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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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Haupt kann man weder schön noch häßlich nennen. Im
Vergleich mit ihr aber ist das Begrenzte das Schönere, weil es
eine sich auf sich beziehende Einheit darstellt, wie Platon be¬
kanntlich dem peras vor dem 'apeiron den Vorzug gibt (17).
Sie ist an sich deshalb nicht schlechthin häßlich, weil sie in
ihrem Nichts die Möglichkeit der Begrenzung darbietet. Da
diese Begrenzung jedoch nicht wirklich ist, so ist sie auch
nicht schön.

Von diesem absoluten Mangel der Gestalt ist nun die¬
jenige Gestaltlosigkeit verschieden, die wir relativ aussagen,
sofern zwar schon eine Gestalt, also eine Einheit und Be¬
grenzung da ist, dieselbe jedoch in sich noch ohne allen Unter¬
schied ist. Eine solche Gestalt ist also innerhalb ihrer selbst
durch ihre Ununterschiedenheit gestaltlos. Dieser Man¬
gel an Unterscheidung wird langweilig und treibt alle Künste,
sich gegen ihn zu waffnen. Die Architektur z. B. greift
zur Ornamentik, um mit Zickzacklinien, mit Mäandern, mit
Rosetten, mit Reifen, mit Zahnschnitten, mit Eierstäben,
mit Ein- und Ausbiegungen u. s. w., auch da noch Unter¬
schiede hervorzubringen, wo sonst die Monotonie einer
einfachen Fläche vorhanden sein würde. Die kahle, unter¬
schiedlose Identität ist an sich auch noch nicht positiv häßlich,
aber sie wird es. Die Reinheit eines bestimmten Gefühls,
einer bestimmten Form, einer Farbe, eines Tons kann un¬
mittelbar sogar schön sein. Stellt sich uns aber wieder und
wieder immer nur dies Eine ohne Unterbrechung, ohne Wech¬
sel und Gegensatz dar, so entsteht dadurch eine triste Armse¬
ligkeit, Einförmigkeit, Einfärbigkeit, Eintönigkeit. Die leere
Unbestimmtheit, die noch das Nichts aller Gestaltung, hat
sich hier schon aufgehoben; aus dem noch unterschiedlosen
Abgrund der Möglichkeit der Gestaltung ist es schon zu einer

Haupt kann man weder ſchön noch häßlich nennen. Im
Vergleich mit ihr aber iſt das Begrenzte das Schönere, weil es
eine ſich auf ſich beziehende Einheit darſtellt, wie Platon be¬
kanntlich dem περας vor dem ᾿απειρον den Vorzug gibt (17).
Sie iſt an ſich deshalb nicht ſchlechthin häßlich, weil ſie in
ihrem Nichts die Möglichkeit der Begrenzung darbietet. Da
dieſe Begrenzung jedoch nicht wirklich iſt, ſo iſt ſie auch
nicht ſchön.

Von dieſem abſoluten Mangel der Geſtalt iſt nun die¬
jenige Geſtaltloſigkeit verſchieden, die wir relativ ausſagen,
ſofern zwar ſchon eine Geſtalt, alſo eine Einheit und Be¬
grenzung da iſt, dieſelbe jedoch in ſich noch ohne allen Unter¬
ſchied iſt. Eine ſolche Geſtalt iſt alſo innerhalb ihrer ſelbſt
durch ihre Ununterſchiedenheit geſtaltlos. Dieſer Man¬
gel an Unterſcheidung wird langweilig und treibt alle Künſte,
ſich gegen ihn zu waffnen. Die Architektur z. B. greift
zur Ornamentik, um mit Zickzacklinien, mit Mäandern, mit
Roſetten, mit Reifen, mit Zahnſchnitten, mit Eierſtäben,
mit Ein- und Ausbiegungen u. ſ. w., auch da noch Unter¬
ſchiede hervorzubringen, wo ſonſt die Monotonie einer
einfachen Fläche vorhanden ſein würde. Die kahle, unter¬
ſchiedloſe Identität iſt an ſich auch noch nicht poſitiv häßlich,
aber ſie wird es. Die Reinheit eines beſtimmten Gefühls,
einer beſtimmten Form, einer Farbe, eines Tons kann un¬
mittelbar ſogar ſchön ſein. Stellt ſich uns aber wieder und
wieder immer nur dies Eine ohne Unterbrechung, ohne Wech¬
ſel und Gegenſatz dar, ſo entſteht dadurch eine triſte Armſe¬
ligkeit, Einförmigkeit, Einfärbigkeit, Eintönigkeit. Die leere
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[69/0091] Haupt kann man weder ſchön noch häßlich nennen. Im Vergleich mit ihr aber iſt das Begrenzte das Schönere, weil es eine ſich auf ſich beziehende Einheit darſtellt, wie Platon be¬ kanntlich dem περας vor dem ᾿απειρον den Vorzug gibt (17). Sie iſt an ſich deshalb nicht ſchlechthin häßlich, weil ſie in ihrem Nichts die Möglichkeit der Begrenzung darbietet. Da dieſe Begrenzung jedoch nicht wirklich iſt, ſo iſt ſie auch nicht ſchön. Von dieſem abſoluten Mangel der Geſtalt iſt nun die¬ jenige Geſtaltloſigkeit verſchieden, die wir relativ ausſagen, ſofern zwar ſchon eine Geſtalt, alſo eine Einheit und Be¬ grenzung da iſt, dieſelbe jedoch in ſich noch ohne allen Unter¬ ſchied iſt. Eine ſolche Geſtalt iſt alſo innerhalb ihrer ſelbſt durch ihre Ununterſchiedenheit geſtaltlos. Dieſer Man¬ gel an Unterſcheidung wird langweilig und treibt alle Künſte, ſich gegen ihn zu waffnen. Die Architektur z. B. greift zur Ornamentik, um mit Zickzacklinien, mit Mäandern, mit Roſetten, mit Reifen, mit Zahnſchnitten, mit Eierſtäben, mit Ein- und Ausbiegungen u. ſ. w., auch da noch Unter¬ ſchiede hervorzubringen, wo ſonſt die Monotonie einer einfachen Fläche vorhanden ſein würde. Die kahle, unter¬ ſchiedloſe Identität iſt an ſich auch noch nicht poſitiv häßlich, aber ſie wird es. Die Reinheit eines beſtimmten Gefühls, einer beſtimmten Form, einer Farbe, eines Tons kann un¬ mittelbar ſogar ſchön ſein. Stellt ſich uns aber wieder und wieder immer nur dies Eine ohne Unterbrechung, ohne Wech¬ ſel und Gegenſatz dar, ſo entſteht dadurch eine triſte Armſe¬ ligkeit, Einförmigkeit, Einfärbigkeit, Eintönigkeit. Die leere Unbeſtimmtheit, die noch das Nichts aller Geſtaltung, hat ſich hier ſchon aufgehoben; aus dem noch unterſchiedloſen Abgrund der Möglichkeit der Geſtaltung iſt es ſchon zu einer

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/91>, abgerufen am 23.11.2024.