Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

Bild:
<< vorherige Seite

dem des Schönen zu trennen, sondern als eine eigenthümliche
Form desselben anzusehen. Da nun das Häßliche nichts Ab¬
solutes, vielmehr nur ein Relatives ist, so muß für seine
Begriffsbestimmung auf die Idee des Schönen selbst, durch
die es bedingt ist, zurückgegangen werden.

Das Schöne überhaupt ist, wie wir hier, wo uns nur
das Häßliche beschäftigt, vorauszusetzen haben, die sinnliche
Erscheinung der natürlichen und geistigen Freiheit in har¬
monischer Totalität.

Das erste Erforderniß des Schönen ist deshalb bekanntlich
das Bedürfniß der Grenze; es muß sich als Einheit in sich
setzen und seine Unterschiede als organische Momente derselben.
Dieser Begriff der abstracten Formbestimmtheit macht ge¬
wissermaaßen die Logik des Schönen aus, weil er noch
gänzlich von dem besondern Inhalt desselben abstrahirt und
für alles Schöne, in welchem Material es sich auch realisire
und welches immer seine geistige Erfüllung sei, die gleiche
formale Nothwendigkeit hat.

Die Negation dieser allgemeinen Einheit der Form ist
also die Formlosigkeit. Die bloße Abwesenheit aller Form ist
nicht schön, allein auch noch nicht häßlich. Der Raum in der
Grenzenlosigkeit seiner Ausdehnung kann nicht häßlich genannt
werden; das Nachtschwarz, worin gar keine Form sich ab¬
scheidet, auch nicht; ein gleichmäßig fortklingender Ton eben
so wenig u. s. w. Erst da wird die Formlosigkeit häßlich,
wo ein Inhalt eine Form haben sollte und derselben noch er¬
mangelt, oder wo zwar schon eine Form allein noch nicht so
gestaltet ist, als sie es dem Begriff des Inhalts gemäß sein
sollte. Insofern wir mit dem Ausdruck Formlosigkeit auch
die Unbestimmtheit der Grenze bezeichnen, kann die Form¬
losigkeit auch die nothwendige Form eines Inhalts sein, wie

dem des Schönen zu trennen, ſondern als eine eigenthümliche
Form deſſelben anzuſehen. Da nun das Häßliche nichts Ab¬
ſolutes, vielmehr nur ein Relatives iſt, ſo muß für ſeine
Begriffsbeſtimmung auf die Idee des Schönen ſelbſt, durch
die es bedingt iſt, zurückgegangen werden.

Das Schöne überhaupt iſt, wie wir hier, wo uns nur
das Häßliche beſchäftigt, vorauszuſetzen haben, die ſinnliche
Erſcheinung der natürlichen und geiſtigen Freiheit in har¬
moniſcher Totalität.

Das erſte Erforderniß des Schönen iſt deshalb bekanntlich
das Bedürfniß der Grenze; es muß ſich als Einheit in ſich
ſetzen und ſeine Unterſchiede als organiſche Momente derſelben.
Dieſer Begriff der abſtracten Formbeſtimmtheit macht ge¬
wiſſermaaßen die Logik des Schönen aus, weil er noch
gänzlich von dem beſondern Inhalt deſſelben abſtrahirt und
für alles Schöne, in welchem Material es ſich auch realiſire
und welches immer ſeine geiſtige Erfüllung ſei, die gleiche
formale Nothwendigkeit hat.

