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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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z. B. die Unendlichkeit des Raums eine solche erfordert, denn eine
Form, also eine Begrenzung zu haben, würde gegen den
Begriff des absoluten Raumes sein, d. h. er kann nur die
Formlosigkeit zu seiner Form haben. Soll aber ein Inhalt
eine Form haben und ist diese nun nicht da, so vergleichen
wir ihn mit dieser für ihn und von ihm selber vorausgesetzten
Form und empfinden diesen Mangel als Häßlichkeit. Meta¬
physisch genommen ist es allerdings ganz richtig, daß kein
Inhalt ohne irgend eine Form existiren kann, relativ aber
kann, wie die Inhaltslosigkeit, so auch die Formlosigkeit
ausgesagt werden. Stellen wir uns z. B. einen Landschafts¬
maler vor, der eine Gegend aufnimmt und, von der Zeit
gedrängt, seinen flüchtigen Umrissen nur einige Farbenstriche
für sein Gedächtniß hinzuzufügen vermag, so wird die Land¬
schaft nur eine sehr unvollkommene Form haben. Es werden
sich uns auf dem Gemälde statt des wirklichen Colorits nur
formlose Farbenpuncte darbieten, die sich erst auf die künftige
Ausführung beziehen und dies Farbenaggregat würde insofern
noch formlos und dadurch häßlich sein. Nun können wir
uns weiter das Bild als vollendet vorstellen, jedoch verfehlt
und mißrathen, so würde die Ausführung, also die vollstän¬
dige Form da sein und doch nicht diejenige, welche da sein
sollte. Statt ihrer würde eine dem Begriff der Sache mehr
oder weniger fremde entstanden sein, also eine Form, die
dem Inhalt nicht entspräche. Es wäre folglich ein positiver
Widerspruch von Inhalt und Form da und diese Formlosig¬
keit der Form wäre wieder häßlich.

Das Schöne erfordert also Einheit des Inhalts und
der Form in bestimmten Verhältnissen, die, abstract genom¬
men, Maaßverhältnisse sind. Aber das Schöne hat wesent¬
lich auch eine sinnliche Seite an sich, denn gerade als Form

z. B. die Unendlichkeit des Raums eine ſolche erfordert, denn eine
Form, alſo eine Begrenzung zu haben, würde gegen den
Begriff des abſoluten Raumes ſein, d. h. er kann nur die
Formloſigkeit zu ſeiner Form haben. Soll aber ein Inhalt
eine Form haben und iſt dieſe nun nicht da, ſo vergleichen
wir ihn mit dieſer für ihn und von ihm ſelber vorausgeſetzten
Form und empfinden dieſen Mangel als Häßlichkeit. Meta¬
phyſiſch genommen iſt es allerdings ganz richtig, daß kein
Inhalt ohne irgend eine Form exiſtiren kann, relativ aber
kann, wie die Inhaltsloſigkeit, ſo auch die Formloſigkeit
ausgeſagt werden. Stellen wir uns z. B. einen Landſchafts¬
maler vor, der eine Gegend aufnimmt und, von der Zeit
gedrängt, ſeinen flüchtigen Umriſſen nur einige Farbenſtriche
für ſein Gedächtniß hinzuzufügen vermag, ſo wird die Land¬
ſchaft nur eine ſehr unvollkommene Form haben. Es werden
ſich uns auf dem Gemälde ſtatt des wirklichen Colorits nur
formloſe Farbenpuncte darbieten, die ſich erſt auf die künftige
Ausführung beziehen und dies Farbenaggregat würde inſofern
noch formlos und dadurch häßlich ſein. Nun können wir
uns weiter das Bild als vollendet vorſtellen, jedoch verfehlt
und mißrathen, ſo würde die Ausführung, alſo die vollſtän¬
dige Form da ſein und doch nicht diejenige, welche da ſein
ſollte. Statt ihrer würde eine dem Begriff der Sache mehr
oder weniger fremde entſtanden ſein, alſo eine Form, die
dem Inhalt nicht entſpräche. Es wäre folglich ein poſitiver
Widerſpruch von Inhalt und Form da und dieſe Formloſig¬
keit der Form wäre wieder häßlich.

Das Schöne erfordert alſo Einheit des Inhalts und
der Form in beſtimmten Verhältniſſen, die, abſtract genom¬
men, Maaßverhältniſſe ſind. Aber das Schöne hat weſent¬
lich auch eine ſinnliche Seite an ſich, denn gerade als Form

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[55/0077] z. B. die Unendlichkeit des Raums eine ſolche erfordert, denn eine Form, alſo eine Begrenzung zu haben, würde gegen den Begriff des abſoluten Raumes ſein, d. h. er kann nur die Formloſigkeit zu ſeiner Form haben. Soll aber ein Inhalt eine Form haben und iſt dieſe nun nicht da, ſo vergleichen wir ihn mit dieſer für ihn und von ihm ſelber vorausgeſetzten Form und empfinden dieſen Mangel als Häßlichkeit. Meta¬ phyſiſch genommen iſt es allerdings ganz richtig, daß kein Inhalt ohne irgend eine Form exiſtiren kann, relativ aber kann, wie die Inhaltsloſigkeit, ſo auch die Formloſigkeit ausgeſagt werden. Stellen wir uns z. B. einen Landſchafts¬ maler vor, der eine Gegend aufnimmt und, von der Zeit gedrängt, ſeinen flüchtigen Umriſſen nur einige Farbenſtriche für ſein Gedächtniß hinzuzufügen vermag, ſo wird die Land¬ ſchaft nur eine ſehr unvollkommene Form haben. Es werden ſich uns auf dem Gemälde ſtatt des wirklichen Colorits nur formloſe Farbenpuncte darbieten, die ſich erſt auf die künftige Ausführung beziehen und dies Farbenaggregat würde inſofern noch formlos und dadurch häßlich ſein. Nun können wir uns weiter das Bild als vollendet vorſtellen, jedoch verfehlt und mißrathen, ſo würde die Ausführung, alſo die vollſtän¬ dige Form da ſein und doch nicht diejenige, welche da ſein ſollte. Statt ihrer würde eine dem Begriff der Sache mehr oder weniger fremde entſtanden ſein, alſo eine Form, die dem Inhalt nicht entſpräche. Es wäre folglich ein poſitiver Widerſpruch von Inhalt und Form da und dieſe Formloſig¬ keit der Form wäre wieder häßlich. Das Schöne erfordert alſo Einheit des Inhalts und der Form in beſtimmten Verhältniſſen, die, abſtract genom¬ men, Maaßverhältniſſe ſind. Aber das Schöne hat weſent¬ lich auch eine ſinnliche Seite an ſich, denn gerade als Form

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/77>, abgerufen am 28.04.2024.