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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Wirklichkeit und Bestimmtheit der Form, der Farbe, des
Tons, der Vorstellung gekommen. Indem es nun jedoch bei
dieser Einen Bestimmtheit sein Bewenden hat, erzeugt sich
durch das Fixiren der bloßen Identität eine andere Häßlichkeit.
Anfänglich nehmen wir einen so in sich bestimmten Eindruck
noch mit Wohlgefallen auf, denn die Einheit und Reinheit,
zumal wenn sie mit Energie verbunden, hat etwas Erfreu¬
liches. Bleibt es aber bei dieser abstracten Einheit, so wird
sie durch ihre Unterschiedlosigkeit häßlich und unausstehlich.
Was Göthe vom Leben überhaupt sagt, daß nichts schwerer
zu ertragen sei, als eine Reihe von guten Tagen, das gilt
auch vom Aesthetischen. Der in sich ununterschiedene, der nur
erst gegen das Nichts der äußern Gestaltlosigkeit sich abschei¬
dende und wiederholende Purismus Einer Gestalt und Farbe,
Eines Tons und Einer Vorstellung wird häßlich, ja unaus¬
stehlich. Grün ist eine schöne Farbe, aber nur grün, ohne
den blauen Himmel darüber, ohne blinkendes Wasser dazwi¬
schen, ohne eine weißflockige Schaafheerde darauf, ohne ein
rothes Ziegeldach, das aus Bäumen hervorlauscht, wird lang¬
weilig. Le parti des ennuyes in Paris war 1830 entzückt,
als das Rottenfeuer und der Kanonendonner die Monotonie
des ewigen Wagengeräuschs auf den Boulevards unterbrach.
Als aber der zweite Tag den Kampf fortsetzte und gar als
am dritten das Schießen nimmer schien enden zu wollen,
riefen die kaum Entlangweilten aus: Oh, que c'est ennuyant!

Die Einheit, die eine Nureinheit ist, wird also häßlich,
weil es im Begriff der wahrhaften Einheit liegt, sich von sich
selbst zu unterscheiden. Nun kann die Gestalt in sich der Ein¬
heit den Unterschied ihrer Auflösung entgegensetzen. Sie
kann nach einer Seite hin, ja sie kann überhaupt sich als
Gestalt wieder aufheben und verschwinden. Eine solche Auf¬

Wirklichkeit und Beſtimmtheit der Form, der Farbe, des
Tons, der Vorſtellung gekommen. Indem es nun jedoch bei
dieſer Einen Beſtimmtheit ſein Bewenden hat, erzeugt ſich
durch das Fixiren der bloßen Identität eine andere Häßlichkeit.
Anfänglich nehmen wir einen ſo in ſich beſtimmten Eindruck
noch mit Wohlgefallen auf, denn die Einheit und Reinheit,
zumal wenn ſie mit Energie verbunden, hat etwas Erfreu¬
liches. Bleibt es aber bei dieſer abſtracten Einheit, ſo wird
ſie durch ihre Unterſchiedloſigkeit häßlich und unausſtehlich.
Was Göthe vom Leben überhaupt ſagt, daß nichts ſchwerer
zu ertragen ſei, als eine Reihe von guten Tagen, das gilt
auch vom Aeſthetiſchen. Der in ſich ununterſchiedene, der nur
erſt gegen das Nichts der äußern Geſtaltloſigkeit ſich abſchei¬
dende und wiederholende Purismus Einer Geſtalt und Farbe,
Eines Tons und Einer Vorſtellung wird häßlich, ja unaus¬
ſtehlich. Grün iſt eine ſchöne Farbe, aber nur grün, ohne
den blauen Himmel darüber, ohne blinkendes Waſſer dazwi¬
ſchen, ohne eine weißflockige Schaafheerde darauf, ohne ein
rothes Ziegeldach, das aus Bäumen hervorlauſcht, wird lang¬
weilig. Le parti des ennuyés in Paris war 1830 entzückt,
als das Rottenfeuer und der Kanonendonner die Monotonie
des ewigen Wagengeräuſchs auf den Boulevards unterbrach.
Als aber der zweite Tag den Kampf fortſetzte und gar als
am dritten das Schießen nimmer ſchien enden zu wollen,
riefen die kaum Entlangweilten aus: Oh, que c'est ennuyant!

Die Einheit, die eine Nureinheit iſt, wird alſo häßlich,
weil es im Begriff der wahrhaften Einheit liegt, ſich von ſich
ſelbſt zu unterſcheiden. Nun kann die Geſtalt in ſich der Ein¬
heit den Unterſchied ihrer Auflöſung entgegenſetzen. Sie
kann nach einer Seite hin, ja ſie kann überhaupt ſich als
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[70/0092] Wirklichkeit und Beſtimmtheit der Form, der Farbe, des Tons, der Vorſtellung gekommen. Indem es nun jedoch bei dieſer Einen Beſtimmtheit ſein Bewenden hat, erzeugt ſich durch das Fixiren der bloßen Identität eine andere Häßlichkeit. Anfänglich nehmen wir einen ſo in ſich beſtimmten Eindruck noch mit Wohlgefallen auf, denn die Einheit und Reinheit, zumal wenn ſie mit Energie verbunden, hat etwas Erfreu¬ liches. Bleibt es aber bei dieſer abſtracten Einheit, ſo wird ſie durch ihre Unterſchiedloſigkeit häßlich und unausſtehlich. Was Göthe vom Leben überhaupt ſagt, daß nichts ſchwerer zu ertragen ſei, als eine Reihe von guten Tagen, das gilt auch vom Aeſthetiſchen. Der in ſich ununterſchiedene, der nur erſt gegen das Nichts der äußern Geſtaltloſigkeit ſich abſchei¬ dende und wiederholende Purismus Einer Geſtalt und Farbe, Eines Tons und Einer Vorſtellung wird häßlich, ja unaus¬ ſtehlich. Grün iſt eine ſchöne Farbe, aber nur grün, ohne den blauen Himmel darüber, ohne blinkendes Waſſer dazwi¬ ſchen, ohne eine weißflockige Schaafheerde darauf, ohne ein rothes Ziegeldach, das aus Bäumen hervorlauſcht, wird lang¬ weilig. Le parti des ennuyés in Paris war 1830 entzückt, als das Rottenfeuer und der Kanonendonner die Monotonie des ewigen Wagengeräuſchs auf den Boulevards unterbrach. Als aber der zweite Tag den Kampf fortſetzte und gar als am dritten das Schießen nimmer ſchien enden zu wollen, riefen die kaum Entlangweilten aus: Oh, que c'est ennuyant! Die Einheit, die eine Nureinheit iſt, wird alſo häßlich, weil es im Begriff der wahrhaften Einheit liegt, ſich von ſich ſelbſt zu unterſcheiden. Nun kann die Geſtalt in ſich der Ein¬ heit den Unterſchied ihrer Auflöſung entgegenſetzen. Sie kann nach einer Seite hin, ja ſie kann überhaupt ſich als Geſtalt wieder aufheben und verſchwinden. Eine ſolche Auf¬

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/92>, abgerufen am 28.04.2024.