Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.

Bild:
<< vorherige Seite

Erste Betr. Wie wichtig einem Chris[ten]
erdulten müssen. Etwas solches konnte ihnen da-
mals nicht anders als sehr befremdend vorkommen,
da sie sich bisher immer unter dem Meßias einen
irdischen König vorgestellt hatten, der ihnen Reich-
thümer, hohe Ehrenstellen, und andere zeitliche
Glückseeligkeiten verschaffen würde. Petrus insbe-
sondere konnte seine Bedenklichkeiten über diese Rede
nicht lange verbergen. Er führte Jesum beyseite,
wollte ihm gleichsam einen Verweis geben, daß er
sich mit dergleichen traurigen Gedanken quäle, und
sagte zu ihm: "Das sey ferne, daß dir etwas sol-
ches begegnen sollte. Dafür wird dich Gott wohl
behüten." Eine verwegene Rede, die einen nach-
drücklichen Verweis verdiente! Gehe mir aus den
Augen, du Verführer, war Jesu Antwort; du re-
dest als mein Feind, hast solche Gedanken und An-
schläge, die den göttlichen Absichten ganz entgegen
sind, und suchest in meiner Nachfolge nichts als
irdische Vortheile, Vergnügungen und Bequem-
lichkeiten.

Hierbey nahm Jesus zugleich Gelegenheit, sei-
nen Nachfolgern überhaupt eine wichtige Lehre zu
geben, eine Lehre, die nicht nur die zwölf Apostel
allein angieng, sondern für alle seine Nachfolger,
für alle Christen, und folglich auch für uns gehöret.
Will mir iemand nachfolgen, mein Schüler seyn,
und sich die großen Vortheile versprechen, wozu
meine Religion Hofnung macht, der verleugne
sich selbst, und nehme sein Kreutz auf sich. Er
verleugne sich selbst.
-- Das heist: Er mache
sich gefaßt, alle zeitliche Vortheile, Ruhe, Bequem-
lichkeit, und sogar sein Leben daran zu setzen, wenn

es

Erſte Betr. Wie wichtig einem Chriſ[ten]
erdulten müſſen. Etwas ſolches konnte ihnen da-
mals nicht anders als ſehr befremdend vorkommen,
da ſie ſich bisher immer unter dem Meßias einen
irdiſchen König vorgeſtellt hatten, der ihnen Reich-
thümer, hohe Ehrenſtellen, und andere zeitliche
Glückſeeligkeiten verſchaffen würde. Petrus insbe-
ſondere konnte ſeine Bedenklichkeiten über dieſe Rede
nicht lange verbergen. Er führte Jeſum beyſeite,
wollte ihm gleichſam einen Verweis geben, daß er
ſich mit dergleichen traurigen Gedanken quäle, und
ſagte zu ihm: „Das ſey ferne, daß dir etwas ſol-
ches begegnen ſollte. Dafür wird dich Gott wohl
behüten.„ Eine verwegene Rede, die einen nach-
drücklichen Verweis verdiente! Gehe mir aus den
Augen, du Verführer, war Jeſu Antwort; du re-
deſt als mein Feind, haſt ſolche Gedanken und An-
ſchläge, die den göttlichen Abſichten ganz entgegen
ſind, und ſucheſt in meiner Nachfolge nichts als
irdiſche Vortheile, Vergnügungen und Bequem-
lichkeiten.

Hierbey nahm Jeſus zugleich Gelegenheit, ſei-
nen Nachfolgern überhaupt eine wichtige Lehre zu
geben, eine Lehre, die nicht nur die zwölf Apoſtel
allein angieng, ſondern für alle ſeine Nachfolger,
für alle Chriſten, und folglich auch für uns gehöret.
Will mir iemand nachfolgen, mein Schüler ſeyn,
und ſich die großen Vortheile verſprechen, wozu
meine Religion Hofnung macht, der verleugne
ſich ſelbſt, und nehme ſein Kreutz auf ſich. Er
verleugne ſich ſelbſt.
— Das heiſt: Er mache
ſich gefaßt, alle zeitliche Vortheile, Ruhe, Bequem-
lichkeit, und ſogar ſein Leben daran zu ſetzen, wenn

