Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.gegen Gottes. da man sich scheuet, ihn mit Sünden zu beleidi-gen. Diese demuthsvolle Ehrfurcht gegen Gott, dieses sorgfältige Bestreben ihm zu gefallen, dieses redliche Bemühen; alles nach Möglichkeit zu ver- meiden, was ihm mißfällig seyn könnte, ist Pflicht für ein iedes vernünftiges Wesen, und so auch theu- re Pflicht für einen ieden Christen. Aber ängst- liche Furcht vor Strafe und Verdammnis, ist alle- mahl ein Merkmahl eines Menschen, der noch kei- ne innige Liebe zu Gott hat. Furcht ist nicht in der Liebe; ängstliche Furcht und aufrichtige Liebe können nie miteinander bestehen. Das lehrt uns die tägliche Erfahrung. Wenn wir von unsern Freunden oder Wohlthätern gewiß überzeugt sind, daß sie geneigt und willig sind, unser Glück und Wohlergehen zu befördern, so werden wir nie mit Furcht und Unruhe, sondern iederzeit mit Vergnü- gen an sie denken. Die völlige Liebe treibet die Furcht aus; sie erweckt ein gutes Zutrauen zu dem Geliebten, und verstattet nicht, etwas nach- theiliges und widriges von ihm zu befürchten. Denn die Furcht hat Pein, oder findet nur als- dann statt, wenn man Strafe oder harte Begeg- niße zu befürchten hat; wer sich daher fürchtet; der ist nicht völlig in der Liebe, oder es ist kei- ne wahre, aufrichtige Liebe bey ihm anzutreffen. Da es nun überhaupt die Natur und Beschaffen- heit einer ieden wahren Liebe mit sich bringt, daß man ohne peinliche Furcht an den Geliebten denke, so muß es nothwendig mit der Liebe Gottes eine gleiche Bewandtnis haben. Wer eine wahre Liebe zu Gott hat, der versiehet sich alles Gute zu ihm, be- L 4
gegen Gottes. da man ſich ſcheuet, ihn mit Sünden zu beleidi-gen. Dieſe demuthsvolle Ehrfurcht gegen Gott, dieſes ſorgfältige Beſtreben ihm zu gefallen, dieſes redliche Bemühen; alles nach Möglichkeit zu ver- meiden, was ihm mißfällig ſeyn könnte, iſt Pflicht für ein iedes vernünftiges Weſen, und ſo auch theu- re Pflicht für einen ieden Chriſten. Aber ängſt- liche Furcht vor Strafe und Verdammnis, iſt alle- mahl ein Merkmahl eines Menſchen, der noch kei- ne innige Liebe zu Gott hat. Furcht iſt nicht in der Liebe; ängſtliche Furcht und aufrichtige Liebe können nie miteinander beſtehen. Das lehrt uns die tägliche Erfahrung. Wenn wir von unſern Freunden oder Wohlthätern gewiß überzeugt ſind, daß ſie geneigt und willig ſind, unſer Glück und Wohlergehen zu befördern, ſo werden wir nie mit Furcht und Unruhe, ſondern iederzeit mit Vergnü- gen an ſie denken. Die völlige Liebe treibet die Furcht aus; ſie erweckt ein gutes Zutrauen zu dem Geliebten, und verſtattet nicht, etwas nach- theiliges und widriges von ihm zu befürchten. Denn die Furcht hat Pein, oder findet nur als- dann ſtatt, wenn man Strafe oder harte Begeg- niße zu befürchten hat; wer ſich daher fürchtet; der iſt nicht völlig in der Liebe, oder es iſt kei- ne wahre, aufrichtige Liebe bey ihm anzutreffen. Da es nun überhaupt die Natur und Beſchaffen- heit einer ieden wahren Liebe mit ſich bringt, daß man ohne peinliche Furcht an den Geliebten denke, ſo muß es nothwendig mit der Liebe Gottes eine gleiche Bewandtnis haben. Wer eine wahre Liebe zu Gott hat, der verſiehet ſich alles Gute zu ihm, be- L 4
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gegen Gottes.
da man ſich ſcheuet, ihn mit Sünden zu beleidi-
gen. Dieſe demuthsvolle Ehrfurcht gegen Gott,
dieſes ſorgfältige Beſtreben ihm zu gefallen, dieſes
redliche Bemühen; alles nach Möglichkeit zu ver-
meiden, was ihm mißfällig ſeyn könnte, iſt Pflicht
für ein iedes vernünftiges Weſen, und ſo auch theu-
re Pflicht für einen ieden Chriſten. Aber ängſt-
liche Furcht vor Strafe und Verdammnis, iſt alle-
mahl ein Merkmahl eines Menſchen, der noch kei-
ne innige Liebe zu Gott hat. Furcht iſt nicht in
der Liebe; ängſtliche Furcht und aufrichtige Liebe
können nie miteinander beſtehen. Das lehrt uns
die tägliche Erfahrung. Wenn wir von unſern
Freunden oder Wohlthätern gewiß überzeugt ſind,
daß ſie geneigt und willig ſind, unſer Glück und
Wohlergehen zu befördern, ſo werden wir nie mit
Furcht und Unruhe, ſondern iederzeit mit Vergnü-
gen an ſie denken. Die völlige Liebe treibet die
Furcht aus; ſie erweckt ein gutes Zutrauen zu
dem Geliebten, und verſtattet nicht, etwas nach-
theiliges und widriges von ihm zu befürchten.
Denn die Furcht hat Pein, oder findet nur als-
dann ſtatt, wenn man Strafe oder harte Begeg-
niße zu befürchten hat; wer ſich daher fürchtet;
der iſt nicht völlig in der Liebe, oder es iſt kei-
ne wahre, aufrichtige Liebe bey ihm anzutreffen.
Da es nun überhaupt die Natur und Beſchaffen-
heit einer ieden wahren Liebe mit ſich bringt, daß
man ohne peinliche Furcht an den Geliebten denke,
ſo muß es nothwendig mit der Liebe Gottes eine
gleiche Bewandtnis haben. Wer eine wahre Liebe
zu Gott hat, der verſiehet ſich alles Gute zu ihm,
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