Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

warum uns Gott die Beschaffenh. etc.
anders urtheilen als ietzt. Unsere Kenntnis von
göttlichen Dingen wird weit vollkommner seyn.
Wir sehen ietzt durch einen Spiegel in einem
dunkeln Wort; dann aber von Angesiche zu
Angesicht.
In einem Spiegel erblicken wir zwar
das Bild einer gewißen Person oder Sache, aber
wir sehen in demselben nicht unmittelbar dasienige,
was uns vorgestellet wird. Vielleicht soll durch
das in der Grundsprache befindliche Wort nicht ein
eigentlicher Spiegel angezeigt werden, sondern ein
Glasstein, oder eine dünne Scheibe von einem
gewißen Stein, deren man sich in alten Zeiten zu
Fenstern zu bedienen pflegte. Durch solche Glas-
steine konnte man nicht anders sehen als durch
dünnes Horn, und folglich konnte man die Sa-
chen nur sehr undeutlich erkennen. So dunkel und
undeutlich ist der gröste Theil unserer Kenntniße
hier auf Erden. Nicht eher, als wenn wir in
das ewige Leben kommen, werden wir eine deutli-
chere Erkenntnis Gottes, seiner Wege und Werke
erlangen. Insonderheit werden wir die Seeligkeit
des Himmels selbst empfinden und genießen. Und
hiemit werden denn zugleich so viele unrichtige,
falsche Begriffe, die wir uns von dem künftigen
Zustande zu machen pflegen, von selbst wegfallen.
Wir werden die großen Wahrheiten, die wir iezt
nur sehr dunkel erkennen, deutlicher und vollstän-
diger einsehen. Unsere Kenntnis Gottes und gött-
licher Wahrheiten wird eben so rein und vollstän-
dig seyn, als unsere Kenntnis derienigen Sachen
oder Personen ist, die wir unmittelbar ansehen
und betrachten können.

Aber
R 2

warum uns Gott die Beſchaffenh. ꝛc.
anders urtheilen als ietzt. Unſere Kenntnis von
göttlichen Dingen wird weit vollkommner ſeyn.
Wir ſehen ietzt durch einen Spiegel in einem
dunkeln Wort; dann aber von Angeſiche zu
Angeſicht.
In einem Spiegel erblicken wir zwar
das Bild einer gewißen Perſon oder Sache, aber
wir ſehen in demſelben nicht unmittelbar dasienige,
was uns vorgeſtellet wird. Vielleicht ſoll durch
das in der Grundſprache befindliche Wort nicht ein
eigentlicher Spiegel angezeigt werden, ſondern ein
Glasſtein, oder eine dünne Scheibe von einem
gewißen Stein, deren man ſich in alten Zeiten zu
Fenſtern zu bedienen pflegte. Durch ſolche Glas-
ſteine konnte man nicht anders ſehen als durch
dünnes Horn, und folglich konnte man die Sa-
chen nur ſehr undeutlich erkennen. So dunkel und
undeutlich iſt der gröſte Theil unſerer Kenntniße
hier auf Erden. Nicht eher, als wenn wir in
das ewige Leben kommen, werden wir eine deutli-
chere Erkenntnis Gottes, ſeiner Wege und Werke
erlangen. Inſonderheit werden wir die Seeligkeit
des Himmels ſelbſt empfinden und genießen. Und
hiemit werden denn zugleich ſo viele unrichtige,
falſche Begriffe, die wir uns von dem künftigen
Zuſtande zu machen pflegen, von ſelbſt wegfallen.
Wir werden die großen Wahrheiten, die wir iezt
nur ſehr dunkel erkennen, deutlicher und vollſtän-
diger einſehen. Unſere Kenntnis Gottes und gött-
licher Wahrheiten wird eben ſo rein und vollſtän-
dig ſeyn, als unſere Kenntnis derienigen Sachen
oder Perſonen iſt, die wir unmittelbar anſehen
und betrachten können.