es
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0016" n="4"/><fw place="top" type="header">Er&#x017F;te Betr. Wie wichtig einem Chri&#x017F;<supplied>ten</supplied></fw><lb/>
erdulten mü&#x017F;&#x017F;en. Etwas &#x017F;olches konnte ihnen da-<lb/>
mals nicht anders als &#x017F;ehr befremdend vorkommen,<lb/>
da &#x017F;ie &#x017F;ich bisher immer unter dem Meßias einen<lb/>
irdi&#x017F;chen König vorge&#x017F;tellt hatten, der ihnen Reich-<lb/>
thümer, hohe Ehren&#x017F;tellen, und andere zeitliche<lb/>
Glück&#x017F;eeligkeiten ver&#x017F;chaffen würde. Petrus insbe-<lb/>
&#x017F;ondere konnte &#x017F;eine Bedenklichkeiten über die&#x017F;e Rede<lb/>
nicht lange verbergen. Er führte Je&#x017F;um bey&#x017F;eite,<lb/>
wollte ihm gleich&#x017F;am einen Verweis geben, daß er<lb/>
&#x017F;ich mit dergleichen traurigen Gedanken quäle, und<lb/>
&#x017F;agte zu ihm: &#x201E;Das &#x017F;ey ferne, daß dir etwas &#x017F;ol-<lb/>
ches begegnen &#x017F;ollte. Dafür wird dich Gott wohl<lb/>
behüten.&#x201E; Eine verwegene Rede, die einen nach-<lb/>
drücklichen Verweis verdiente! Gehe mir aus den<lb/>
Augen, du Verführer, war Je&#x017F;u Antwort; du re-<lb/>
de&#x017F;t als mein Feind, ha&#x017F;t &#x017F;olche Gedanken und An-<lb/>
&#x017F;chläge, die den göttlichen Ab&#x017F;ichten ganz entgegen<lb/>
&#x017F;ind, und &#x017F;uche&#x017F;t in meiner Nachfolge nichts als<lb/>
irdi&#x017F;che Vortheile, Vergnügungen und Bequem-<lb/>
lichkeiten.</p><lb/>
        <p>Hierbey nahm Je&#x017F;us zugleich Gelegenheit, &#x017F;ei-<lb/>
nen Nachfolgern überhaupt eine wichtige Lehre zu<lb/>
geben, eine Lehre, die nicht nur die zwölf Apo&#x017F;tel<lb/>
allein angieng, &#x017F;ondern für alle &#x017F;eine Nachfolger,<lb/>
für alle Chri&#x017F;ten, und folglich auch für uns gehöret.<lb/><hi rendition="#fr">Will mir iemand nachfolgen,</hi> mein Schüler &#x017F;eyn,<lb/>
und &#x017F;ich die großen Vortheile ver&#x017F;prechen, wozu<lb/>
meine Religion Hofnung macht, <hi rendition="#fr">der verleugne<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t, und nehme &#x017F;ein Kreutz auf &#x017F;ich. Er<lb/>
verleugne &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t.</hi> &#x2014; Das hei&#x017F;t: Er mache<lb/>
&#x017F;ich gefaßt, alle zeitliche Vortheile, Ruhe, Bequem-<lb/>
lichkeit, und &#x017F;ogar &#x017F;ein Leben daran zu &#x017F;etzen, wenn<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">es</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[4/0016] Erſte Betr. Wie wichtig einem Chriſten erdulten müſſen. Etwas ſolches konnte ihnen da- mals nicht anders als ſehr befremdend vorkommen, da ſie ſich bisher immer unter dem Meßias einen irdiſchen König vorgeſtellt hatten, der ihnen Reich- thümer, hohe Ehrenſtellen, und andere zeitliche Glückſeeligkeiten verſchaffen würde. Petrus insbe- ſondere konnte ſeine Bedenklichkeiten über dieſe Rede nicht lange verbergen. Er führte Jeſum beyſeite, wollte ihm gleichſam einen Verweis geben, daß er ſich mit dergleichen traurigen Gedanken quäle, und ſagte zu ihm: „Das ſey ferne, daß dir etwas ſol- ches begegnen ſollte. Dafür wird dich Gott wohl behüten.„ Eine verwegene Rede, die einen nach- drücklichen Verweis verdiente! Gehe mir aus den Augen, du Verführer, war Jeſu Antwort; du re- deſt als mein Feind, haſt ſolche Gedanken und An- ſchläge, die den göttlichen Abſichten ganz entgegen ſind, und ſucheſt in meiner Nachfolge nichts als irdiſche Vortheile, Vergnügungen und Bequem- lichkeiten. Hierbey nahm Jeſus zugleich Gelegenheit, ſei- nen Nachfolgern überhaupt eine wichtige Lehre zu geben, eine Lehre, die nicht nur die zwölf Apoſtel allein angieng, ſondern für alle ſeine Nachfolger, für alle Chriſten, und folglich auch für uns gehöret. Will mir iemand nachfolgen, mein Schüler ſeyn, und ſich die großen Vortheile verſprechen, wozu meine Religion Hofnung macht, der verleugne ſich ſelbſt, und nehme ſein Kreutz auf ſich. Er verleugne ſich ſelbſt. — Das heiſt: Er mache ſich gefaßt, alle zeitliche Vortheile, Ruhe, Bequem- lichkeit, und ſogar ſein Leben daran zu ſetzen, wenn es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (BBAW): Langfristige Bereitstellung der DTA-Ausgabe



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/16
Zitationshilfe: Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenmueller_betrachtungen_1789/16>, abgerufen am 14.06.2024.