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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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sich oft hinter solch lockern Formen und blos andeutenden
Umrissen. Man verwechsle diese molluskenweichen, amorphen
Gestalten nicht mit der Skizze. Die wirkliche Skizze ist der
erste Entwurf zu einer Ausführung. Sie ist noch nicht be¬
friedigend, eben weil ihr noch die Ausführung fehlt, aber sie
kann uns schon, wie die Handzeichnungen großer Maler und
Bildhauer, in ihren vorbereitenden Lineamenten die mögliche
Schönheit vollkommen zu fühlen geben. Göthe hat in dem
Dialoge: der Sammler und die Seinigen, alle hieher
gehörigen Unterschiede mit Feinheit abgewogen und aus¬
einandergesetzt (18).

Das Nebulistische ist also nicht der schöne Duft, in
welchen eine Gestalt sich hüllen kann; das Undulistische ist
nicht die sanfte Wellenlinie, in welche eine Form ver¬
schwimmen; nicht das Abtönen, in welches ein Klang ver¬
schweben kann. Es ist im Gegentheil die Mattigkeit der Be¬
grenzung, wo diese als eine entschiedene nothwendig wäre;
die Unklarheit des Unterschiedes, wo er hervortreten müßte;
das Unverständliche des Ausdrucks, wo er sich zu markiren
hätte. In der Sculptur und Malerei sind es vorzüglich
symbolische und allegorische Gestalten, die zu einer
solchen Behandlung verführen. Und selbst bei dem besten
Willen können die Künstler oft keine charakteristische Be¬
stimmtheit erreichen, wenn sie solche Abstracte, wie la patrie,
la France, le cholera morbus, Paris u. dgl. darstellen sollen.
Man kann sehr zufrieden sein, wenn sie uns in solchem
Fall eine schöne weibliche Gestalt überhaupt geben. Die
ältere Düsseldorfer Malerschule krankte eine Zeitlang an
solcher Formlosigkeit, weil sie durch das Vorherrschen einer
sentimentalen Albummanier über den Unterschied des Maleri¬
schen vom Poetischen getäuscht ward, und, den Dichtern sich

ſich oft hinter ſolch lockern Formen und blos andeutenden
Umriſſen. Man verwechsle dieſe molluskenweichen, amorphen
Geſtalten nicht mit der Skizze. Die wirkliche Skizze iſt der
erſte Entwurf zu einer Ausführung. Sie iſt noch nicht be¬
friedigend, eben weil ihr noch die Ausführung fehlt, aber ſie
kann uns ſchon, wie die Handzeichnungen großer Maler und
Bildhauer, in ihren vorbereitenden Lineamenten die mögliche
Schönheit vollkommen zu fühlen geben. Göthe hat in dem
Dialoge: der Sammler und die Seinigen, alle hieher
gehörigen Unterſchiede mit Feinheit abgewogen und aus¬
einandergeſetzt (18).

Das Nebuliſtiſche iſt alſo nicht der ſchöne Duft, in
welchen eine Geſtalt ſich hüllen kann; das Unduliſtiſche iſt
nicht die ſanfte Wellenlinie, in welche eine Form ver¬
ſchwimmen; nicht das Abtönen, in welches ein Klang ver¬
ſchweben kann. Es iſt im Gegentheil die Mattigkeit der Be¬
grenzung, wo dieſe als eine entſchiedene nothwendig wäre;
die Unklarheit des Unterſchiedes, wo er hervortreten müßte;
das Unverſtändliche des Ausdrucks, wo er ſich zu markiren
hätte. In der Sculptur und Malerei ſind es vorzüglich
ſymboliſche und allegoriſche Geſtalten, die zu einer
ſolchen Behandlung verführen. Und ſelbſt bei dem beſten
Willen können die Künſtler oft keine charakteriſtiſche Be¬
ſtimmtheit erreichen, wenn ſie ſolche Abſtracte, wie la patrie,
la France, le choléra morbus, Paris u. dgl. darſtellen ſollen.
Man kann ſehr zufrieden ſein, wenn ſie uns in ſolchem
Fall eine ſchöne weibliche Geſtalt überhaupt geben. Die
ältere Düſſeldorfer Malerſchule krankte eine Zeitlang an
ſolcher Formloſigkeit, weil ſie durch das Vorherrſchen einer
ſentimentalen Albummanier über den Unterſchied des Maleri¬
ſchen vom Poetiſchen getäuſcht ward, und, den Dichtern ſich

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[72/0094] ſich oft hinter ſolch lockern Formen und blos andeutenden Umriſſen. Man verwechsle dieſe molluskenweichen, amorphen Geſtalten nicht mit der Skizze. Die wirkliche Skizze iſt der erſte Entwurf zu einer Ausführung. Sie iſt noch nicht be¬ friedigend, eben weil ihr noch die Ausführung fehlt, aber ſie kann uns ſchon, wie die Handzeichnungen großer Maler und Bildhauer, in ihren vorbereitenden Lineamenten die mögliche Schönheit vollkommen zu fühlen geben. Göthe hat in dem Dialoge: der Sammler und die Seinigen, alle hieher gehörigen Unterſchiede mit Feinheit abgewogen und aus¬ einandergeſetzt (18). Das Nebuliſtiſche iſt alſo nicht der ſchöne Duft, in welchen eine Geſtalt ſich hüllen kann; das Unduliſtiſche iſt nicht die ſanfte Wellenlinie, in welche eine Form ver¬ ſchwimmen; nicht das Abtönen, in welches ein Klang ver¬ ſchweben kann. Es iſt im Gegentheil die Mattigkeit der Be¬ grenzung, wo dieſe als eine entſchiedene nothwendig wäre; die Unklarheit des Unterſchiedes, wo er hervortreten müßte; das Unverſtändliche des Ausdrucks, wo er ſich zu markiren hätte. In der Sculptur und Malerei ſind es vorzüglich ſymboliſche und allegoriſche Geſtalten, die zu einer ſolchen Behandlung verführen. Und ſelbſt bei dem beſten Willen können die Künſtler oft keine charakteriſtiſche Be¬ ſtimmtheit erreichen, wenn ſie ſolche Abſtracte, wie la patrie, la France, le choléra morbus, Paris u. dgl. darſtellen ſollen. Man kann ſehr zufrieden ſein, wenn ſie uns in ſolchem Fall eine ſchöne weibliche Geſtalt überhaupt geben. Die ältere Düſſeldorfer Malerſchule krankte eine Zeitlang an ſolcher Formloſigkeit, weil ſie durch das Vorherrſchen einer ſentimentalen Albummanier über den Unterſchied des Maleri¬ ſchen vom Poetiſchen getäuſcht ward, und, den Dichtern ſich

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/94>, abgerufen am 28.04.2024.