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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

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Allwißenheit Gottes.
ganz ungezwungene Weise können und sollen herge-
leitet werden. Erstlich: Wache schon über deine
Gedanken! So oft du etwas unternehmen willst,
so frage erst dein Gewißen, ob du dir wohl ge-
tranen würdest, diese That vor dem Allwissenden
zu verantworten. Da es doch einmahl gewiß ist,
daß unser Schöpfer uns auf das allergenaueste ken-
net, so kann es uns unmöglich gleichgültig seyn,
ob er uns mit Wohlgefallen siehet oder nicht? Wir
scheuen uns vor Menschen, und ihr Urtheil allein
ist oft vermögend uns von manchen Handlungen
abzuhalten. Das Laster will verborgen seyn; es
sucht die Finsternis und scheuet das Licht. Wie
würde mancher erzittern, wenn ihm iezt in diesem
Augenblick durch eine Stimme vom Himmel das
Urtheil angekündiget würde: Noch heute sollen al-
le die Sünden, die heimlichen Bosheiten, womit
du dein bisheriges Leben befleckt hast, deinen Mit-
bürgern kund und offenbar werden; auch deine Ge-
danken und Anschläge, die kein Mensch wißen kön-
nen -- Wie würde mancher erzittern, wenn ihm
ein solches Urtheil angekündiget würde! -- Und
wie vorsichtig würde ein Jüngling in seinem Le-
benswandel seyn, wenn er gewiß wüste: du kannst
nichts Böses begehen, daß es nicht deine Vorge-
setzte, deine Obrigkeit und deine Mitbürger endlich
einmahl erfahren sollten -- Und daraus machen
wir uns nichts, daß der Beherrscher aller Welten,
gegen welchen Könige nur Staub sind -- daß un-
ser Schöpfer, Herr und Richter uns siehet? Vor
seinem Angesichte wollen wir uns nicht scheuen?
Wählet die abgelegensten Winkel zu euren Sünden.

Hin-
P 3

Allwißenheit Gottes.
ganz ungezwungene Weiſe können und ſollen herge-
leitet werden. Erſtlich: Wache ſchon über deine
Gedanken! So oft du etwas unternehmen willſt,
ſo frage erſt dein Gewißen, ob du dir wohl ge-
tranen würdeſt, dieſe That vor dem Allwiſſenden
zu verantworten. Da es doch einmahl gewiß iſt,
daß unſer Schöpfer uns auf das allergenaueſte ken-
net, ſo kann es uns unmöglich gleichgültig ſeyn,
ob er uns mit Wohlgefallen ſiehet oder nicht? Wir
ſcheuen uns vor Menſchen, und ihr Urtheil allein
iſt oft vermögend uns von manchen Handlungen
abzuhalten. Das Laſter will verborgen ſeyn; es
ſucht die Finſternis und ſcheuet das Licht. Wie
würde mancher erzittern, wenn ihm iezt in dieſem
Augenblick durch eine Stimme vom Himmel das
Urtheil angekündiget würde: Noch heute ſollen al-
le die Sünden, die heimlichen Bosheiten, womit
du dein bisheriges Leben befleckt haſt, deinen Mit-
bürgern kund und offenbar werden; auch deine Ge-
danken und Anſchläge, die kein Menſch wißen kön-
nen — Wie würde mancher erzittern, wenn ihm
ein ſolches Urtheil angekündiget würde! — Und
wie vorſichtig würde ein Jüngling in ſeinem Le-
benswandel ſeyn, wenn er gewiß wüſte: du kannſt
nichts Böſes begehen, daß es nicht deine Vorge-
ſetzte, deine Obrigkeit und deine Mitbürger endlich
einmahl erfahren ſollten — Und daraus machen
wir uns nichts, daß der Beherrſcher aller Welten,
gegen welchen Könige nur Staub ſind — daß un-
ſer Schöpfer, Herr und Richter uns ſiehet? Vor
ſeinem Angeſichte wollen wir uns nicht ſcheuen?
Wählet die abgelegenſten Winkel zu euren Sünden.

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[229/0241] Allwißenheit Gottes. ganz ungezwungene Weiſe können und ſollen herge- leitet werden. Erſtlich: Wache ſchon über deine Gedanken! So oft du etwas unternehmen willſt, ſo frage erſt dein Gewißen, ob du dir wohl ge- tranen würdeſt, dieſe That vor dem Allwiſſenden zu verantworten. Da es doch einmahl gewiß iſt, daß unſer Schöpfer uns auf das allergenaueſte ken- net, ſo kann es uns unmöglich gleichgültig ſeyn, ob er uns mit Wohlgefallen ſiehet oder nicht? Wir ſcheuen uns vor Menſchen, und ihr Urtheil allein iſt oft vermögend uns von manchen Handlungen abzuhalten. Das Laſter will verborgen ſeyn; es ſucht die Finſternis und ſcheuet das Licht. Wie würde mancher erzittern, wenn ihm iezt in dieſem Augenblick durch eine Stimme vom Himmel das Urtheil angekündiget würde: Noch heute ſollen al- le die Sünden, die heimlichen Bosheiten, womit du dein bisheriges Leben befleckt haſt, deinen Mit- bürgern kund und offenbar werden; auch deine Ge- danken und Anſchläge, die kein Menſch wißen kön- nen — Wie würde mancher erzittern, wenn ihm ein ſolches Urtheil angekündiget würde! — Und wie vorſichtig würde ein Jüngling in ſeinem Le- benswandel ſeyn, wenn er gewiß wüſte: du kannſt nichts Böſes begehen, daß es nicht deine Vorge- ſetzte, deine Obrigkeit und deine Mitbürger endlich einmahl erfahren ſollten — Und daraus machen wir uns nichts, daß der Beherrſcher aller Welten, gegen welchen Könige nur Staub ſind — daß un- ſer Schöpfer, Herr und Richter uns ſiehet? Vor ſeinem Angeſichte wollen wir uns nicht ſcheuen? Wählet die abgelegenſten Winkel zu euren Sünden. Hin- P 3

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Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/241>, abgerufen am 24.11.2024.