Rosenmüller, Johann Georg: Betrachtungen über auserlesene Stellen der Heil. Schrift zur häuslichen Erbauung. Nürnberg, 1778.dem Versöhner der Menschen. daß er alles menschliche Ungemach, Armuth undVerachtung, Verfolgung und Haß, Schmerzen und Betrübnis, und den martervollsten, schreck- lichsten Tod selbst, willig und ungezwungen ordul- tete. Und vernehmet doch seine erhabene, groß- müthige und menschenfreundliche Absicht bey diesem erstaunenswürdigen Werke: Das alles muste ge- schehen, auf daß er barmherzig würde, und ein treuer Hoherpriester vor Gott, zu versöhnen die Sünde des Volks. Unser Erlöser wird in diesen Worten mit dem Hohenpriester des alten Testaments verglichen, weil seine Verrichtungen eine Aehnlichkeit mit den Amtsverrichtungen ienes iüdischen Hohenpriesters hatten, obgleich Christus vor diesem einen unendlichen Vorzug hat, wie Pau- lus in dem Folgenden weiter ausführt. Eine der wichtigsten Beschäftigungen des israelitischen Ho- henpriesters war, daß er am großen Versöhnungs- tage, nachdem am Brandopferaltar für das Volk geopfert worden war, mit dem Opferblute in das Allerheiligste gehen, das Blut auf die im Gesetz vorgeschriebene Weise gegen die Gesetzlade, als den Ort der Herrlichkeit des Herrn sprengen, und auf diese Art eine Versöhnung für das Volk bewirken muste. Wenn nemlich Reue über die Sünde, und Vertrauen auf die göttliche Erbarmung auf Seiten des Volks dazu kam, so erlies Gott die Strafen der Sünden, und lies ihnen seine Gnade wieder angedeyhen. Aber diese Versöhnung war sehr un- vollkommen, nur ein Schattenriß von derienigen, die durch Christum sollte bewerkstelliget werden. Daher muste sie alle Jahre wiederholt werden, und ver- G
dem Verſöhner der Menſchen. daß er alles menſchliche Ungemach, Armuth undVerachtung, Verfolgung und Haß, Schmerzen und Betrübnis, und den martervollſten, ſchreck- lichſten Tod ſelbſt, willig und ungezwungen ordul- tete. Und vernehmet doch ſeine erhabene, groß- müthige und menſchenfreundliche Abſicht bey dieſem erſtaunenswürdigen Werke: Das alles muſte ge- ſchehen, auf daß er barmherzig würde, und ein treuer Hoherprieſter vor Gott, zu verſöhnen die Sünde des Volks. Unſer Erlöſer wird in dieſen Worten mit dem Hohenprieſter des alten Teſtaments verglichen, weil ſeine Verrichtungen eine Aehnlichkeit mit den Amtsverrichtungen ienes iüdiſchen Hohenprieſters hatten, obgleich Chriſtus vor dieſem einen unendlichen Vorzug hat, wie Pau- lus in dem Folgenden weiter ausführt. Eine der wichtigſten Beſchäftigungen des iſraelitiſchen Ho- henprieſters war, daß er am großen Verſöhnungs- tage, nachdem am Brandopferaltar für das Volk geopfert worden war, mit dem Opferblute in das Allerheiligſte gehen, das Blut auf die im Geſetz vorgeſchriebene Weiſe gegen die Geſetzlade, als den Ort der Herrlichkeit des Herrn ſprengen, und auf dieſe Art eine Verſöhnung für das Volk bewirken muſte. Wenn nemlich Reue über die Sünde, und Vertrauen auf die göttliche Erbarmung auf Seiten des Volks dazu kam, ſo erlies Gott die Strafen der Sünden, und lies ihnen ſeine Gnade wieder angedeyhen. Aber dieſe Verſöhnung war ſehr un- vollkommen, nur ein Schattenriß von derienigen, die durch Chriſtum ſollte bewerkſtelliget werden. Daher muſte ſie alle Jahre wiederholt werden, und ver- G
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und Betrübnis, und den martervollſten, ſchreck-
lichſten Tod ſelbſt, willig und ungezwungen ordul-
tete. Und vernehmet doch ſeine erhabene, groß-
müthige und menſchenfreundliche Abſicht bey dieſem
erſtaunenswürdigen Werke: Das alles muſte ge-
ſchehen, auf daß er barmherzig würde, und ein
treuer Hoherprieſter vor Gott, zu verſöhnen
die Sünde des Volks. Unſer Erlöſer wird in
dieſen Worten mit dem Hohenprieſter des alten
Teſtaments verglichen, weil ſeine Verrichtungen
eine Aehnlichkeit mit den Amtsverrichtungen ienes
iüdiſchen Hohenprieſters hatten, obgleich Chriſtus
vor dieſem einen unendlichen Vorzug hat, wie Pau-
lus in dem Folgenden weiter ausführt. Eine der
wichtigſten Beſchäftigungen des iſraelitiſchen Ho-
henprieſters war, daß er am großen Verſöhnungs-
tage, nachdem am Brandopferaltar für das Volk
geopfert worden war, mit dem Opferblute in das
Allerheiligſte gehen, das Blut auf die im Geſetz
vorgeſchriebene Weiſe gegen die Geſetzlade, als den
Ort der Herrlichkeit des Herrn ſprengen, und auf
dieſe Art eine Verſöhnung für das Volk bewirken
muſte. Wenn nemlich Reue über die Sünde, und
Vertrauen auf die göttliche Erbarmung auf Seiten
des Volks dazu kam, ſo erlies Gott die Strafen
der Sünden, und lies ihnen ſeine Gnade wieder
angedeyhen. Aber dieſe Verſöhnung war ſehr un-
vollkommen, nur ein Schattenriß von derienigen,
die durch Chriſtum ſollte bewerkſtelliget werden.
Daher muſte ſie alle Jahre wiederholt werden, und
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