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Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853.

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von der Sculptur hat Anselm Feuerbach in seinem treffli¬
chen Werk über den Vaticanischen Apollo den Beweis geführt,
daß sie auch das Furchtbare und die dramatische Lebendigkeit
nicht scheuete (15); von der Malerei lehrt uns dies nicht
nur das tiefere Eindringen in die Wandmalerei von Hercu¬
lanum und Pompeji, sondern auch die Beschreibung der
Gemälde des Polygnotos in den Leschen zu Delphi und
zu Athen, wie auch Göthe bei ihrer Besprechung aus¬
drücklich zu bemerken sich veranlaßt sieht, ein so großer
Verehrer der Heiterkeit, Ruhe und maaßvollen Lebendigkeit
er auch war (16).

Das Häßliche muß also durch die Kunst von allem
ihm heterogenen Ueberfluß und störsamen Zufall gereinigt
und selbst wieder den allgemeinen Gesetzen des Schönen unter¬
worfen werden. Eben deshalb würde eine isolirte Darstellung
des Häßlichen dem Begriff der Kunst widersprechen, weil es
durch sie als Selbstzweck erschiene. Die Kunst muß seine
secundäre Natur hervorblicken lassen und daran erinnern, daß
es urspünglich nicht durch sich selbst, daß es nur an und
aus dem Schönen als dessen Negation existirt. Wird es nun
in dieser seiner accidentellen Stellung zur Anschauung gebracht,
so muß bei ihm alle Rücksicht genommen werden, die ihm
als einem Moment in einer harmonischen Totalität zukommt.
Es darf nicht müßig sein, sondern sich als nothwendig
erweisen. Es muß sich angemessen gruppiren und sich für
das Ganze den Gesetzen der Symmetrie und Harmonie, die
es an der eigenen Gestalt verletzt, unterordnen; es darf sich
nicht über das ihm nach dem Zusammenhang gebührende
Maaß hervordrängen und muß eine Kraft individuellen
Ausdrucks besitzen, die es in seiner Bedeutung nicht ver¬
kennen läßt.

von der Sculptur hat Anſelm Feuerbach in ſeinem treffli¬
chen Werk über den Vaticaniſchen Apollo den Beweis geführt,
daß ſie auch das Furchtbare und die dramatiſche Lebendigkeit
nicht ſcheuete (15); von der Malerei lehrt uns dies nicht
nur das tiefere Eindringen in die Wandmalerei von Hercu¬
lanum und Pompeji, ſondern auch die Beſchreibung der
Gemälde des Polygnotos in den Leschen zu Delphi und
zu Athen, wie auch Göthe bei ihrer Beſprechung aus¬
drücklich zu bemerken ſich veranlaßt ſieht, ein ſo großer
Verehrer der Heiterkeit, Ruhe und maaßvollen Lebendigkeit
er auch war (16).

Das Häßliche muß alſo durch die Kunſt von allem
ihm heterogenen Ueberfluß und ſtörſamen Zufall gereinigt
und ſelbſt wieder den allgemeinen Geſetzen des Schönen unter¬
worfen werden. Eben deshalb würde eine iſolirte Darſtellung
des Häßlichen dem Begriff der Kunſt widerſprechen, weil es
durch ſie als Selbſtzweck erſchiene. Die Kunſt muß ſeine
ſecundäre Natur hervorblicken laſſen und daran erinnern, daß
es urſpünglich nicht durch ſich ſelbſt, daß es nur an und
aus dem Schönen als deſſen Negation exiſtirt. Wird es nun
in dieſer ſeiner accidentellen Stellung zur Anſchauung gebracht,
ſo muß bei ihm alle Rückſicht genommen werden, die ihm
als einem Moment in einer harmoniſchen Totalität zukommt.
Es darf nicht müßig ſein, ſondern ſich als nothwendig
erweiſen. Es muß ſich angemeſſen gruppiren und ſich für
das Ganze den Geſetzen der Symmetrie und Harmonie, die
es an der eigenen Geſtalt verletzt, unterordnen; es darf ſich
nicht über das ihm nach dem Zuſammenhang gebührende
Maaß hervordrängen und muß eine Kraft individuellen
Ausdrucks beſitzen, die es in ſeiner Bedeutung nicht ver¬
kennen läßt.

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[44/0066] von der Sculptur hat Anſelm Feuerbach in ſeinem treffli¬ chen Werk über den Vaticaniſchen Apollo den Beweis geführt, daß ſie auch das Furchtbare und die dramatiſche Lebendigkeit nicht ſcheuete (15); von der Malerei lehrt uns dies nicht nur das tiefere Eindringen in die Wandmalerei von Hercu¬ lanum und Pompeji, ſondern auch die Beſchreibung der Gemälde des Polygnotos in den Leschen zu Delphi und zu Athen, wie auch Göthe bei ihrer Beſprechung aus¬ drücklich zu bemerken ſich veranlaßt ſieht, ein ſo großer Verehrer der Heiterkeit, Ruhe und maaßvollen Lebendigkeit er auch war (16). Das Häßliche muß alſo durch die Kunſt von allem ihm heterogenen Ueberfluß und ſtörſamen Zufall gereinigt und ſelbſt wieder den allgemeinen Geſetzen des Schönen unter¬ worfen werden. Eben deshalb würde eine iſolirte Darſtellung des Häßlichen dem Begriff der Kunſt widerſprechen, weil es durch ſie als Selbſtzweck erſchiene. Die Kunſt muß ſeine ſecundäre Natur hervorblicken laſſen und daran erinnern, daß es urſpünglich nicht durch ſich ſelbſt, daß es nur an und aus dem Schönen als deſſen Negation exiſtirt. Wird es nun in dieſer ſeiner accidentellen Stellung zur Anſchauung gebracht, ſo muß bei ihm alle Rückſicht genommen werden, die ihm als einem Moment in einer harmoniſchen Totalität zukommt. Es darf nicht müßig ſein, ſondern ſich als nothwendig erweiſen. Es muß ſich angemeſſen gruppiren und ſich für das Ganze den Geſetzen der Symmetrie und Harmonie, die es an der eigenen Geſtalt verletzt, unterordnen; es darf ſich nicht über das ihm nach dem Zuſammenhang gebührende Maaß hervordrängen und muß eine Kraft individuellen Ausdrucks beſitzen, die es in ſeiner Bedeutung nicht ver¬ kennen läßt.

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Zitationshilfe: Rosenkranz, Karl: Ästhetik des Häßlichen. Königsberg, 1853, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/rosenkranz_aesthetik_1853/66>, abgerufen am 28.04.2024.