Aber
R 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0271" n="261[259]"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">warum uns Gott die Be&#x017F;chaffenh. &#xA75B;c.</hi></fw><lb/>
anders urtheilen als ietzt. Un&#x017F;ere Kenntnis von<lb/>
göttlichen Dingen wird weit vollkommner &#x017F;eyn.<lb/><hi rendition="#fr">Wir &#x017F;ehen ietzt durch einen Spiegel in einem<lb/>
dunkeln Wort; dann aber von Ange&#x017F;iche zu<lb/>
Ange&#x017F;icht.</hi> In einem Spiegel erblicken wir zwar<lb/>
das Bild einer gewißen Per&#x017F;on oder Sache, aber<lb/>
wir &#x017F;ehen in dem&#x017F;elben nicht unmittelbar dasienige,<lb/>
was uns vorge&#x017F;tellet wird. Vielleicht &#x017F;oll durch<lb/>
das in der Grund&#x017F;prache befindliche Wort nicht ein<lb/>
eigentlicher Spiegel angezeigt werden, &#x017F;ondern ein<lb/>
Glas&#x017F;tein, oder eine dünne Scheibe von einem<lb/>
gewißen Stein, deren man &#x017F;ich in alten Zeiten zu<lb/>
Fen&#x017F;tern zu bedienen pflegte. Durch &#x017F;olche Glas-<lb/>
&#x017F;teine konnte man nicht anders &#x017F;ehen als durch<lb/>
dünnes Horn, und folglich konnte man die Sa-<lb/>
chen nur &#x017F;ehr undeutlich erkennen. So dunkel und<lb/>
undeutlich i&#x017F;t der grö&#x017F;te Theil un&#x017F;erer Kenntniße<lb/>
hier auf Erden. Nicht eher, als wenn wir in<lb/>
das ewige Leben kommen, werden wir eine deutli-<lb/>
chere Erkenntnis Gottes, &#x017F;einer Wege und Werke<lb/>
erlangen. In&#x017F;onderheit werden wir die Seeligkeit<lb/>
des Himmels &#x017F;elb&#x017F;t empfinden und genießen. Und<lb/>
hiemit werden denn zugleich &#x017F;o viele unrichtige,<lb/>
fal&#x017F;che Begriffe, die wir uns von dem künftigen<lb/>
Zu&#x017F;tande zu machen pflegen, von &#x017F;elb&#x017F;t wegfallen.<lb/>
Wir werden die großen Wahrheiten, die wir iezt<lb/>
nur &#x017F;ehr dunkel erkennen, deutlicher und voll&#x017F;tän-<lb/>
diger ein&#x017F;ehen. Un&#x017F;ere Kenntnis Gottes und gött-<lb/>
licher Wahrheiten wird eben &#x017F;o rein und voll&#x017F;tän-<lb/>
dig &#x017F;eyn, als un&#x017F;ere Kenntnis derienigen Sachen<lb/>
oder Per&#x017F;onen i&#x017F;t, die wir unmittelbar an&#x017F;ehen<lb/>
und betrachten können.</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">R 2</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Aber</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[261[259]/0271] warum uns Gott die Beſchaffenh. ꝛc. anders urtheilen als ietzt. Unſere Kenntnis von göttlichen Dingen wird weit vollkommner ſeyn. Wir ſehen ietzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angeſiche zu Angeſicht. In einem Spiegel erblicken wir zwar das Bild einer gewißen Perſon oder Sache, aber wir ſehen in demſelben nicht unmittelbar dasienige, was uns vorgeſtellet wird. Vielleicht ſoll durch das in der Grundſprache befindliche Wort nicht ein eigentlicher Spiegel angezeigt werden, ſondern ein Glasſtein, oder eine dünne Scheibe von einem gewißen Stein, deren man ſich in alten Zeiten zu Fenſtern zu bedienen pflegte. Durch ſolche Glas- ſteine konnte man nicht anders ſehen als durch dünnes Horn, und folglich konnte man die Sa- chen nur ſehr undeutlich erkennen. So dunkel und undeutlich iſt der gröſte Theil unſerer Kenntniße hier auf Erden. Nicht eher, als wenn wir in das ewige Leben kommen, werden wir eine deutli- chere Erkenntnis Gottes, ſeiner Wege und Werke erlangen. Inſonderheit werden wir die Seeligkeit des Himmels ſelbſt empfinden und genießen. Und hiemit werden denn zugleich ſo viele unrichtige, falſche Begriffe, die wir uns von dem künftigen Zuſtande zu machen pflegen, von ſelbſt wegfallen. Wir werden die großen Wahrheiten, die wir iezt nur ſehr dunkel erkennen, deutlicher und vollſtän- diger einſehen. Unſere Kenntnis Gottes und gött- licher Wahrheiten wird eben ſo rein und vollſtän- dig ſeyn, als unſere Kenntnis derienigen Sachen oder Perſonen iſt, die wir unmittelbar anſehen und betrachten können. Aber R 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/271
Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 261[259]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/271>, abgerufen am 18.07.2024.