde, die daßelbe dem erſten Anſehen nach zu
verſprechen ſcheint.*) Ich hoffe, folgende Be-
trachtungen werden uns von dem Gegentheil hin-
länglich überzeugen:

1) Eine
*) Ich habe bey dieſer Betrachtung eine Predigt des
Engländers Hugo Blairs genützt, welche unter
ſeinen Geiſtlichen Reden die vierte iſt, und die Auf-
ſchrift hat: Von unſrer unvollkommenen Kennt-
nis eines künftigen Zuſtandes.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0272" n="262[260]"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Siebzehnte Betr. Von den Ur&#x017F;achen,</hi> </fw><lb/>
        <p>Aber warum hat uns denn Gott Wahrheiten<lb/>
von &#x017F;o großer Wichtigkeit nicht &#x017F;chon ietzo deutli-<lb/>
cher geoffenbaret? Warum hat er keine &#x017F;olche Ein-<lb/>
richtung getroffen, daß wir bisweilen einen Blick<lb/>
in iene himmli&#x017F;che Wohnungen thun, und uns<lb/>
durch un&#x017F;ere eigenen Augen überführen können,<lb/>
daß es ein anderes Leben giebt! Würde das nicht<lb/>
von &#x017F;ehr vortheilhaften Folgen für uns &#x017F;eyn? Oh-<lb/>
ne Zweifel würden die lebhaften Vor&#x017F;tellungen der<lb/>
uns bevor&#x017F;tehenden künftigen Herrlichkeit uns mit ei-<lb/>
nem &#x017F;tandhaften Eifer beleben, un&#x017F;ere unordentlichen<lb/>
Leiden&#x017F;chaften zu bekämpfen, und un&#x017F;er ganzes Le-<lb/>
ben der Tugend zu widmen. Alle Reitzungen der<lb/>
Wollü&#x017F;te würden ihre Kraft verlieren; weder Vor-<lb/>
theile noch Schwierigkeiten würden uns verleiten<lb/>
können, wider Pflicht und Gewißen zu handeln.<lb/>
Wir würden mit un&#x017F;ern Herzen mehr im Himmel<lb/>
als auf Erden &#x017F;eyn.</p><lb/>
        <p>Laßet uns doch unter&#x017F;uchen, ob denn die&#x017F;es<lb/>
Mittel wirklich die guten Wirkungen hervorbringen<lb/>
würde, die daßelbe dem er&#x017F;ten An&#x017F;ehen nach zu<lb/>
ver&#x017F;prechen &#x017F;cheint.<note place="foot" n="*)">Ich habe bey die&#x017F;er Betrachtung eine Predigt des<lb/>
Engländers <hi rendition="#fr">Hugo Blairs</hi> genützt, welche unter<lb/>
&#x017F;einen Gei&#x017F;tlichen Reden die vierte i&#x017F;t, und die Auf-<lb/>
&#x017F;chrift hat: <hi rendition="#fr">Von un&#x017F;rer unvollkommenen Kennt-<lb/>
nis eines künftigen Zu&#x017F;tandes.</hi></note> Ich hoffe, folgende Be-<lb/>
trachtungen werden uns von dem Gegentheil hin-<lb/>
länglich überzeugen:</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch">1) Eine</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262[260]/0272] Siebzehnte Betr. Von den Urſachen, Aber warum hat uns denn Gott Wahrheiten von ſo großer Wichtigkeit nicht ſchon ietzo deutli- cher geoffenbaret? Warum hat er keine ſolche Ein- richtung getroffen, daß wir bisweilen einen Blick in iene himmliſche Wohnungen thun, und uns durch unſere eigenen Augen überführen können, daß es ein anderes Leben giebt! Würde das nicht von ſehr vortheilhaften Folgen für uns ſeyn? Oh- ne Zweifel würden die lebhaften Vorſtellungen der uns bevorſtehenden künftigen Herrlichkeit uns mit ei- nem ſtandhaften Eifer beleben, unſere unordentlichen Leidenſchaften zu bekämpfen, und unſer ganzes Le- ben der Tugend zu widmen. Alle Reitzungen der Wollüſte würden ihre Kraft verlieren; weder Vor- theile noch Schwierigkeiten würden uns verleiten können, wider Pflicht und Gewißen zu handeln. Wir würden mit unſern Herzen mehr im Himmel als auf Erden ſeyn. Laßet uns doch unterſuchen, ob denn dieſes Mittel wirklich die guten Wirkungen hervorbringen würde, die daßelbe dem erſten Anſehen nach zu verſprechen ſcheint. *) Ich hoffe, folgende Be- trachtungen werden uns von dem Gegentheil hin- länglich überzeugen: 1) Eine *) Ich habe bey dieſer Betrachtung eine Predigt des Engländers Hugo Blairs genützt, welche unter ſeinen Geiſtlichen Reden die vierte iſt, und die Auf- ſchrift hat: Von unſrer unvollkommenen Kennt- nis eines künftigen Zuſtandes.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/272
Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 262[260]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/272>, abgerufen am 21.11.2024.