Die Negation dieſer allgemeinen Einheit der Form iſt
alſo die Formloſigkeit. Die bloße Abweſenheit aller Form iſt
nicht ſchön, allein auch noch nicht häßlich. Der Raum in der
Grenzenloſigkeit ſeiner Ausdehnung kann nicht häßlich genannt
werden; das Nachtſchwarz, worin gar keine Form ſich ab¬
ſcheidet, auch nicht; ein gleichmäßig fortklingender Ton eben
ſo wenig u. ſ. w. Erſt da wird die Formloſigkeit häßlich,
wo ein Inhalt eine Form haben ſollte und derſelben noch er¬
mangelt, oder wo zwar ſchon eine Form allein noch nicht ſo
geſtaltet iſt, als ſie es dem Begriff des Inhalts gemäß ſein
ſollte. Inſofern wir mit dem Ausdruck Formloſigkeit auch
die Unbeſtimmtheit der Grenze bezeichnen, kann die Form¬
loſigkeit auch die nothwendige Form eines Inhalts ſein, wie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0076" n="54"/>
dem des Schönen zu trennen, &#x017F;ondern als eine eigenthümliche<lb/>
Form de&#x017F;&#x017F;elben anzu&#x017F;ehen. Da nun das Häßliche nichts Ab¬<lb/>
&#x017F;olutes, vielmehr nur ein Relatives i&#x017F;t, &#x017F;o muß für &#x017F;eine<lb/>
Begriffsbe&#x017F;timmung auf die Idee des Schönen &#x017F;elb&#x017F;t, durch<lb/>
die es bedingt i&#x017F;t, zurückgegangen werden.</p><lb/>
          <p>Das Schöne überhaupt i&#x017F;t, wie wir hier, wo uns nur<lb/>
das Häßliche be&#x017F;chäftigt, vorauszu&#x017F;etzen haben, die &#x017F;innliche<lb/>
Er&#x017F;cheinung der natürlichen und gei&#x017F;tigen Freiheit in har¬<lb/>
moni&#x017F;cher Totalität.</p><lb/>
          <p>Das er&#x017F;te Erforderniß des Schönen i&#x017F;t deshalb bekanntlich<lb/>
das Bedürfniß der Grenze; es muß &#x017F;ich als Einheit in &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;etzen und &#x017F;eine <choice><sic>Uuter&#x017F;chiede</sic><corr>Unter&#x017F;chiede</corr></choice> als organi&#x017F;che Momente der&#x017F;elben.<lb/>
Die&#x017F;er Begriff der ab&#x017F;tracten Formbe&#x017F;timmtheit macht ge¬<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;ermaaßen die Logik des Schönen aus, weil er noch<lb/>
gänzlich von dem be&#x017F;ondern Inhalt de&#x017F;&#x017F;elben ab&#x017F;trahirt und<lb/>
für alles Schöne, in welchem Material es &#x017F;ich auch reali&#x017F;ire<lb/>
und welches immer &#x017F;eine gei&#x017F;tige Erfüllung &#x017F;ei, die gleiche<lb/>
formale Nothwendigkeit hat.</p><lb/>
          <p>Die Negation die&#x017F;er allgemeinen Einheit der Form i&#x017F;t<lb/>
al&#x017F;o die Formlo&#x017F;igkeit. Die bloße Abwe&#x017F;enheit aller Form i&#x017F;t<lb/>
nicht &#x017F;chön, allein auch noch nicht häßlich. Der Raum in der<lb/>
Grenzenlo&#x017F;igkeit &#x017F;einer Ausdehnung kann nicht häßlich genannt<lb/>
werden; das Nacht&#x017F;chwarz, worin gar keine Form &#x017F;ich ab¬<lb/>
&#x017F;cheidet, auch nicht; ein gleichmäßig fortklingender Ton eben<lb/>
&#x017F;o wenig u. &#x017F;. w. Er&#x017F;t da wird die Formlo&#x017F;igkeit häßlich,<lb/>
wo ein Inhalt eine Form haben &#x017F;ollte und der&#x017F;elben noch er¬<lb/>
mangelt, oder wo zwar &#x017F;chon eine Form allein noch nicht &#x017F;o<lb/>
ge&#x017F;taltet i&#x017F;t, als &#x017F;ie es dem Begriff des Inhalts gemäß &#x017F;ein<lb/>
&#x017F;ollte. In&#x017F;ofern wir mit dem Ausdruck Formlo&#x017F;igkeit auch<lb/>
die Unbe&#x017F;timmtheit der Grenze bezeichnen, kann die Form¬<lb/>
lo&#x017F;igkeit auch die nothwendige Form eines Inhalts &#x017F;ein, wie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[54/0076] dem des Schönen zu trennen, ſondern als eine eigenthümliche Form deſſelben anzuſehen. Da nun das Häßliche nichts Ab¬ ſolutes, vielmehr nur ein Relatives iſt, ſo muß für ſeine Begriffsbeſtimmung auf die Idee des Schönen ſelbſt, durch die es bedingt iſt, zurückgegangen werden. Das Schöne überhaupt iſt, wie wir hier, wo uns nur das Häßliche beſchäftigt, vorauszuſetzen haben, die ſinnliche Erſcheinung der natürlichen und geiſtigen Freiheit in har¬ moniſcher Totalität. Das erſte Erforderniß des Schönen iſt deshalb bekanntlich das Bedürfniß der Grenze; es muß ſich als Einheit in ſich ſetzen und ſeine Unterſchiede als organiſche Momente derſelben. Dieſer Begriff der abſtracten Formbeſtimmtheit macht ge¬ wiſſermaaßen die Logik des Schönen aus, weil er noch gänzlich von dem beſondern Inhalt deſſelben abſtrahirt und für alles Schöne, in welchem Material es ſich auch realiſire und welches immer ſeine geiſtige Erfüllung ſei, die gleiche formale Nothwendigkeit hat. Die Negation dieſer allgemeinen Einheit der Form iſt alſo die Formloſigkeit. Die bloße Abweſenheit aller Form iſt nicht ſchön, allein auch noch nicht häßlich. Der Raum in der Grenzenloſigkeit ſeiner Ausdehnung kann nicht häßlich genannt werden; das Nachtſchwarz, worin gar keine Form ſich ab¬ ſcheidet, auch nicht; ein gleichmäßig fortklingender Ton eben ſo wenig u. ſ. w. Erſt da wird die Formloſigkeit häßlich, wo ein Inhalt eine Form haben ſollte und derſelben noch er¬ mangelt, oder wo zwar ſchon eine Form allein noch nicht ſo geſtaltet iſt, als ſie es dem Begriff des Inhalts gemäß ſein ſollte. Inſofern wir mit dem Ausdruck Formloſigkeit auch die Unbeſtimmtheit der Grenze bezeichnen, kann die Form¬ loſigkeit auch die nothwendige Form eines Inhalts ſein, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/76
Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/76>, abgerufen am 24.11.2024.