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Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

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allen seinen Aposteln bey aller Gelegenheit auf das
dringendste empfohlen und eingeschärft wird. Er
lehret uns, daß ohne thätige Menschenliebe unser
ganzes Christenthums nichts ist, daß man ohne
dieselbe weder Gott gefallen, noch ein Mitgenoße
der Engel und Seeligen werden kan. Man sey
noch so klug und verständig, man sey der eifrigste
und andächtigste Beter, man laße sich es noch so
sauer in der Welt werden, man ziehe die Auf-
merksamkeit und Bewunderung aller Menschen auf
sich -- wenn Eine Eigenschaft fehlt, aufrichtige,
thätige Menschenliebe, so sind alle übrige, noch
so große und bewunderte Eigenschaften nichts in
den Augen Gottes und seiner Engel. Diese Wahr-
heit ist gewiß in den angeführten Worten des
Apostels enthalten, und da sie von so äußerst gros-
ser Wichtigkeit ist, so verdient sie auch die auf-
merksamste Beherzigung eines ieden Christen, dem
an seiner Seeligkeit gelegen ist.

Man wird aber die Worte des Apostels leich-
ter verstehen, wenn man folgendes bemerkt: Er
hatte in dem unmittelbar vorhergehenden Kapitel
von den Wundergaben des heiligen Geistes geredet,
welche damahls zur Bekräftigung der christlichen
Religion sehr vielen Christen mitgetheilt waren.
Es waren dieselben von verschiedener Art; aber die
vornehmsten und gewöhnlichsten waren die Gabe
der Sprachen, die Gabe der Weissagung, und die
Gabe Wunderwerke zu verrichten. Wie nemlich
die Apostel am ersten Pfingsttage zu Jerusalem
durch außerordentliche Wirkungen des heil. Geistes
in den Stand gesetzt worden waren, Sprachen

zu

des Nächſten.
allen ſeinen Apoſteln bey aller Gelegenheit auf das
dringendſte empfohlen und eingeſchärft wird. Er
lehret uns, daß ohne thätige Menſchenliebe unſer
ganzes Chriſtenthums nichts iſt, daß man ohne
dieſelbe weder Gott gefallen, noch ein Mitgenoße
der Engel und Seeligen werden kan. Man ſey
noch ſo klug und verſtändig, man ſey der eifrigſte
und andächtigſte Beter, man laße ſich es noch ſo
ſauer in der Welt werden, man ziehe die Auf-
merkſamkeit und Bewunderung aller Menſchen auf
ſich — wenn Eine Eigenſchaft fehlt, aufrichtige,
thätige Menſchenliebe, ſo ſind alle übrige, noch
ſo große und bewunderte Eigenſchaften nichts in
den Augen Gottes und ſeiner Engel. Dieſe Wahr-
heit iſt gewiß in den angeführten Worten des
Apoſtels enthalten, und da ſie von ſo äußerſt groſ-
ſer Wichtigkeit iſt, ſo verdient ſie auch die auf-
merkſamſte Beherzigung eines ieden Chriſten, dem
an ſeiner Seeligkeit gelegen iſt.

Man wird aber die Worte des Apoſtels leich-
ter verſtehen, wenn man folgendes bemerkt: Er
hatte in dem unmittelbar vorhergehenden Kapitel
von den Wundergaben des heiligen Geiſtes geredet,
welche damahls zur Bekräftigung der chriſtlichen
Religion ſehr vielen Chriſten mitgetheilt waren.
Es waren dieſelben von verſchiedener Art; aber die
vornehmſten und gewöhnlichſten waren die Gabe
der Sprachen, die Gabe der Weiſſagung, und die
Gabe Wunderwerke zu verrichten. Wie nemlich
die Apoſtel am erſten Pfingſttage zu Jeruſalem
durch außerordentliche Wirkungen des heil. Geiſtes
in den Stand geſetzt worden waren, Sprachen

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[189/0201] des Nächſten. allen ſeinen Apoſteln bey aller Gelegenheit auf das dringendſte empfohlen und eingeſchärft wird. Er lehret uns, daß ohne thätige Menſchenliebe unſer ganzes Chriſtenthums nichts iſt, daß man ohne dieſelbe weder Gott gefallen, noch ein Mitgenoße der Engel und Seeligen werden kan. Man ſey noch ſo klug und verſtändig, man ſey der eifrigſte und andächtigſte Beter, man laße ſich es noch ſo ſauer in der Welt werden, man ziehe die Auf- merkſamkeit und Bewunderung aller Menſchen auf ſich — wenn Eine Eigenſchaft fehlt, aufrichtige, thätige Menſchenliebe, ſo ſind alle übrige, noch ſo große und bewunderte Eigenſchaften nichts in den Augen Gottes und ſeiner Engel. Dieſe Wahr- heit iſt gewiß in den angeführten Worten des Apoſtels enthalten, und da ſie von ſo äußerſt groſ- ſer Wichtigkeit iſt, ſo verdient ſie auch die auf- merkſamſte Beherzigung eines ieden Chriſten, dem an ſeiner Seeligkeit gelegen iſt. Man wird aber die Worte des Apoſtels leich- ter verſtehen, wenn man folgendes bemerkt: Er hatte in dem unmittelbar vorhergehenden Kapitel von den Wundergaben des heiligen Geiſtes geredet, welche damahls zur Bekräftigung der chriſtlichen Religion ſehr vielen Chriſten mitgetheilt waren. Es waren dieſelben von verſchiedener Art; aber die vornehmſten und gewöhnlichſten waren die Gabe der Sprachen, die Gabe der Weiſſagung, und die Gabe Wunderwerke zu verrichten. Wie nemlich die Apoſtel am erſten Pfingſttage zu Jeruſalem durch außerordentliche Wirkungen des heil. Geiſtes in den Stand geſetzt worden waren, Sprachen zu

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Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/201>, abgerufen am 24.11.2024.